Zahlen der Leidenschaft
Text & Fotos: Mathias Paulokat
Ferrari in seiner schönsten Form: der 250 GT Berlinetta SWB. Klassischer, eleganter und betörender fährt kaum ein anderer Ferrari vor. Der Rennsportwagen zeigt eine einzigartige Silhouette mit geradezu sinnlichen Rundungen im Blechkleid. Dazu herrscht reichlich Kraft im Motorraum: ein Zwölfzylinder sorgt mit rund 260 PS aus nur drei Litern Hubraum für fulminante Fahrleistungen. Kein Zweifel, der Ferrari 250 GT Berlinetta SWB steht für den Höhepunkt einer außerordentliche Zuchtlinie des Cavallino Rampante.
Manche Ziffern stehen für Legenden. Bei Automobilen sind diese Platzhalter häufig dreistellig. Denken wir zum Beispiel an die 356 oder die 507, an den Code 300 und an die 120. Der Ziffern Lösung: Porsche 356, BMW 507 Roadster, Mercedes 300 SL Flügeltürer und Jaguar XK 120 – allesamt Legenden motorisierter Leidenschaft.
Bei der Marke Ferrari gibt es eine ganze Reihe von ausgesuchten Zahlenkombinationen, die den Mythos nähren; damals wie heute. Wenn man bei den Italienern der schlichten Zahl 250 begegnet, heißt es Innehalten. Denn diese Zahl verspricht Großartiges, steht sie doch für frühe Ausnahmefahrzeuge aus Maranello. Die Ziffern haben dabei weniger spektakulären Ursprung als vielmehr eine streng technische Bedeutung: Die Zahl bezeichnet nämlich den Hubraum eines einzelnen Zylinders. 250 ccm mal 12 - macht drei Liter Gesamtvolumen. Erst mit dem Ferrari Dino 246 änderte sich diese eingängige Methode der Typisierung.
Der Ferrari 250 GTO von 1962 gilt für viele Liebhaber als Archetyp des potenten Rennsportwagens aus dem Stall von Enzo Ferrari. Doch auch der erste käufliche Ferrari mit Mittelmotor, der 250 LM – LM wie Le Mans - von 1963 zählt zu den Track-Legenden. Natürlich dürfen in dieser Aufzählung der 250er Modelle auch der 250 GT Europa, der 250 GT Tour de France und der 250 TR – TR für Testa Rossa – nicht fehlen. Der 250 GTE 2+2 und das 250 GT Cabriolet gehören ebenso in den elitären Ahnenstamm, dessen Ursprung eine gemeinsame Wurzel hat: das Ferrari 250 MM Coupé Pinin Farina von 1952. MM steht für Mille Miglia. Der ästhetisch vollendete Gipfel der 250er Typen aber zeigt sich unstrittig im Ferrari 250 GT Berlinetta SWB – produziert von 1959 bis 1962.
Aristokratische Ahnenkunde
250 GT Berlinetta SWB dechiffriert: GT steht erwartungsgemäß für Gran Turismo. Im Gegensatz zu einem schlichten Coupé ist ein GT nicht von einer Limousine hergeleitet, sondern meint ein eigenständig entworfenes zweitüriges Fahrzeug – für Ferrari fraglos Ehrensache. Berlinetta ist ein von der Marke geprägter Terminus, der den Begriff des Coupés nochmals näher spezifiziert. Berlinetta leitet sich von Berlina ab, was eine kompakte Limousine meint. Bei Ferrari sind alle Berlinetta-Sportwagen ausschließlich Zweisitzer mit geschlossenem Cockpit. Die Abkürzung SWB wiederum steht für „Short Wheel Base“, da dieser Ferrari einen auf 2.400 Millimeter verkürzten Radstand aufweist.
Und genau dieser um 200 Millimeter verkürzte Radstand verhilft dem kompakten Ferrari zu seinen atemberaubenden Proportionen, wie sie erstmals im Oktober 1959 in Paris öffentlich zu sehen waren. Der Entwurf stammte abermals von Pininfarina. Gefertigt wurde der Ausnahmewagen bei Scaglietti. Zuvor bereits stellte ein Prototyp mit langem Radstand das für den 250 typische Gesicht und eines der vollkommensten Heckpartien des Sportwagenbaus zur Schau. Zwischen Front und Heckt wirkte dieser GT allerdings noch unausgewogen. Zusatzscheiben hinter den Türen störte die klare Linie.
Das Grundkonzept des SWB gleichwohl zeigte bereits der ursprüngliche Ferrari 250 GT, der in einer Kleinserie zwischen 1953 und 1955 exakt 39mal hergestellt wurde. – Gerade in den Fünfzigerjahren trägt die Modellentwicklung von Ferrari-Sportwagen ganz eindeutig Evolutionscharakter. Die Fahrzeuge wurden konsequent aus vorherigen Varianten weiterentwickelt und technisch optimiert. Wer das Privileg genießt, einen Ferrari 250 SWB starten, pilotieren und gar sein Eigentum nennen zu dürfen, der zählt zu den rund 160 weltweit Auserwählten. Inklusive der Competizione-Modelle und wenigen Fahrzeugen mit Sonderkarosserien wurden zwischen 1959 und 1962 gemäß dem Register präzise 167 Fahrzeuge des kurzen GT hergestellt.
