Zu Ehren der Motorsportlegende Tazio Nuvolari starteten am 19. September 300 automobile Klassiker ihre Motoren. Die traditionelle Gedenkrunde „Gran Premio Nuvolari“ führte Motorwagen, Sportfahrzeuge und Gran Turismo in drei Tagen 1000 Kilometer quer durch Italien und forderte höchst sportlichen Einsatz von Mensch und Maschine. Classic Driver begleitete die Tour kilometergenau und zeigt dynamische, emotionale und menschliche Momente einer der schönsten und sportlichsten Klassikerrallyes des Jahres.
Start: Mantua
Die Piazza Sordello ist bis auf den letzten Pflasterstein vom Treiben der Gran Premio Nuvolari bedeckt. Auf dem Marktplatz von Mantua blüht die automobile Historie in ihren prächtigsten Formen und Farben – zugelassen zur Rallye sind Automobile, die zwischen 1919 und 1969 gebaut wurden und einen Bezug zur Rennsportära Tazio Nuvolaris vorweisen können.
Im Marktgetümmel knattert, röhrt und raucht simple Mechanik, eine süßlich-marode Wolke aus halbverbranntem Treibstoff, Motorenöl und Schmierfett liegt in der Luft – che profumo!. Vor dem großen Start wird noch einmal das Roadbook studiert, technische Feinabstimmungen getätigt und alte Bekannte begrüßt.
Teilnehmer aus Italien, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, und anderen europäischen Länder sind weitestgehend auf eigener Achse angereist. Mehrere Teilnehmer aus Japan nehmen Teil, ebenso wie Teams aus Argentinien, Brasilien und den USA. Unter den Fahrern und Copiloten, die addiert rund 600 Frauen und Männer zählen, tauchen hier und dort bekannte Namen auf – so etwa Rennfahrer Dindo Capello auf einem NSU 1200 TT, Ex-Formel 1-Pilot Gianni Morbidelli ebenfalls im NSU Wankel Spider,oder Rallyeass Luciano Viaro im Alfa Romeo 6C 1750 Gran Sport oder der Automobildesigner Harm Lakaay im hellblauen Porsche 550 Spider 1500RS.
Den Titel des Hauptsponsors der Gran Premio Nuvolari hat sich Audi gesichert. Seitdem, so Stimmen der Teilnehmer, hat die Veranstaltung nochmals an Attraktivität gewonnen. Der Bezug der Ingolstädter zur Rennsportkarriere Tazio Nuvolaris entstand in den späten 30er-Jahren mit der Marke Auto Union. Damals gewann der „fliegende Mantuaner“ den Grand Prix von Italien auf einem Auto Union Rennwagen. Gegenwärtig zeigt Audi Tradition an diesem Tag den gerade fertig gestellten Nachbau des Auto Union Typ D. Leider nur stehend!
Neben Audi bringen weitere Werksmuseen ihre Fahrzeuge an den Start. So auch das berühmte Storico Alfa Romeo, das gleich einen ganzen Fuhrpark ausrollt: 6C 1750 Gran Sport (Viaro/Viaro), 8C 2300 Le Mans (Marx/Simoni), Giulia TI Super (Di Bona/Moceri), 1900 Sport Spider (Grimaldi/Labate). Das Lamborghini-Museum entsendet an diesem Wochenende einen 350 GT und einen 400 GT ins Rallyegeschehen.
Im Gewusel aus Teilnehmern, Besuchern, Organisatoren, Pressevertretern und Ordnungshütern zünden die ersten Motoren, Rauchschwaden steigen auf. Gestartet wird sukzessive nach Entstehungsjahr, beginnend mit dem ältesten Fahrzeug. Mit einer Ausnahme: Die Startnummer 1 gebührt traditionell Tazio Nuvolari im Auto Union Typ D, rein imaginär versteht sich. So eröffnet der Bentley 3-Litre Red Label Open Tourer, Baujahr 1923, mit der Startnummer 2 vom Schweizer Team Zink/Zink um 13:30,24 Uhr die Gran Premio Nuvolari 2008. Pünktlich etwas zu spät, so wie es Tazio Nuvolari schon damals tat.
