Schwäbische Wertarbeit
Text: Sven Jürisch
Fotos: René Staud / Mercedes-Benz
Trauen Sie sich etwas, liebe Classic Driver-Leser! Statt in ein aktuelles Mittelklasse-Cabrio zu horrenden Leasing-Conditionen zu investieren, legen Sie Ihr Geld an in einen Mercedes-Benz SL der R129-Baureihe. Dass Sie den aristokratischen Roadster auch ohne Lotto-Gewinn bar bezahlen können – und dennoch einen zuverlässigen Alltagsbegleiter erhalten – belegt unsere Kaufberatung.
Mit dem Mercedes-Benz SL des Typs R129 brachen die Stuttgarter 1989 auf in eine Neue Welt. Soviel Elektronik hatte es zuvor noch in kaum einem Mercedes gegeben. Um nicht die Fehler des Münchner Konkurrenten BMW zu wiederholen, gelangte die neue Technik erst zum Einsatz, als diese auch fehlerfrei funktionierte. Drei Motorversionen, ein Achtzylinder und zwei Reihensechszylindern, standen zur Auswahl und nur wenige Tage nach dem Debüt auf dem Genfer Autosaloon waren die ersten Kaufverträge Gegenstand von Verkaufsanzeigen in der Fachpresse. Gegen Mehrpreis von fünfstelligen DM-Beträgen. Grund für die große Beliebtheit war insbesondere das vollautomatisch arbeitende Stoffverdeck. Es faltete sich auf Knopfdruck selbstständig hinter den beiden Notsitzen in einem Kasten zusammen. Damit gehörte das lästige Hantieren mit Haken und Spriegeln wie beim Vorgänger der Vergangenheit an.
1992 erschien mit dem 394 PS starken 6,0-Liter-V12 das Spitzenmodell, das zusätzlich über ein Fahrwerk mit elektronisch geregelten Stoßdämpfern verfügte. Dieses ließ dem Fahrer die Wahl zwischen einer komfortablen oder einer sportlich straffen Charakteristik seines SL und bot mit dem ebenfalls serienmäßigen ESP ein neues Maß an Fahrdynamik und Fahrsicherheit. Im Laufe seines Lebenszyklus erfuhr der Roadster zahlreiche Anpassungen an das aktuelle Motorenprogramm der PKW-Baureihe von Mercedes. So wich ab 1995 die KE-Jetronik einem modernen Motormanagement und auch die bewährten Reihensechszylinder wurden 1998 durch den modernen V6-Dreiventiler abgelöst. Detailmodifikationen, etwa die Neugestaltung von Scheinwerfern und Stoßfängern, die Überarbeitung des Interieurs und der Einsatz von neuen Automatikgetrieben hielten den Roadster bis zu seinem Auslaufen 2001 so jung, dass er bis heute kaum von seiner Faszination eingebüßt hat. Das Produktionsende nach 204.940 Exemplaren versüßte Mercedes den Kunden mit einer „Final Edition“ genannten Serie, die heute zu den besonders begehrten Raritäten gehört.
Motoren und Getriebe
Der R129 gilt bis heute als einer der unproblematischsten Fahrzeuge von Mercedes. Fachkundige und regelmäßige Wartung vorausgesetzt, läuft der Roadster störungsfrei bis ins hohe Alter. Lediglich zwei Versionen bilden hiervon eine Ausnahme und sind keine wirkliche Empfehlung wert. Zum einen der nur zu Beginn angebotene 300 SL 24 V, der mit seinem von der englischen Firma Cosworth konstruierten 24-Ventil-Zylinderkopf häufig unter Motorschäden litt. Zum Anderen der Zwölfzylinder. Das Topmodell bildet einen Schmelztiegel aller möglichen Defekte eines SL. So kommt es neben Motorschäden besonders an dem aktiven Fahrwerk zu Störungen, deren Beseitigung grundsätzlich nur in Tausend- Euro-Schritten möglich ist.
Dazu sind die Fahrleistungen nur unwesentlich besser als bei dem heimlichen Favoriten, dem 500 SL, sodass sich der höhere Einsatz bei den Betriebskosten kaum rentiert. Der V8 des 500 SL stellt dann auch die eigentliche Empfehlung für den Roadster dar. Der aus den Limousinen bekannte Motor begann seine Karriere als Vierventiler mit 326 PS und lief ab 1998 als Dreiventiler mit 306 PS vom Band. Dank eines satten Drehmoments von 530 Nm kommt der Wunsch nach mehr Durchzugskraft erst gar nicht auf. Zu der beeindruckenden Performance, dem dezenten aber wahrnehmbaren V8-Sound und der hohen Laufruhe, gesellt sich eine mustergültige Zuverlässigkeit. Bei hohen Laufleistungen kommt es jedoch hin und wieder zur Ermüdung der Steuerkette, defekten Luftmassenmessern und minimalen Ölleckagen.
Eine ähnliche Zuverlässigkeit bietet der Reihensechszylinder, den es zunächst im 300 SL als Zweiventiler mit 190 PS gab. Diese und auch die späteren Mehrventilversionen 280 SL und 320 SL leiden manchmal unter undichten Zylinderkopfdichtungen sowie brüchigen Motorkabelbäumen. Im fortgeschrittenen Stadium verursachen diese defekten Kabel Kurzschlüsse, bei denen das Motorsteuergerät in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Den späteren V6-Motoren sind hingegen solche Probleme völlig fremd. Sie verrichten ihren Dienst nahezu störungsfrei.
