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Magazin

Iso Rivolta GT

Vom rollenden Kühlschrank zum Gran Turismo

Text & Fotos: Jan Baedeker

Mit der Isetta war Renzo Rivolta in den 50er Jahren reich geworden. Auf dem Turiner Salon 1962 präsentierte der Mailänder Industriemagnat seinen ersten eigenen Sportwagen. Der Iso Rivolta GT war überragend schnell, dabei beeindruckend komfortabel und von höchster italienischer Eleganz. Oder wie sagte François Truffaut so treffend: „Was die Riva auf dem See, ist der Rivolta auf der Straße“.

Wie viele seiner späteren Kollegen und Konkurrenten war auch Renzo Rivolta über Umwege zum Automobil gekommen. Ende der 1930er Jahre hatte der Sohn einer Mailänder Industriellenfamilie den Kühlschrankhersteller Isothermos übernommen. Nach dem Krieg begann Rivolta, neben Küchengeräten zunächst Motorroller, dann auch Kleinwagen zu fertigen. Im Wirtschafts- und Mobilitätsboom der 50er Jahre landete Rivolta mit der kugeligen Isetta einen ersten internationalen Erfolg: Der dreirädrige Stadtflitzer, dessen Design eben nicht zufällig an die Kühlschränke der Ära erinnert, wurde in Deutschland, Frankreich und Brasilien unter Lizenz geliefert. Allein bei BMW verkaufte sich die „Knutschkugel“ weit über 130.000 Mal. Ende der 1950er Jahre war Renzo Rivolta ein großer Name im Kleinwagensegment – doch sein eigentliches Interesses galt einer anderen automobilen Klasse: dem Gran Turismo. Dieser verkörperte die neue Eleganz der Epoche, er vereinte den Reisekomfort eines „Quattroporte“ mit dem rasanten Glamour eines Sportwagens – und fügte sich somit perfekt ins Idealbild des jungen Jetset zwischen Tessiner Chalet und Riva-Boot.

Unzufrieden mit der divenhaften Technik seiner privaten Jaguar und Maserati, entschloss Renzo Rivolta sich 1961 kurzerhand, einen eigenen, verlässlichen und komfortablen GT-Sportwagen zu entwickeln. Aus heutiger Sicht ein riskantes Unterfangen, doch die Nachkriegswirtschaft florierte und es gab in Norditalien eine ganze Reihe gut gepolsterter Privat-Investoren und brillianter Techniker, die zeitgleich ähnliche Projekte auf die Beine stellten, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Die zündende Idee kam Rivolta beim Besuch der Frankfurter IAA im Jahr 1961, als er zufällig das Gespräch zweier amerikanischer Gentlemen verfolgte: Beide waren sich einig, dass der perfekte Reisewagen nur ein eleganter europäischer GT mit stabilem amerikanischem Motor sein konnte. Als Rivolta erfuhr, dass es sich bei einem der Amerikaner um den Generalimporteur für europäische Automobile handelte, bat er seinen Freund Nuccio Bertone um Rat. Bertone, dessen gleichnamige Turiner Carrozzeria in den späten 1950er Jahren als eine der wichtigsten Adressen für Automobildesign in Italien galt, berichtete ihm von einem aktuellen Projekt, bei dem sein Studio ein britisches Chassis mit amerikanischem Triebwerk und italienischem Design gekreuzt hatte: dem 2+2-sitzigen Gordon GT. Rivoltas Interesse war geweckt.

Basta! Basta!

Nuccio Bertone hatte nicht nur ein besonderes Gespür für Trends, er hatte auch eine Nase für neue Talente: Das Design für den Gordon GT hatte Bertone einem 21-jährigen Nachwuchsdesigner Namens Giorgetto Giugiaro übertragen, der gerade bei Fiat abgeworben worden war. Als Antrieb für den 2+2-Sitzer diente ein 290 PS starker Achtzylinder aus der Corvette, die strukturelle Basis stellte ein Rohrrahmenchassis und beim Fahrwerk kam vorn eine Einzelradaufhängung, hinten eine De-Dion-Starrachse zum Einsatz. Der erste Prototyp wurde 1960 auf dem Genfer Salon gezeigt, kurz darauf absolvierte die Presse ihre ersten Testfahrten. Die Reaktionen waren positiv, das britische Magazin Autocar nannte den Gordon GT gar „das elektrisierendste aller jemals getesteten Automobile“ – und auch der Vorstand von Chevrolet zeigte sich begeistert von der europäischen Koproduktion. Dennoch gelang es dem Entwickler John Gordon nicht, in England eine Finanzierung für die Serienproduktion auf die Beine zu stellen. Im Herbst 1961 schickte Gordon den Prototypen zurück zu Bertone, um mögliche italienische Investoren zu akquirieren. Nuccio Bertone erinnerte sich an das Gespräch mit Renzo Rivolta in Frankfurt – und griff zum Telefon.

