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Magazin

Mercedes-Benz 180 D Ponton

Slow Motion!

Text & Fotos: Mathias Paulokat

Zeitenwende bei Mercedes-Benz: 1953 hielt die Ponton-Generation Einzug. Und damit eine kleine Revolution im Automobilbau. Denn die knuffige Limousine war die erste von Mercedes mit selbsttragender Karosserie. Und damit Wegbereiter des modernen Karosseriebaus. Zugleich sorgten die Motoren für Aufsehen: weniger durch Leistung als durch ihre beachtliche Langlebigkeit. Knapp 60 Jahre später stellen wir die Frage: „Kann man mit einem 40 PS starken und 110 km/h schnellen Mercedes-Benz 180 D im Alltag bestehen?“ Classic Driver hat die Probe aufs Exempel gemacht.

Wenn ein Kind ein Auto malt, sieht es vermutlich genau so aus. Motorraum, Passagierabteil, Kofferraum und zwei Räder. Alles schön rund. Fertig ist das Automobil. Oder eben der Mercedes-Benz Ponton. Denn dessen Karosserie weist in der Silhouette exakt dieses Erscheinungsbild auf. Es ist damit automobile Sympathie pur. Knuffig, ein Auto, zum gern haben. Dabei ist der kompakte und doch erstaunlich geräumige Wagen ein kleiner Revolutionär. Denn der Ponton entsagt dem Leiterrahmen, langen Kotflügeln, seitlichen Trittbrettern, freistehenden Scheinwerfern, kurzem Heck und planen Scheiben. Er zettelte in Stuttgart den modernen Automobilbau an – in Gestalt eines Fahrzeugs, welches bei Mercedes erstmals eine selbsttragende Karosse besaß. Also eine Blechzelle, die so steif ist, dass sie nicht auf einem langen Kastenrahmen fixiert werden muss.

In der Sprache der Designer heißt dieses Erscheinungsbild Three-Box-Design, abgeleitet aus den drei genannten Fahrzeug-Einheiten. Tatsächlich stammte dieses Konzept aus den USA. In Deutschland zeigte 1949 erstmals der Borgward Hansa 1500 dieses Erscheinungsbild. Wenig später Modelle von Opel und Ford. So gesehen war Mercedes in Sachen Karosseriebauweise ein Nachzügler. Man könnte jedoch auch argumentieren, dass sich die Stuttgarter einfach mehr Zeit für die Konstruktion gelassen hatten. Denn auch heute noch wirkt der Ponton in seiner Art nicht nur sympathisch, sondern auch schlüssig und zeitlos. Die Karosserie weist glatte Seitenteile auf. Gegenüber einem klassischen Oldtimer – in opulenter Gestalt von Vorkriegsfahrzeugen – wirkt der Ponton damit beinahe modern.

Das Konzept: wegweisend

Die Konstruktion brachte nennenswerte Vorteile mit sich. Das Fahrzeug bot gegenüber seinem Vorgängermodell (Baureihe W136) deutlich mehr Platz. In der Länge, wie in der Breite. Eine um rund 20 Prozent größere Kabine und rund 75 Prozent mehr Gepäckvolumen waren beachtliche Resultate der neuen Bauweise. Dennoch reagierten manch konservative Mercedes-Benz Kunden zunächst skeptisch. Denn die Form brachte auch eine Entsagung des dramatischen Automobildesigns mit sich. Manche argumentierten gar, dass der Ponton ein wenig plump wirke. Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist immerhin die Tatsache, dass die aktuelle E-Klasse der Baureihe W212 im Bereich der hinteren Radhäuser wieder Stilmerkmale des Pontons aufgreift.

Konstruktionstechnisch trug der Ponton unter dem Blech übrigens immer noch Rahmenteile, die für Versteifung sorgten. Eine kombinierte Rahmen-Bodengruppe war mit dem Karosserieaufbau verschweißt. Auch wenn die Sicherheitskarosserie mit Knautschzonen erst richtig in dem Nachfolgemodell W110, gemeinhin als Heckflosse bekannt, Einzug hielt, so zeigte die Ponton-Karosserie in Sachen Crashverhalten doch bereits erstaunliche Tugenden. Die Antriebseinheit wurde mit der Lenkung auf einem Fahrschemel montiert, der mit Fahrwerk und Karosse verbunden ist.