SL 73 AMG (1999 - 2001): Mit 525 PS und 750 Nm Drehmoment die stärkste AMG-Variante des SL R129.
Bis auf den mit einem Schaltgetriebe erhältlichen SL 280 sorgen Vier- oder Fünfgangautomatikgetriebe für die Kraftübertragung an die Hinterräder. Die Automaten sind unempfindlich gegen Störungen, lediglich bei dem elektronisch gesteuerten Fünfganggetriebe streikt bisweilen die fünfte Fahrstufe oder der Rückwärtsgang. Kommt es bei Lastwechseln zu einem Schlagen aus dem Kardantunnel, sind entweder die Hardyscheiben oder das Wellenmittellager verschlissen. An der Hinterachse kann ein schwitzendes Differential für Diskussionen mit dem TÜV-Prüfer sorgen, während die aufwändige Mehrlenkerhinterachse kaum Probleme macht. Die gibt es eher an der stark belasteten Vorderachse, wo ausgelutschte Stoßdämpfer, verschlissene Schwenklager der Querlenker und poröse Gummibuchsen der Stabilisatoraufhängung dem R129 schnell ein schlingendes Fahrverhalten verleihen. Insbesondere der Ersatz der Schwenklager ist kostenintensiv, da diese nur komplett mit den Gussquerlenkern gewechselt werden können.
Wer schnell fährt, sollte auch gut Bremsen können. Der R129 verfügt neben einem ABS (ab 1995 auch ESP lieferbar) über vier Scheibenbremsen. Doch trotz des hohen Gewichtes und der stattlichen Fahrleistungen, zeigt sich die Anlage von ihrer besten Seite. Die Bremsscheiben halten erstaunlich lange. Einzige Auffälligkeit könnte der zu lange Weg der Fußfeststellbremse sein, die sich aber problemlos nachstellen lässt. Bei Fahrzeugen mit ESP-System kann es durch einen defekten Lenkwinkelsensor zum Ausfall des Systems kommen. Dieser Fehler wird aber durch ein Aufleuchten der ESP-Kontrollleuchte angezeigt wird.
Karosserie
Von gleicher Unauffälligkeit wie die Technik zeigt sich auch die über die gesamte Bauzeit unveränderte Karosse. Bis zum Modelljahr 1997 ist Rost kein Thema. Danach setzte Mercedes im Werk Bremen wasserlösliche Lacke ein. Bei diesen Fahrzeugen kann es mitunter zur Verbreitung der braunen Pest an Sicken und Kanten kommen. Besonders kontrollieren sollte man die unter den Kunststoffschwellerabdeckungen verborgenen Wagenheberaufnahmen sowie den Kanten der Bleche im Motorraum.
Drängen Sie auf eine Funktionsprüfung des Softtops, auch wenn der Verkäufer das Hardtop montiert hat. Denn die komplexe Steuerung leidet unter defekten Steuergeräten oder unter fehlerhafter Einstellung. Eine Reparatur ist nur etwas für Spezialisten. Der Verdeckstoff ist in der Regel bei allen SL schon getauscht worden, da vor allem die seitlichen Dreiecksscheiben unter dem jahrelangen Knicken beim Zusammenfalten leiden. Zwar kann man die Scheiben mitsamt der hinteren Verdeckhälfte einzeln kaufen, doch in der Regel ist auch der Rest des Verdecks in diesem Stadium bereits stark verschlissen. Die häufig vorhandenen Extras von der elektrischen Sitzverstellung mit Memory bis hin zur originalen Standheizung sollten im Rahmen der Besichtigung ausnahmslos geprüft werden. Überraschungen sind aber auch hier eher selten zu erwarten.
Fazit
Der SL war in seiner Bauzeit das Aushängeschild einer anspruchsvollen Automobilgesellschaft, und er hat auch heute nichts von seiner Wirkung eingebüßt. Noch immer wirkt der Roadster wie ein rollender Kontoauszug, auch wenn er mittlerweile für einen Bruchteil seines Neupreises zu haben ist. Für 15.000 Euro hat man in der Regel freie Auswahl und es ist im Wesentlichen Geschmacksache, ob man sich für ein Modell der ersten oder der letzten Serie entscheidet. Nur original sollte es sein. Besonders krude Farbkombinationen sind meist Anschaffungen fürs Leben und sollten gut überlegt sein, denn nicht immer findet sich später ein Liebhaber für Farben wie Almadinrot oder Beryll.
Im Gegensatz zu seinen zeitgenössischen Konkurrenten profitiert der SL in Sachen Unterhalt von der Nähe zur Großserie. Der Verbrauch aller Modelle, bis auf den V12, liegt auf zeitgemäßem Niveau. Versicherung und Steuer sind auch für Normalverdiener keine unüberwindliche Hürde. Da fügt es sich, dass dank des zum serienmäßigen Lieferumfang gehörenden Hardtops der R129 problemlos das ganze Jahr vor der Haustür geparkt werden kann. Sie werden sehen, wie das beim Nachbarn wirkt.