Bella Figura von Pininfarina
Bei dem im Pariser Grand Palais gezeigten Fahrzeug war die Karosserie noch frei von Luftauslässen, was sich in der Praxis jedoch als wenig tauglich erwies, da die warme Abluft kaum entweichen konnte und den Insassen im Cockpit arg einheizte. Und so folgten 1960 vier Ventilationsöffnungen jeweils hinter den Radkästen in der Karosserie. Außerdem erhielt der Wagen eine Zwangsentlüftung in der Heckscheibe. Ebenfalls hinzu kamen seitliche Blinkleuchten. Ein Jahr später, 1961, wanderte die fünfte Scharte in das Dach und die Heckscheibe wurde durch eine größere Variante ersetzt. Außerdem wurden die Zifferblätter der Armaturen grau hinterlegt. Weitere Detailveränderungen folgten fortlaufend, bis die Produktion des SWB bereits 1962 eingestellt wurde.
Die Karosserie des Ferrari 250 GT Berlinetta SWB ist bei den meisten Modellen aus Stahl geformt, mit Ausnahme der Motorhaube, der beiden Türen und der Kofferraumhaube, die aus Aluminium gefertigt waren. Das sparte wertvolle Kilogramm Gewicht. Die leichteren Wettbewerbsfahrzeuge wurden komplett aus Aluminium auf die Räder gestellt. Unter dem Karosseriekleid sind die Vorderräder einzeln an Dreieckslenkern aufgehängt. Schraubenfedern absorbieren Stöße. Hinten ist eine Starrachse an Längslenkern und halbelliptischen Blattfedern montiert. Rundum kommen standfeste Dunlop-Scheibenbremsen hinter Borrani-Speichenrädern mit Zentralverschluss zum Einsatz. Die Kraftübertragung auf den Hinterradantrieb geschieht mittels eines manuellen Viergang-Getriebes. Eine Einscheibenkupplung trennt den Antriebsstrang beim Gangwechsel.
Motorwerk: Magische Momente
Der V12 Motor geht zurück auf den Ingenieur Gioacchino Colombo, der dieses kurz gebaute Aggregat mit exakt 2.953 ccm Hubraum und einer Leistung von rund 260 PS bei 7.000 Umdrehungen pro Minute konstruiert hatte. Diese Leistung trifft auf ein Fahrzeuggewicht von circa 1.200 Kilogramm und einem Tankinhalt von maximal 120 Litern Kraftstoff. Zwei oben liegende Nockenwellen, gesteuert mit Kettenantrieb, sorgen für virtuoses Ventilspiel. Die Kurbelwelle ist siebenfach gelagert und drei Doppelvergaser aus dem Hause Weber sorgen für die Befeuerung. Die Temperatur reguliert neben den Entlüftungsöffnungen eine Wasserkühlung. Zur Akustik: Der Colombo-Block erzeugt einen zornig wirkenden Klang, der sofort süchtig macht und unter die Haut geht. Das Ansauggeräusch klingt gierig, das nahezu ungedämmte Auspuffdonnern ungemein respekteinflößend.
Fast genauso legendär wie der Motorklang ist der zeitgenössische Test der Zeitschrift Motor Revue aus dem Jahr 1960. „Willig wie eine Sommerliebe“ sei der SWB und „das letzte große Vergnügen auf vier Rädern, das wenigen Auserwählten in der Zeit der Massenmotorisierungen noch gestattet ist“. Im roten Drehzahlbereich waren 250 km/h möglich, im Drehzahllimit exakt 233 km/h. In nur 22 Sekunden beschleunigte der Ferrari damals von 0 auf 160 km/h und stoppte zurück bis zum Stillstand. Die Liste seiner sportlichen Erfolge vorzulesen, dürfte deutlich länger dauern. Genannt seien nur diese: Stirling Moss gewann im Sommer 1960 in Goodwood die Tourist Trophy und im selben Jahr wie auch in 1961 erkämpften Mairesse und Berger jeweils den Gesamtsieg der Tour de France.
Der Gegner des Ferrari 250 GT Berlinetta SWB ist übrigens kaum weniger mondän und vertraut ebenfalls auf ein verkürztes Chassis. Er verzichtet dabei jedoch auf eine dreistellige Ziffernkombination in der Typbezeichnung. Es handelt sich um den Aston Martin DB4 GT, der ebenfalls 1959 auf Basis des Serien-Coupés DB4 in nur 75 Exemplaren entstand, beziehungsweise um die noch selteneren Zagato-Varianten, die zwischen 1961 und 1963 geschaffen wurden. – Ob Aston GT oder Ferrari SWB – kommen solche raren Exemplare auf den Markt, ist wahre Leidenschaft gefragt, die sich in siebenstelligen Beträgen äußern dürfte.
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