Zack! Schon wieder was Neues! Und schon wieder von Porsche. Und, richtig, erneut 911. Kaum sind die Hecktriebler der überarbeiteten 997er Generation an den Verkaufsstart gerollt, da fährt bereits das nächste Rudel vor – die Allradmodelle: Porsche 911 Carrera 4, Coupé und Cabriolet. Für Classic Driver gilt dabei: „S“ geht noch mehr. Steigen Sie ein: Wir gehen mit dem neuen 4S Coupé und auch dem 4S Cabriolet auf Speedhatz und Drehzahljagd.
Nein, das Unternehmen Porsche kann sich wirklich nicht beklagen. Der neue 911 präsentiert sich als Verkaufsschlager – Energiekrise, Börsen-Baisse und Rezessionsangst zum Trotz. Mehr als 2.000 Fahrzeuge der überarbeiteten Modellgeneration 997 haben Kunden alleine in den ersten beiden Wochen nach Verkaufsstart geordert. Aneinander gereiht ist das Auftragsbuch damit für eine rund zehn Kilometer lange Porsche 911 Kolonne gut. Und jetzt kommt schon wieder Modell-Nachschub; mit der begehrten Ziffer „4“ am Heck, gegen knapp 11.000 Euro Aufpreis von einem „S“ geadelt. Die neuen Allradmodelle geben sich die Ehre. Besonderes Kennzeichen: das Reflektorband zwischen den Rückleuchten – eine optische Reminiszenz an die früheren G-Modelle sowie die Typen 964 und 993.
Getreu dem Motto „Gutes aus deutschen Landen“, präsentiert Porsche die neueste Flotte der quicklebendigen Sportwagenlegende ländlich elegant: auf Schloss & Gut Liebenberg im Löwenberger Land. Das ist Ihnen natürlich ein Begriff. Sollte es Ihnen kurzzeitig entfallen sein, hier eine kleine Gedächtnisstütze: Wenn Sie von Hamburg nach Berlin über die A24 einfliegen, leiten Sie vor der Hauptstadt Höhe Neuruppin einen Bremsvorgang ein und machen einen Schlenker Richtung Norden in die Mark Brandenburg. Sechzig Kilometer nordwestlich von Berlin liegt die historische Schlossanlage, umgeben von wald- und seenreicher Landschaft und einmaligen Fahrstrecken nebst Fahrsicherheitszentrum Groß Dölln auf einer ehemaligen sowjetischen Luftwaffenbasis. Landstraßen, Kurven, Pisten en gros.
Und damit genau das richtige Revier für den neuen 911. Neu ist vor allem der elektronisch gesteuerte Allradantrieb, aber auch die grundlegend neuen Motoren mit Benzin-Direkteinspritzung und das optional erhältliche Schnellschaltgetriebe PDK, das für Porsche Doppelkupplungsgetriebe steht. Das Resultat sei ein Porsche-typisches Präzisionsinstrument, verspricht Dr. Erhard Mössle, Gesamtprojektleiter Porsche 911 Turbo, Carrera 4 und Targa 4. Die bulligen Boxermotoren mit dem unverkennbaren Weissacher Klangbild sind abermals stärker geworden. In der 3,6-Liter-Version entwickeln sie jetzt 345 PS (254 kW) und damit 20 PS mehr als bisher. Die Leistung des 3,8-Liter-Triebwerks in den an der Hinterachse breiteren S-Modellen steigt um 30 PS auf jetzt 385 PS, entsprechend 283 kW. Damit soll das Carrera 4S-Coupé nun bis zu 297 km/h schnell sein. Scheinbar paradox: Das Plus an Leistung resultiert in einem Weniger im Verbrauch: nach der EU5-Norm setzt das Carrera 4 Coupé mit optionalem PDK-Getriebe den Bestwert von 10,1 Liter. Der 4S liegt bei 11,2 Liter. Und trotz mehr Kraft wiegen die neuen Triebwerke im Schnitt rund sechs Kilogramm weniger als bisher.
Das spannendste Novum in punkto Fahragilität ist jedoch der neue Allradantrieb. Auf den kurvenreichen Landstraßen zwischen Liebenwalde, Sarnow, Joachimsthal und Fürstenberg lässt dieser erahnen, welche Traktionsspielräume er noch in Vortrieb umzusetzen weiß – wenn man ihn nur lässt. Ungeheuer präzise folgt der 4S der Asphaltschnur, lenkt punktgenau ein und beschleunigt unter Vollast auf dem idealen Kurvenradius durch den Scheitelpunkt in die nächste Gerade. Hier ist tatsächlich ein spürbarer Zugewinn an Fahrpräzision gegenüber den schon sehr genau arbeitenden Vorgängermodellen Coupé und Cabriolet erlebbar.
