Sieg der Sterne
Text & Fotos: Mathias Paulokat
Als Super-Limousine schrieb Ende der sechziger Jahre der Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 weltweit Schlagzeilen. Der Sechs-Drei symbolisierte den sprichwörtlichen Wolf im Schafspelz und fuhr selbst Sportwagen vom Schlage eines Porsche 911 S, Jaguar E-Type 4.2 und Maserati Mistral in Grund und Boden. Die Leistungsspitze des großen Wagens markierten für Rennzwecke umgebaute und nochmals leistungsgesteigerte Versionen des 300 SEL. Classic Driver fuhr das wohl letzte erhaltene Original des Über-Benz. Ein Stern des Donners.
Flüchtige Idylle im Morgenlicht: Friedlich und doch souverän ruht die silberne Limousine sanft gebettet in ihren Luftkammer-Federbälgen. Lang, breit und flach kauert der Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 mit dem auf 6,9 Litern aufgebohrten Motor auf dem nassen Asphalt. Regungslos, wie ein gestrandeter Wal. Die Hochkühlermaske ragt steil in den Wind. Darunter kratzt ein separater Ölkühler für das Automatikgetriebe scheinbar an der Fahrbahndecke – so tief liegt die Karosse. Stoßstangen und nahezu sämtliche Chrom-Zierteile sind entfernt. Der eleganten Formensprache der „neuen Klasse“, gezeichnet von Paul Bracq, tut das keinen Abbruch. Uns ist ein ganz großer Wagen erschienen - ein Rennfahrzeug wie von einem anderen Stern.
Hubraum statt Drehzahl
Szenenwechsel. Gut 40 Jahre zurück. als Mercedes-Benz Mitte der sechziger Jahre die neue Klasse präsentierte, war das Zeitalter der verspielten Heckflossen schlagartig vorüber. Schlichte Sachlichkeit statt barocker Opulenz war fortan die wegweisende Devise - wenigstens was die Formensprache anbelangte. Bei den Motoren rüsteten die Stuttgarter kräftig auf und nahmen das PS-Wettrennen der Amerikaner an. Sie setzten dabei ganz unprätentiös auf amerikanische Methoden: acht Zylinder in V-Anordnung und jede Menge Hubraum.
Daimler-Benz Versuchsingenieur Erich Waxenberger persönlich zeichnete für das Grundkonzept des Sechs-Drei verantwortlich. Mit viel Fingerfertigkeit implantierte er 1966 kurzerhand den mächtigen M 100 V8-Zylindermotor aus dem Mercedes 600 in einen 300 SEL und überließ Rudolf Uhlenhaut die Zündschlüssel, der sich schon immer ein „starkes Auto zum Brausen“ wünschte.
Der zeigte sich begeistert und nach einigen Modifikationen an der Karosse und Technik, zahlreichen Versuchs- und Testfahrten, ging der große Wagen schließlich ab Dezember 1967 mit 250 PS bei 4.000 Umdrehungen pro Minute und einem maximalen Drehmoment von 500 Newtonmetern bei nur 2.800 Touren in Serie. Die Presse jubelte. Weltweit. Der wohl ursprünglichste automobile „Wolf im Schafspelz“ beschleunigte laut Werk mit nur 6,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h schneller als ein Porsche 911 S. Die Spitzengeschwindigkeit von 225 Stundenkilometern reichte, um Jaguar E-Type 4.2 der Serie 2 und Maserati Mistral Sportwagen zu düpieren.
Angriff der Sternenkreuzer
Klaus Behrman, Hamburger Eigentümer des einzigartigen und vollständig originalen S-Klasse Tourenwagens, fuhr 1971 selbst als Privatfahrer Rennen mit seinem Boliden. Er kennt die Mercedes-Benz Motorsportgeschichte dieser Jahre genau: „Eigentlich hatte sich Mercedes bereits 1964 aus dem Motorsport zurück gezogen. Die Zeit der großen Limousinen als Sportgeräte schien vorüber. Schnellere und wendigere Autos dominierten das Renngeschehen. Doch mit dem Sechs-Drei in der Hinterhand erkannte Daimler die große Chance, noch einmal im Motorsport zu reüssieren.“
Die Stuttgarter planten für Juli 1969 einen großen Angriff beim 24 Stunden Rennen im belgischen Spa. Drei Fahrzeuge mit prominenter Besatzung sollten an den Start gehen: Le Mans Gewinner Jacky Ickx, das finnische Rallye-Ass Rauno Aaltonen, Argentinienfahrer Dieter Glemser, Mercedes-Stammfahrer Hans Herrmann und Formel II Fahrer Kurt Ahrens zusammen mit Erich Waxenberger. Zwei 6,9 Liter Wagen und ein 6,3 Liter Wagen wurden intensiv getestet.
Klaus Behrmann erinnert sich: „Die Autos liefen grandios, nur die Reifen machten Probleme. Immer wieder brachen Profilstollen weg.“ Letztlich zog Daimler die Nennung zurück, weil die Zeit für eine Homologation breiterer Reifen und Kotflügel fehlte. Ein Jahr später klappte es wieder nicht, weil die Zulassungsbedingungen erneut geändert wurden. Das war das Ende des offiziellen Daimler-Engagements.
Der Hamburger und das Ingenieurbüro AMG der Gründer Hans-Werner Aufrecht und Erhard Melcher aus Großaspach in Baden-Württemberg hingegen machten weiter, mit verschiedenen Fahrzeugen. AMG setzte auf einen eigens aufgebauten Motor, während Klaus Behrmann den auf 6,9 Liter aufgebohrten 6,3 Liter Reservemotor aus Spa mit rund 360 PS Leistung einsetzte, in einem Fahrzeug, das er 1970 selbst verkauft hatte und wenige Monate später bereits als Unfallwagen zurück bekam. Der Wagen, der jetzt zu leuchten beginnt.
Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 (6.9) Tourenwagen – Teil 2
Schlüsselszene: Ich nehme Platz im wohl schnellsten Salon seiner Zeit. Statt kommoder Ledersessel der „normalen“ Sechs-Dreier, zwängt mich eng geschnittenes Renngestühl hinter das Steuerrad. In den Händen halte ich ein mit Leder bespanntes Drei-Speichenlenkrad mehr...