Tag 1 – Mantua-Imola-Rimini
Rund 290 Kilometer stehen an diesem halb angebrochenen Tag auf dem Programm. 290 Kilometer abseits der „Autostrada“, quer durchs Land bis an die Adriaküste Riminis. Wir starten erst spät am Nachmittag und halten Anschluss an den grauen Lamborghini 400 GT. Das Fahrergespann mit der Nummer 274 Sperangelo Bandera/Werkscopilotin Clara Magnanini, folgt einer Flotte Porsche 356. Im gesamten Feld verteilt befinden sich nicht weniger als 55 der 356er in verschiedensten Versionen und Farben.
Auf den folgenden Kilometern erreichen wir Suzzara, Carpi, passieren das Lamborghini-Werk in Sant’Agata, durchqueren die Innenstadt San Giovannis und verlassen die öffentlichen Straßen für zwei Runden auf der Formel 1-Rennstrecke von Imola. Halbzeit sagt der Kilometerstand. Langsam geht die Sonne unter und Nebel steigt auf. Wir folgen der Route in Richtung San Marino. Es geht hinauf in die Berge. Auf den düsteren Kurvenetappen warten Wertungsprüfungen. Die Bedingungen sind herausfordernd: Dichte Nebelschwaden hängen tief über dem feuchten Asphalt, es ist mittlerweile stockdunkel. Ich frage mich noch, wie die Fahrer der schweren Vorkriegswagen die engen Kurvenhänge unter diesen Bedingungen meistern, als plötzlich eine Meute Wildschweine mitten auf der Straße steht. Vollbremsung! Geschockt knipst meine Copilotin Nanette ein Foto, ehe die 15 Schweine verdutzt ins Dickicht traben. Schwein gehabt!
Nach San Marino wartet die letzte Zeitmessung des ersten Tages: Bei einem Nachtrennen im Autodromo von Misano. Aus der Ferne erblicken wir die grell erleuchtete Rennstrecke. Auf dem asphaltierten Freigelände vor dem Parcours fließt das Feld wieder zusammen. Das nächtliche Treiben unter dem Flutlicht kreiert eine elektrisierende Atmosphäre.
Erschöpft erreichen wir am späten Abend die Stadttore Riminis. Auf dem Nachtquartier nahe der Strandpromenade rollen noch die letzten Preziosen ein. Einigen Copiloten sind bereits die Augen zugefallen. Sie sind an diesem Abend wohl die Einzigen, die vor Mitternacht in den Schlaf fallen.
Tag 2 – Rimini-Siena-Rimini
Rimini, etwa 7:00 Uhr Ortszeit. Noch bevor die Sonne am Horizont aufsteigt, starten die ersten Fahrzeuge. Donnergrollen prallt an die Häuserwände, es ist der ungedämpfte Arbeitstakt der Vorkriegsmotoren, der Riminis Bewohner an diesem Morgen aus dem Schlaf reißt. Den Fahrern steht die zweite, mit fast 500 Kilometern längste Tour der Veranstaltung bevor. Die Route führt beinah komplett über Bergstraßen quer durch die Toskana bis nach Siena und wieder zurück nach Rimini. Wir entscheiden uns, das Feld strickt nach Roadbooknavigation von hinten aufzurollen. Bei Startnummer 138 schließen wir auf einen weißen Porsche 550 Spyder 1500 RS vom Team Westerman/Utberg auf. Fahrer A. Westerman lässt es im wahrsten Sinne des Wortes ordentlich krachen.
Weiter vorn im Feld, in den Bergen, stoßen wir auf einen Lagonda LG 45 TT, gesteuert vom britischen Gentlemen-Team Dutton-Forshaw/Hewitt. Der Brite bewegt das gewaltige Gefährt scheinbar spielerisch durch die Serpentinen und treibt einen ambitionierten „Dreiradfahrer“ vor sich her. Am Heck des Veteranen bläst ein oben liegendes Abgasrohr den Mythos der 30er-Jahre direkt in unser offenes Cockpit. Leicht besäuselt lassen wir uns zurückfallen bis Startnummer 261, dem Lamborghini 350 GT. Am Steuer der junge Renn- und Lamborghini-Werksfahrer Max Venturi nebst einem italienischen Journalisten namens E. Violi.