Möglich wird diese äußerst exakte Fahrdynamik aufgrund einer elektronischen Steuerung, dem Porsche Traction Management (PTM), das erstmals und bislang nur im Porsche 911 Turbo eingesetzt wurde. Die Hydraulik ist damit ausgemustert. Beim PTM sorgt eine elektromagnetisch gesteuerte und in Sekundenbruchteilen reagierende Lamellenkupplung für die optimale Kraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse. Geniale Erfindung dabei ist die sogenannte Kugelrampe. Das ist ein mechanisches Stellteil, welches inmitten von Ringmagnet, Steuerkupplung mit Lamellen und Reibscheiben-Hauptkupplung verbaut ist. Im Antriebsstrang der neuen Allradler benötigt dieses simpel scheinende, indes ungeheuer effektive Präzisionsteil eine Stellzeit von längstens 100 Millisekunden, um deutlich mehr Antriebskraft auf die Vorderräder zu lenken – im Extremfall bis zu 100 Prozent. An der Hinterachse unterstützt eine mechanische Quersperre.
In unseren Fahrzeugen in edlem Macadamiametallic zählt das Fahrwerk mit Porsche Active Suspension Management (PASM) zur Serienausstattung. Federn, Dämpfer und Stabilisatoren sind neu abgestimmt. Beim direkten Wechsel von Coupé zum Cabriolet zeigt sich eine Nuance mehr Komfort im offenen 911. Mehr Sport wagen? Optional ist jetzt auch das PASM-Sportfahrwerk im Angebot. Neben strafferer Federung gibt es hier eine Tieferlegung um 20 Millimeter. Wer das weiter steigern will, sollte das Sport Chrono Paket Plus ordern. Auf dem ehemaligen Flugfeld in Groß Dölln testen wir dieses in einem roten 911 bei der Übung „0-250-0“. Dechiffriert: Vollgas, maximale Beschleunigung bis mindestens 250 km/h, dann abrupter Bremsschlag,Vollbremsung, Stillstand. Durchatmen.
Der „Take-off“ gelingt mit der zusätzlichen Funktion Launch Control mühelos. Hier erreicht der 911 die schnellstmögliche Beschleunigung aus dem Stand – gänzlich schlupffrei schießt der 911 über den Runway. Zudem sind die Schaltzeiten nochmals verkürzt. Das Carrera 4S Coupé absolviert den Zwischensprint auf 100 km/h in nur 4,3 Sekunden. Augenblicke später liegen 180 km/h an. Dann 220 km/h. Noch eine Fahrstufe mehr: 250 km/h. Die Lichtschranke fliegt näher. Und zack: Bremsschlag. Brutal wie ein Filmriss. Der Gurt fängt mich. Es schurgelt und quietscht. Doch der 911 bleibt zentimetergenau auf der Spur, steht nach rund 170 Metern. Und brabbelt im Leerlauf. So als wollte er sagen: „Mach' das noch mal.“ Nun - besser nicht.
Lieber schenken wir dem 911 mit einer optischen Bestandsaufnahme unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Erkennungsmerkmal der Allrad-Modelle ist das um 44 Millimeter breitere Heck aufgrund ausgestellter Radhäuser. Dies macht den betörenden Rücken noch verlockender. Reifen der Dimension 305/30 ZR 19 kommen zum Einsatz, aufgezogen auf Leichtmetallräder mit fünf Doppelspeichen in V-Form. Unser Cabriolet steht auf optionalen 19-Zoll Turbo-Felgen. Auch sehr schön. Die Front fällt dank neuer Lichttechnik auf. Bi-Xenon-Scheinwerfer sind Serie, genauso wie das neue LED-Tagfahrlicht. Auch hinten glühen Dioden. Optional ist zudem ein dynamisches Kurvenlicht erhältlich. Im Innenraum setzt vor allen Dingen das neue Porsche Communication Management (PCM) Maßstäbe: vergrößerter Touch-Screen, Spracherkennung und Audio-Schnittstellen machen den 911 zur Kommunikationszentrale, wenn man kurzzeitig den Dialog mit der Straße abbrechen möchte.
Damit es bei Porsche nicht zum Luxus-Stau kommt und Käufer nicht länger als drei Monate warten müssen, ist die Produktion bis an die Kapazitätsgrenze hochgefahren. Das Allrad-Coupé ist im Einführungsjahrgang 2008 ab 89.577 Euro inklusive Steuer erhältlich. Die S-Version kostet 100.525 Euro. Das Allrad-Cabriolet fährt für ebenfalls 100.525 Euro vor – als S-Cabriolet sind 111.473 Euro einzutauschen. Immer noch nicht der richtige 911 dabei? Auch das ist kein Problem: die neuen Targa-Modelle laufen sich gerade zur Markteinführung warm.
Text & Fotos: Mathias Paulokat
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