Aufgrund der durablen Vierzylinder-Motoren erwarben sich die Fahrzeuge der Baureihen W120 und W121 weltweit einen Ruf zuverlässiger Automobile, die enorme Laufleistungen erreichten. In der Diesel-Klasse trat eben solches Fahrzeug – ein 180 D mit 40 PS - sogar bei der Mille-Miglia an. Und gewann 1955 in seiner Klasse – mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 94,65 km/h! Kaum einer nahm davon jedoch Notiz, weil Stirling Moss in eben diesem Jahr auf dem 300 SLR einen grandiosen Gesamtsieg und Geschwindigkeitsrekord einfuhr – mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 157,65 km/h.

Die Motoren: legendär

Ob Benziner oder Diesel – die Vierzylinder Ponton-Motoren sind Arbeitstiere. Zunächst kommt bei den Benzinern der seitengesteurte 52 PS starke Motor aus dem 170 S zum Einsatz. Er ist zäh und solide. 1957 wird dann nur noch der 1,9 Liter Motor mit einer oben liegenden Nockenwelle und immerhin 68 PS verbaut. Der Dieselmotor, das ist der 180 D oder werksintern OM 636 VII, der in seiner Grundform aus dem 170 D stammt und unverändert als Langhuber ausgelegt ist. Das Aggregat mit 1.767 ccm leistet 40 PS. Er ist ebenfalls obengesteuert, nur liegt die Nockenwelle seitlich am Motor. Diese Motoren sind für Laufleistungen von mehreren 100.000 Kilometern bekannt, dabei in Verbrauch und Wartung erstaunlich genügsam und festigten so den Ruf der üblicherweise als laut und lahm bekannten Dieselaggregate.

Unser Ponton-Exemplar aus dem Jahre 1959 steht in entwaffnender Ehrlichkeit vor uns. Mit erkennbarer Patina an Chrom und Lack. Das Blech ist partiell nachlackiert und hier und da ein wenig aus der Form. So sehen echte Gebrauchs-Pontons aus. Doch der gotische Grill reckt sich erhaben in die Höhe, der Stern glänzt matt. Reinhard H. Sachse von Steenbuck-Automobiles hat den Wagen ans Tageslicht geholt und meint: „Der startet auf Schlag!“ Beinahe. Denn eine knappe Vorglühminute müssen wir dem Ponton nach einer frostigen Nacht schon gönnen. Dann aber rattert der Ölmotor los. Eine staubig-schwarze Dieselwolke inszeniert diesen Startvorgang sichtbar. Die Kompression ist noch gut. Von Altersschwäche keine Spur. Zwar nagelt der Langhuber hörbar, doch macht er das mit dem gewohnt verlässlichen Mercedes-Taxi-Klang, der bei mir sofort automobiles Grundvertrauen erzeugt.

Ich richte es mir im gemütlichen Abteil ein. Die ideale Sitzposition ist spontan gefunden: sie entspricht der eines abgewetzten ledernen Clubsessels. Prompt greife ich nach dem Lenkrad aus Bakelit mit stattlichem Chromzierrat. Dahinter liegen kleine Uhren und Schalter. Alle schön und sorgsam aufgereiht, gute deutsche Ordnung wie in einem schwäbischen Wohnzimmer. Behutsam drehe ich den Leerlaufsteller zurück. Der Motor brabbelt schon behaglicher. Die Rundumsicht aus der Ponton-Kanzel ist famos. In alle Richtungen gibt es reichlich Ausblick. Und Überblick über die Karosse. Ich löse die Handbremse und bediene die Lenkradschaltung. Ruckfrei setzt sich der 180 D in Bewegung. Die Fahrt, sie beginnt.

