Ferrari 458 Italia – machen Sie sich auf einen Paradigmenwechsel gefasst. Ferrari-Zweisitzer sind kompliziert, eigenwillig und zickig? Das war gestern! Mit der neuen, 570 PS starken Achtzylinder-Mittelmotor-Berlinetta ist Ferrarifahren plötzlich kinderleicht. Dabei schneller, kultivierter und zuverlässiger als je zuvor in dieser Fahrzeugklasse. Wir servieren frische Ansichten und Fahreindrücke. Ferrari al dente!
Tempus fugit! Wohl wahr; und in einem Ferrari flieht die Zeit immer schneller, als einem lieb sein kann. Daher vorweg gleich das Wichtigste: Der aktuelle Ferrari 458 Italia schafft spielerisch den größtmöglichen Spagat zwischen ambitoniertem Rennstreckeneinsatz und alltäglichem Straßenverkehr. 2009 auf der IAA in Frankfurt präsentiert, erleben wir im ausklingenden Winter 2011 ein Automobil, das verblüfft. Begeistert und fasziniert sowieso, doch der Ferrari wartet mit technischen Innovationen auf, die so verlässlich funktionieren, wie wir es – offen gestanden – nicht erwartet hätten. Der Abstand zum Vorgänger, dem Ferrari F430, jedenfalls ist enorm, selbst zur 510 PS starken Scuderia-Version.
Schon der Anblick des 458 Italia verspricht einen radikalen Schnitt mit der jüngeren Marken-Vergangenheit. Plastisch gesprochen, besser gleich zwei Schnitte, welche die Front im Bereich der Scheinwerfer scharf konturieren und dem Italiener einen gänzlich neuen Look geben. Und der scheint auf das Wesentliche reduziert: Tempo! Extrem flach wirkt die Silhouette und kraftvoll sehnig das Heck. Die tubenförmigen Heckleuchten sind wie zwei rot glühende Strahlantriebe an die äußersten Ecken des Fahrzeugs gewandert und arbeiten sich hier förmlich aus der scharf konturierten Karosserie. Gefällig wirkt das nicht. Eher radikal und gewöhnungsbedürftig. Das Heck erscheint wie moduliert und sorgt in Verbindung mit dem übrigen Aero-Design für einen Abtrieb von 140 kg bei 200 km/h. Klar, das Übersichtlichkeit nicht die Primärtugend einer solchen Karosserie ist. Doch wer will im 458 Italia schon rückwärts fahren?
Der Einstieg in den knapp 200.000 Euro teuren Gelbpfeil gelingt dank weit aufschwingender Türen und ausreichend gewölbter Fahrzeugkanzel absolut mühelos. Die mit Sichtnähten verarbeiteten Kontursitze aus Leder passen auf Anhieb. Die Feinabstimmung der Sitze geschieht mittels manueller Verstellung. Hier ertasten wir tief unten im dunklen Innenraum recht grobe Stellhebel aus Kunststoff – ein kleiner Wermutstropfen. Denn alles andere wirkt in diesem Cockpit hochwertig. Fürs Auge und für den Tastsinn: Leder, Sichtcarbon und reduziert eingesetzte Metallteile aus leichtem Aluminium sorgen für ein sportliches, aber immer noch sehr anspruchsvoll anmutendes Interieur. Korrespondierende Kreiselemente bilden Drehzahlmesser und Lenkrad – getrennt nur von zwei schmalen Schaltwippen, die wie Krummsäbel hinter dem Volant liegen. Letzteres trägt nun nochmals betonte Züge aus Formel-Rennwagen. Der Manettino, Ferrraris kleiner Drehknopf für die Wahl der Fahrprogramme, hat wieder unten rechts seinen Platz gefunden. Tipp: Man sollte ihn erst nach einigen Aufwärmrunden bedienen. Und frühestens, wenn man sich mit dem Italia ausreichend vertraut fühlt. Denn der Knopf entfesselt ungeheures Potential.
Der rote Doppelmuskel unter der Heckscheibe ist das Herzstück des 458. Das neue Triebwerk mit einem Hubraum von 4.499 ccm ist der erste V8-Motor mit Direkteinspritzung, den der Automobilbauer aus Maranello im Heck eines seiner Modelle montiert. Die stark reduzierte Kompressionshöhe der Kolben ist typisch für Motoren, die im Rennsport eingesetzt werden. Dadurch wird ein Kompressionsverhältnis von 12.5:1 erzielt. Der Wagen ist mit einer traditionell flachen Kurbelwelle ausgestattet, wobei das Triebwerk bei 9.000 Touren volle 570 PS generiert. Daraus resultiert eine herausragende Leistung von 127 PS je Liter. Das alles verspricht nicht nur fahrerischen, sondern auch akustischen Hochgenuss.
