Das beste Auto der Welt – der Anspruch gilt bei den Schwaben nach wie vor. Doch mit dem Coupé der Baureihe W140 zementierte sich Mercedes ein Denkmal am Autohimmel. Classic Driver hat dem umstrittenen Beau unter das Blech geschaut.
Form folgt Funktion
Traditionell die schönste Form der Mercedes-Technik – so titelte 1981 die Werbung zum W126 Coupé. Die Kunden stimmten zu und kauften. Hätten die Werbetexter rund elf Jahre später, im Oktober 1992, den Slogan zur Einführung des W140 Coupé propagiert, die Kunden hätten sie vermutlich für verrückt erklärt. Denn nicht genug, dass die zuvor debütierte, wuchtige S-Klasse ihnen das Entsetzen ins Gesicht trieb, legte das Coupé in Sachen Design noch einmal nach.
Der letzte Entwurf von Star Designer Bruno Sacco stieß auf verhaltene Begeisterung. Nach dem fast filigran anmutenden 126er Coupé kam der Nachfolger zu wuchtig und unproportioniert daher. Eine schmale Spur ließ die 16 Zoll Alufelgen weit in die Radkästen flüchten, und auch die facettenartigen Freiform-Scheinwerfer boten keinen eleganten Anblick. Doch was in Deutschland erboste Schreiben an den Mercedes-Vorstand auslöste, kam im Ausland besser an. Das Coupé verkaufte sich mit insgesamt 26.022 Einheiten in sechs Jahren mehr als zufriedenstellend. Das war vor allem auch ein Verdienst des hohen technischen Niveaus, wodurch der Wagen letztlich den Anspruch des besten Autos der Welt gerecht wurde.
Zwei Vierventil-Achtzylinder mit 279 und 320 PS und erstmals auch ein V12 boten genug Leistung, um das zwei Tonnen-Flaggschiff (das Gewicht des V12 lag sogar 200 kg darüber) angemessen zu beschleunigen. Das dies möglichst entspannt geschah, war die Aufgabe der ausschließlich lieferbaren Automatikgetriebe, die die Kraft an die Hinterräder schickten. Dort wachten ASR und beim V12 ein ESP-System darüber, dass die Traktion nicht abriss, während sich die Insassen von den zahlreichen Helfern verwöhnen lassen konnten. Denn analog zur Limousine wartete auch das Coupé mit allem Luxus auf, den man sich 1994 vorstellen konnte. Dazu eine unerreichte Material- und Verarbeitungsgüte, die das Auto auch heute noch zu einem außergewöhnlichen Angebot machen.
Die Technik
Damals wie heute bietet das W140 Coupé ein ganz besonderes Maß an Exklusivität. Wie bei allen Luxuslinern der 90er-Jahre liegen auch bei diesem Modell Licht und Schatten eng beieinander. Die Tücke steckt dabei im Detail. So gelten die beiden Achtzylinder zwar als standfest, doch Wartungsmängel und die natürliche Alterung der im Motor verbauten Kunststoffteile und Dichtungen können für kapitale Schäden sorgen. Besonders aufwändig und somit teuer zu wechseln sind dabei die sieben aus Kunststoff gefertigten Gleitschienen der Steuerkette des Ventiltriebs.
Diese brechen durch das Erwärmen und Abkühlen im Ölnebel des Kettenkastens irgendwann kaputt, fallen in das Stirndeckelgehäuse und sorgen im besten Fall für einen unrunden Leerlauf und Leistungsmangel durch fehlende Kettenspannung, im Regelfall jedoch für einen kapitalen Motorschaden. Der prophylaktische Austausch der Bauteile ist bei den rund 15 Jahre alten Motoren dringend angeraten, bedingt aber den Ausbau des Motors. Der einzige Vorteil daran ist, dass dabei auch nahezu alle Dichtungen und Lager erneuert werden können. Der Nachteil, dass hierfür mindestens 4.000 Euro fällig werden. Wer das Heil dagegen im V12 sucht, verfügt zwar über deutlich mehr Leistung (immerhin 394 PS standen zur Abfahrt bereit), aber ebenso über mindestens doppelt soviel potentielle Fehlerquellen, deren Lokalisierung nur etwas für Spezialisten ist. Alternde Elektronikbauteile und von der extremen Hitze im Motorraum aufgelöste Kabelbäume können die Freude an dem Coupé empfindlich schmälern, zumal kaum eine Mercedes Werkstatt in der Lage ist, sich an die Probleme des Topmodells heranzutasten. Da beruhigt es, dass zumindest die Kraftübertragung kaum Probleme macht. Die Vier-und Fünfgangautomaten verrichten ihren Dienst meist über die gesamte Lebensdauer problemlos, entsprechende Wartung vorausgesetzt.