Das Fahrerlebnis: überraschend

Der erste Gang reicht zum Anrollen. Über den Wählschalter an der Lenksäule gleitet der zweite Gang hinein. Das geht erstaunlich einfach und beinahe intuitiv. Zum Blinken dreht man den inneren Lenkradkranz – nach links oder rechts. Einfach, genial. Es folgt bereits der dritte Gang. Und der Vierte. Mehr gibt es nicht. Macht nichts, der Ponton ist bereits mit 65 Sachen unterwegs. Eine Wolke Unverbranntes entfleucht beim letzten Gangwechsel und hält den nachfolgenden Verkehr auf Abstand. Den Ponton drängelt niemand. Angenehm – für den Fahrer eines 180 D. Dabei schnurrt der Diesel in einer Gemütslage, wie ich sie sonst nur von geselligen Runden aus dem „Goldenen Lamm“ in Stuttgarter Randgefilden her kenne. Jetzt wärmt die Heizung aus dem Fußraum. Deutliches Zeichen: der Motor hat seine Betriebstemperatur erreicht. Der Ponton zieht seine Bahnen. Und das mit erstaunlichem Komfort. Das simple Fahrwerk mit langen Federwegen behält selbst bei bösen Quer- und Längsfugen die Fassung. Zudem klappert und rappelt nichts, die Ponton Karosse macht ihrem Namen alle Ehre. Ich ertappe mich beim spontanen Gedanken: „Wer braucht da noch eine luftgefederte S-Klasse?“

Das ist keck, denn der Ponton läuft nun 90 km/h und man merkt – viel mehr ist nicht drin. Die Mille-Miglia Durchschnittsgeschwindigkeit von 1955 will ich nicht mehr aus ihm heraus kitzeln. Nein, Endgeschwindigkeit ist seine Sache nicht. Kontrollierte Langsamkeit schon eher. Das Mithalten im Stadtverkehr jedoch ist ihm nicht fremd; sofern der Motor richtig warm gefahren ist. Das Fahrwerk verlangt allerdings auch nach stark gemäßigter Fahrweise. In zügig durchfahrenen Kurven erlebe ich ein deutliches Übersteuern. Das Wagenheck drängt nach vorne, bei gleichzeitig beachtlicher Schräglage des gesamten Fahrzeugs. Das bremst ganz automatisch die Ambitionen und schont wiederum den Motor. Eigentlich eine gelungene Synergie. Was also braucht es mehr zum automobilen Vorankommen? – Eigentlich nichts. Der 180 Diesel Ponton fährt ohne Murren. Von A nach B und immer weiter bis nach Z und auch wieder zurück. Langsam, aber man kommt an. Mehr noch: ein Radio gibt es auch. Und ausreichend Platz für vier Personen. Einen Kofferraum, der seinen Namen verdient. Seitenfenster hat er zum Herunterkurbeln und – das Beste – ein großes Faltdach für Cabriolet-Flair. Dieser Ponton besitzt sogar eine Anhängerkupplung mit welcher er sich nicht nur als Sonntagsauto empfiehlt.

Aus gutem Grund hat Mercedes-Benz den Ponton anläßlich des 125. Jubiläums des Automobils im Jahr 2011 als einen von 12 Meilensteinen auf dem Salon der 26. Techno Classica präsentiert. Seite an Seite mit dem 300 SL Flügeltürer. Vieles, was nach dem Ponton kam, war automobiler Fortschritt – aber keine automobile Revolution. Bei Mercedes ging es 1961 mit den Mittelklassemodelle der Baureihe W 110 weiter. Abgelöst wurden die Flossen 1968 von der sachlichen Strich-Acht Generation, die dem Barock schließlich gänzlich entsagte. Es folgten der letzte „klassische Mercedes“ W123, der vielleicht solideste Benz in Gestalt des W124 und danach die von Elektronik gezeichnete Neuzeit. Das Auto aber – das ist der Ponton. Bitten Sie doch mal ein Kind, ein Auto zu malen. Sie werden sehen.

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