Eine erste Probefahrt von Mailand nach Padua konnte Rivolta vom Potenzial des Gordon GT überzeugen (John Gordon schaltete bei 210 km/h zur Demonstration der Motorflexibilität durch alle vier Gänge, während Rivolta von der Rückbank „Basta! Basta!“ schrie), doch die Verhandlungen scheiterten. Letzlich entschied Rivolta, einen ähnlichen Wagen in Eigenproduktion zu entwickeln. Pierluigi Raggi, Rivoltas Chefingenieur, war ein talentierter Techniker, doch die Konzeption eines Gran Turismo, der es mit Ferrari, Maserati und Jaguar aufnehmen konnte, war eine Nummer zu groß. Hilfe musste her – und der Zufall kam Rivolta zur Hilfe. In der sogenannten „Palastrevolte“ wendete sich im November 1961 eine Gruppe von Ingenieuren gegen den „Commendatore“ Enzo Ferrari und verließ quasi über Nacht die Fabrik in Maranello. Einer der Ingenieure war Giotto Bizzarrini, der bei Ferrari die Entstehung des 250 Testa Rossa, des 250 GT SWB und des 250 GTO maßgeblich beeinflusst hatte. Für Iso war Bizzarrini die perfekte Besetzung: Er war nicht nur ein erfahrener Entwickler und Testfahrer, er brachte auch einen bekannten Namen ins Boot – und gab dem ehrgeizigen Projekt des Isetta-Herstelles somit auch die nötige Glaubwürdigkeit. Rivolta rief an, Bizzarrini sagte zu.

Eine Runde am Steuer des Gordon GT überzeugte den neuen Mann von der Qualität des Corvette-Motors. Bizzarrini, der vor allem die aktuellen Ferrari-Triebwerke kannte, war geradezu geschockt von der unvergleichbaren Durchzugskraft des Chevy-V8. Eine weitere positive Überraschung war die De-Dion-Hinterachse, doch die weitere Technik konnte in Bizzarrinis Augen nicht bei Ferrari mithalten. „Behalten Sie Motor und Hinterachse, schmeißen Sie den Rest über Bord“, riet Bizzarrini Rivolta. Und so geschah es. Im Hinblick auf eine mögliche Massenfertigung, die Fahrstabilität und einen größeren Innenraum wurde zunächst der Gitterrohrrahmen zugunsten einer Monocoque-Bauweise gestrichen – eine Premiere im GT-Segment. Bei der Aufhängung richteten sich Bizzarrini und Raggi nach dem Vorbild des Gordon: Einzelradaufhängung vorn, Starrachse hinten – allerdings mit zahlreichen Modifikationen. Den Vortrieb sollten zwei 5,3 Liter V8-Motoren mit 300 PS und 340 PS aus der Corvette 327 übernehmen, die zunächst „unter der Hand“ über einen Kontaktmann bei GM Switzerland organisiert wurden. Die Konzeption und Fertigung der Karosserie erfolgte schließlich bei Bertone in Turin.

Auf die Straße

Rivoltas Anforderungen an Nuccio Bertone und Giorgetto Guigiaro waren simpel: Die Linienführung sollte der aktuellen Mode entsprechend möglichst rund ausfallen, der Innenraum musste genügend Kopf- und Beinfreiheit für vier Personen bieten – und zwar mit Hut, wie ihn auch Renzo Rivolta beim Fahren stets zu tragen pflegte. Die Produktionsprozesse waren in dieser Zeit nicht mit den komplexen Abläufen von heute vergleichbar; Bertone konnte innerhalb von 40 Tagen einen fahrtüchtigen Prototypen auf die Räder stellen. Im Frühjahr 1962 unternahmen Bizzarrini und Rivolta die erste Probefahrt nach Genua, schon im Juni wurde der Prototyp des Iso Rivolta GT mit der Chassisnummer #001 in einer dramatischen Zeremonie im Garten von Rivoltas Anwesen der Öffentlichkeit präsentiert. Das hellblaumetallic lackierte Coupé war mit Borani-Speichenfelgen bestücktn und sah dem Gordon GT auf den ersten Blick durchaus ähnlich, doch schon auf den zweiten Blick erschloss sich die visuelle Eigenständigkeit und sportliche Eleganz der Form, die Giugiaro mit viel Sinn für prägnante Details entwickelt hatte.

Bis zur Premiere des Serienmodells war es jedoch noch ein weiter Weg. Obwohl der Achtzylinder eine beeindruckende Beschleunigung ermöglichte, galt es für die Entwickler noch zahlreiche große und kleinere Fehler auszumerzen. Legendär ist eine Prova-Testfahrt, bei der Bizzarrini seinem verduzten Beifahrer Raggi bei 210 km/h erklärte, die De-Dion-Achse fahre „gleich zur Hölle“ und sich bei der Untersuchung tatsächlich ein winziger Haarriss fand. Nachdem der Iso Rivolta auch in Monza ausgiebig getestet und perfektioniert worden war, folgte im November 1962 auf dem Turiner Salon die offizielle Weltpremiere. „Eine der interessantesten transatlantischen Kombinationen der Automobilgeschichte“ frohlockte die amerikanische Zeitschrift Car & Driver in ihrem Messe-Spezial, während andere Journalisten den Iso vom Stand weg als gefährlichen Rivalen für den Maserati 5300 klassifizierten. Auch der großzügige, komfortabel ausgestattete Innenraum, die elektrischen Fensterheber, die beheizte Heckscheibe und die optionale Klimaanlage trafen den Nerv der erfolgreichen Familienväter, an die sich das Konzept augenscheinlich richtete.