Der Probefahrt kommt bei einem Luxusliner naturgemäß besondere Bedeutung zu. Schon auf den ersten Metern lässt sich dabei viel über die Qualität des angebotenen Exemplars herausfinden. Knarzende und polternde Achsen weisen auf eine überfällige Überholung des aufwändigen Fahrwerks ebenso hin, wie haltloses Schaukeln und Wippen in schnell gefahrenen Kurven. Das optionale Aktivfahrwerk (ADS, Serie beim CL 600) bereitet zudem häufig Verdruss durch unplausible Fehlermeldungen, die nicht selten zum Austausch der sündhaft teuren Dämpfer führen.
Doch das Fahren ist nur eine Seite der Medaille des W140 Coupé. Bereits im Stand trennt sich die Spreu vom Weizen. Versagt etwa die FCKW-freie Zwei-Zonen-Klimaanlage ihre kühlende Wirkung, ist Ursachenforschung angesagt. Sofern der Verlust des Kältemittels von einem undichten Verdampfer herrührt, kommt dies einem wirtschaftlichen Totalschaden gleich. Zur Reparatur muss neben den vorderen Sitzen nämlich auch die Schalttafel ausgebaut werden, wofür selbst geübte Fachleute mindestens zwei Tage benötigen. Die aufwändige Konstruktion der Anlage erfordert zudem eine genaue Überprüfung aller Funktionen der Steuerung. Dies gilt auch für die Unterdruckanlage des großen Coupés. Der Mercedes verfügt nicht nur über eine Zentralverriegelung, die per Unterdruck arbeitet, sondern auch über pneumatisch verstellbare Lordosenstützen in den Sitzen, eine pneumatische Verriegelung der Sitzlehnen und eine pneumatische Servo-Schließung der Türen und des Kofferraumdeckels. Zwei voneinander unabhängige Unterdruckpumpen mit integrierten Steuereinheiten regeln die Drücke, doch die in den Pumpen agierenden Elektromotoren altern und versagen gerne ihren Dienst.
Angesichts dieser Fülle von technischen Malaisen verkommt die Überprüfung der Karosse zur puren Liebhaberei. Passen die Spaltmaße, hält sich der Rostbefall der mit Wasserlacken lackierten Bleche und Falze in Grenzen? Fragen, die sich mit der Routine mehrerer Besichtigungen schnell klären lassen. Dazu unbedingt die Karosserie mittels eines Magneten auf eventuelle Spachtelabenteuer untersuchen und auf die Vollständigkeit von Serviceunterlagen und Schlüsseln achten. Kann der Besitzer noch einen Ordner originaler Mercedes-Benz Werkstattrechnungen mitgeben – umso besser.
Markt und Preise
Wenn, dann jetzt! so muss das Motto für das Coupé lauten. Denn günstiger werden die letzten in Deutschland verbliebenen Exemplare nicht mehr – und gepflegte Modelle mit vielen Sonderausstattungen und wenigen Kilometern nehmen bereits heute locker die 10.000-Euro-Hürde. Bastelautos für rund 3.000 Euro gibt es derweil in einschlägigen Internetauktionshäusern. Mit diesen Exemplaren kann man allerdings nur dann etwas anfangen, wenn man als Frührentner über eine abgeschlossene KFZ-Mechatroniker-Ausbildung verfügt und gegen die intime Bekanntschaft mit dem Mercedes-Ersatzteildienst nichts einzuwenden hat.
Unter dem Strich lohnen sich diese Billig-Coupés jedoch nicht, da die notwendigen Investitionen am Ende den Kaufpreis eines guten Autos übersteigen. Der Classic-Driver-Tipp gilt Fahrzeugen aus der Schweiz. Diese Autos sind fast immer mit lückenlosem Scheckheft aus erster oder zweiter Hand und verfügen über opulente Ausstattungen. Im Preis inbegriffen eine mehr oder minder lange und genussvolle Heimreise, bei der man nachts sogar den guten Stern auf allen Straßen leuchten sehen kann.
Mercedes-Benz Coupés finden Sie im Classic Driver Marktplatz.
Fakten
Motoren: 4,2 Liter und 5,0 Liter V8- bzw. V12-Vierventilmotoren mit Katalysator (Euro 1, Aufrüstung auf Euro 2 möglich), Superbenzin
Höchstgeschwindigkeit: alle Modelle 250 km/h
Verbrauch V8-Modelle: circa 15 bis 16 Liter auf 100 km
Verbrauch V12: circa 18 Liter auf 100 km
Bauzeit: 1992 bis 1998
Stückzahl: 26.022
Empfohlene Reparaturkostenrücklage: 3.000 Euro
Text: Sven Jürisch
Fotos: Daimler AG, René Staud Photography