Kurz nach Siena wartet in Monteriggioni die einzige Routenpause während der gesamten Rallye, abgesehen von den Tankstopps. Die zweite Hälfte der Strecke, die unter anderem durchs Weingebiet Chianti führt, bietet traumhafte Kulissen und verwöhnt uns mit italienischen Sonnenstrahlen. An diesem Abend erreichen wir Rimini im vorderen Feld bereits um 19.30 Uhr.
Rückblickend wurde uns heute eine traumhafte wie anspruchsvolle Streckenführung geboten mit vielen verschiedenen Facetten. An Stempelstationen in den Ortschaften und Städten wurden wir von freundlichen, begeisterten Zuschauern gefeiert und vom Organisationspersonal mit Spezialitäten der Region gefüttert. Eine Besorgnis erregende Mitteilung überschattet die Veranstaltung am Abend dann doch: Ein Vorkriegsfahrzeug hat sich während der Tour überschlagen, glücklicherweise waren die Fahrer nur leicht verletzt.
Tag 3 – Das Finale: Rimini-Ferrara-Mantua
Sonntag, 21. September. Während eine ganze Stadt im Schlaf liegt, herrscht im Park Ferme reges Treiben. Im Taschenlampenlicht werden Benzin getankt, Routenanweisungen studiert, Zündkerzen gewechselt. Es ist 6:53 Uhr. Der schwere Bentley mit der Startnummer 2 rollt an die Startlinie. Das Team Zink/Zink startet durch, als die digitale Messuhr kurz nach sieben Uhr anzeigt. Die Straßen Riminis sind wie ausgestorben. Der große offene Wagen kreiert für einen Moment eine Atmosphäre wie in den Zwanzigerjahren. Wir fallen zurück und lassen eine Meute Bugatti passieren: Typ 23 Brescia, 35 T GP, Typ 37 A und Typ 37 mit dem Fahrerteam Ferarri/Ferrari. Insgesamt starten in diesem Jahr zehn Bugatti.
Langsam geht die Sonne auf. Es folgen Delage DHS und DMS Tourer, verschiedene Lagonda, Riley, Aston Martin, ein Mercedes-Benz 710 SSK, Jaguar SS 100 und wunderschöne Alfa Romeo 6C 2500. Wir lassen uns weiter zurück fallen. Ein einsamer Osca 2000 S vom Team Reiss/Hanenberger hetzt über die Landstraßen. Heute verfliegen förmlich die finalen 252 Kilometer, denn bereits um 13:00 Uhr sollen die ersten Fahrzeuge auf der Piazza Sordello in Mantua eintreffen. Die Organisatoren haben entsprechend eine Route über Land- und Schnellstraßen gewählt.
Ferrara, Halbzeit. Das Feld sammelt sich noch einmal für eine Zeitmessung im berühmten Oval Ferraras. Kurze Zeit später erreichen wir bereits die Poebene Mantuas und rollen vor einer mittelalterlichen Kulisse über die Stadtbrücke in Richtung Piazza Sordello. Das Ende erlebnisreicher 1000 Kilometer. Es folgen die Siegerehrung und der kollektive Abschied.
Platzierungen
1. #61 PASSANANTE / MESSINA (Italien) – FIAT 508 C Bj. 1938
2. #87 GAMBERINI / NOBILI (Italien) – HEALEY-NASH S1 Roadster Bj. 1951
3. #11 FERRARI / FERRARI – BUGATTI 37 Bj. 1927
Alle Resultate finden Sie unter www.gpnuvolari.com.
Fazit
Die Rallye Gran Premio Nuvolari ist eine sportliche Erlebnistour, die viel Einsatz von Mensch und Technik verlangt. Wer eine touristische Ausfahrt und gemütliches Beisammensitzen erwartet, ist hier definitiv falsch. Für den reibungslosen Ablauf der Tour sorgt eine perfekte Streckenorganisationen mit Leitpfeilen über die gesamte Strecke sowie Streckenposten an kritischen Stellen und in Innenstadtbereichen. Wir haben uns bemüht, die eindrucksvolle Atmosphäre dieser Tour aus verschiedenen Perspektiven einzufangen. Klicken Sie in unsere Bildergalerien.
Text: Jan-Christian Richter
Fotos & Produktion: Nanette Schärf, JCR
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