Wieviele Unfälle die Mädchen von American Apparel auf dem Gewissen haben, ist nicht dokumentiert. Haushoch aalen sich die jungen Damen auf ihren Werbetafeln am Sunset Boulevard in West Hollywood und demnonstrieren ganz ungeniert die Vorzüge von hautengen Leggins oder transparenten Badeanzügen, während unter ihnen die Berufspendler vorbeiziehen. An den Anblick von nackter Haut ist man in Los Angeles eigentlich gewöhnt. Doch die Mischung aus überbelichteter Amateurfoto-Ästhetik, suburbaner Teenager-Unschuld und dem mit vollen Lippen gehauchten Versprechen völliger Freizügigkeit machte die Anzeigen von American Apparel zu einer großen Provokation. In Großbritannien wurden einige der sexuell aufgeladenen Motive bereits verboten.
Hinter der „Traumfabrik“ im Osten von Los Angeles, die mit dem Label „Made in the USA“ und fairen Löhnen für eine nachhaltigere Modeproduktion wirbt, steht der Kanadier Dov Charney. Auf den American-Apparel-Gründer gehen nicht nur die schlichten, sloganfreien Kleidungsstücke, sondern auch die Werbekampagnen zurück. Viele der Modelle, die sich in knapper Unterwäsche oder Aerobic-Anzügen im Look der 1970er Jahre auf abgesessenen Sofas räkeln, arbeiten als Verkäuferinnen für die Firma oder wurden von Charney auf der Straße gecastet. Im Gegensatz zu Konkurrenten wie H&M oder GAP lässt American Apparel die Modelle im Nachhinein nicht per Photoshop „glätten“ – ein paar Beinhaare oder Pigmentflecken steigern schließlich die Glaubwürdigkeit.
Wie auch bei Star-Fotograf Terry Richardson und seinen Blitzlicht-Provokationen schrammt diese „Ästhetik der Authentizität“ oftmals nur haarscharf an der Grenze zur Pornografie vorbei. Als erster prägender Stil der Modefotografie des neuen Jahrtausends wird sie dennoch in die Werbe-Geschichte eingehen.
Weiterführende Links Alle Werbeanzeigen von American Apparel finden sich im Archiv von www.americanapparel.net. |
Fotos: American Apparel