Semplice! Und so einfach geht das: Start-Knopf drücken, Bremse lösen und ab dafür. Rauf auf die Autobahn. Blinker links, Gasstoß. Das Blechbläsertrio am Heck antwortet prompt mit einer Fanfare. Zack, ein Schlag ins Kreuz. Sekunden später rennt der Ferrari 458 Italia bereits 200 km/h. Vollkommen ohne Anstrengung. Und will immer weiter. Die linke Schaltwippe einmal ziehen. Vom siebten zurück in den sechsten Gang - ein weiterer Gasbefehl: 230, 240, 250 km/h. Die Drehzahlnadel zuckt. Und die Tachonadel im elektronischen Kombi-Instrument klettert so schnell, wie sie bei anderen Fahrzeugen bei einer Vollbremsung fällt. Verkehrte Welt?
Nein, nicht im Ferrari 458 Italia. Der Motor hält das Versprechen, welches das Design bereits im Stand vermittelt. Hier ist alles auf Beschleunigung bei optimalen Handling ausgelegt. Das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe arbeitet bei unserem Testwagen famos und schnalzt die Gänge nur so in den Antriebsstrang. Ein Ende des Vortriebs ist im Revier öffentlicher deutscher Straßen praktisch nicht spürbar. Lediglich Ampeln, Kurven oder Kreuzungen gebieten Einhalt. Die Gesetze von Roll- und Luftwiderstand indes scheinen beim 458 Italia auf direktes Geheiß aus Maranello eine Schaffenspause einzulegen. Oder in Anbetracht des aggressiven Designs und der Motorstärke gleich freiwillig die Segel zu streichen. Wie sonst käme ein Beschleunigungswert von 3,7 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h zu Stande?
Damit unterscheidet sich der vorgestellte 458 Italia auch fundamental von seinem schönen Schwesterwagen, dem Ferrari California, obwohl beide mittels neuem Achtzylinder angetrieben werden. Hier ein reinrassiger Mittelmotor-Sportwagen, dort ein elegant sportlicher GT mit aufwendigem Klappdach. Ist es tatsächlich so einfach? Nicht ganz - Beschleunigung und Handling: Dort, wo Ferrari-Berichte früher typischerweise endeten, müssen wir diesem noch einen Absatz hinzufügen. Denn der 458 Italia kann deutlich mehr, als nach der besten Rundenzeit zu hetzen. Er beherrscht durchaus auch die zügig-komfortable Gangart. Das Fahrwerk bietet im Normal-Modus für einen Ferrari dieser Klasse erstaunlich kultivierte Manieren. Die Karosse ist in jeder Situation unbeugsam und zäh wie ein alter toskanischer Olivenbaum. Hier raschelt und klappert nichts. Vorbildlich! Auch das Doppelkupplungsgetriebe kann anders, als nur die Gänge einzupeitschen. Bei vollständig geöffneter Drosselklappe liefert es flinke und doch sanfte Gangwechsel. Und die Ferrari-Ingenieure haben die Getriebeübersetzungen angepasst, so dass auch bei niedrigen Umdrehungszahlen ein hohes Drehmoment zur Verfügung steht.
Genau diese Kombination aus agil-potentem Motor und perfekt koordinierter Getriebeauslegung machen den Charakterzug des Ferrari 458 Italia aus. Das wirkt sich letztlich sogar auf die Verbrauchswerte des Hochleistungs-Italieners aus. Trotz der spürbaren Leistungssteigerung des neuen Triebwerks im Vergleich zu den vorangegangenen V8-Motoren weist der 458 Italia, im CEE-Verbrauchszyklus mit 13,7 Liter SuperPlus auf 100 Kilometer mit einem CO2-Wert von 320 Gramm pro Kilometer homologiert, den besten Wert in seinem Marktsegment auf. Ferrari hat mit dem 458 Italia technisch mächtig aufgerüstet und gleichzeitig auf das Wesentliche fokussiert: fließender italienischer Vortrieb. Ferrari fluente!
Text: Mathias Paulokat
Fotos: Jan Baedeker