Anfang 1963 begann die Produktion des Iso, im März rollten die ersten Modelle aus der Produktionsstraße und weiter nach Deutschland, Holland, Frankreich, England, Österreich und in die Schweiz. Bis 1970 wurde der Iso Rivolta in den beiden Motor- und Modellvarianten IR 300 und IR 340 mehr als 790 Mal produziert – über die genaue Zahl streiten die Experten. Im Herbst 1963 folgte mit dem ebenfalls von Giotto Bizzarrini entwickelten Iso Grifo A3/C auch die passende Berlinetta zum luxuriösen Rivolta GT, was dem Namen Iso zumindest bis zum Konkurs im Sommer 1974 weltweite Bekanntheit bescherte. Auch wenn sich Renzo Rivoltas Erbe (der „Commendatore“ verstarb unerwartet im Jahr 1966) langfristig nicht gegen die großen Marken Maserati, Ferrari, Aston Martin und Jaguar durchsetzen konnte, bleibt dennoch der Mythos eines großen technischen, stilistischen und unternehmerischen Abenteuers bestehen.

Das Fahrerlebnis

„Manchmal dürfen Sie uns zu Recht um unseren Job beneiden“, schrieb der bekannte Rennfahrer und Automobiljournalist Graf Giovanni Lurani im August 1963 angesichts seiner ersten Testfahrt mit dem Iso Rivolta GT. Lurani bezeichnete den Wagen nach einer Woche und 1.000 Kilometern hinter dem Steuer schlicht als „unvergleichlich“ und betonte mehrmals, dass auch auf den Rücksitzen des 2+2-Sitzers ausgewachsene Menschen, „und nicht nur Pygmäen“ unterkämen. Die Schwärmerei in der Titelgeschichte der Autorama ging noch weiter: Jederzeit völlige Kontrolle und beste Sicht, unglaublich schnell, gleichzeitig sanft und leise, hervorragend ausbalancierte Beschleunigung, keine Wankbewegungen in Kurven und „selbst im höchsten Gang jederzeit die Bereitschaft, andere Fahrer mit offenem Mund auf der Strecke zu lassen“ – das Urteil war gesprochen.

Auch 46 Jahre nach Luranis Erweckungsfahrt hinterlässt der Iso Rivolta großen Eindruck! Classic Driver hatte die Gelegenheit, in einem originalgetreu und mit viel Liebe zum Detail restaurierten Iso Rivolta IR350 von 1966 Platz zu nehmen. Tatsächlich sind von den 792 Exemplaren wohl nur noch wenige in dieser Form erhalten geblieben – nach dem Aus von Iso im Jahr 1974 fielen die Preise und viele Modelle gerieten schlicht „in die falschen Hände“. Der heutige Besitzer des im Originalfarbton „monte carlo grigio“ lackierten Ausnahmeexemplars ist dagegen im Fond des Iso Rivolta seines Vaters aufgewachsen und hat deshalb eine besondere Bindung zur Marke: Besonders beeindruckte es ihn als Kind, wie der Vater im ersten Gang fast bis 100 km/h beschleunigte. Dass er nun selbst einen makellosen Rivolta mit Originalmotor und allen erdenklichen Extras (5-Gang-Getriebe von ZF, Borani-Felgen und vor allem ein seltenes Schiebedach, das bei Iso vielleicht 15 Mal geordert wurde) besitzt, ist für ihn ein großes Glück. Uns beeindruckt vor allem, wie zuverlässig der Motor auch im Stadtverkehr läuft und wie sanft aber bestimmt der gewaltige Achtzylinder die Passagiere beim Beschleunigen in die weichen Ledersitze drückt. Wie recht Monsier Truffaut doch hatte: Ähnlich elegant und bequem lässt sich Sport höchstens an Bord einer Riva betreiben!

Die Fakten

Motor: 5,4 Liter V8 (Chevrolet Corvette 327)
Kraftübertragungl: Manuelle Viergang-Schaltung (optional: ZF 5-Gang-Getriebe, Zwei- und Dreigang-Automatik)
Max. Leistung: 300 PS bei 5.000/min (IR 300) / 340 PS bei 6.000/min (IR 340, später auch mit 350 PS und 365 PS)
Max. Drehmoment: 488 Nm bei 3.400/min (IR 300) / 466 Nm bei 4.000/min (IR 340, später auch 488 Nm)
Abmessungen: Länge: 4.760 mm
Breite: 1.752 mm
Höhe: 1.425 mm
Radstand: 2.700 mm
Leergewicht: 1.517 kg
Produktion: von 1963 – 1970, etwa 798 Exemplare