Um 19.05 stehen wir in Calais am Euro-Tunnel, um 19.20 rollt der Autozug in die Finsternis unter dem Ärmelkanal, um 18.55 Uhr Greenwich Mean Time tauchen wir im englischen Folkstone wieder aus der Erde. Schon Phileas Fogg hatte die Welt nur mit Hilfe der Datumsgrenze in 80 Tagen umrunden können und war genau drei Sekunden vor Ablauf der Frist in den Londoner „Reform Club“ hereingestolpert. Wir hoffen zumindest, unsere Dinner Reservation für 20.30 Uhr im Herrensalon „Mosimann’s“ einigermaßen einhalten zu können. Vom Beifahrersitz bekomme ich den Befehl zum Gasgeben, dann verabschiedet sich mein Co-Pilot vertrauensvoll zum Power Napping. Entschlummernde Fahrgäste beim Beschleunigungstest, das Erlebt man auch nur in einem Bentley.
Die Speed-Karte gerade auf den streng limitierten britischen Autobahnen auszuspielen, mag nicht die beste Idee sein, doch andererseits sollten wir mit unserem Bentley über einen gewissen, gegen Radarkontrollen immunisierenden Heimvorteil verfügen. British-Racing-Green ist die Hoffnung! Ich ziehe den Automatik-Schalthebel nach unten in den „S“-Modus, der Motor antwortet mit sofortiger Soundverschärfung im Le-Mans-Frequenzbereich und einem spürbar nervöserem Gaspedal. Ich greife in die Schaltpaddel am Lenkrad, schalte herunter, und lasse mich vom eben noch so friedfertigen Bentley nach vorne reißen wie von einer kurz geleinten Englischen Bulldogge auf Tilidin. Von der Polizeistreife, die uns auf der M20 mit Blaulicht überholt, ernten wir glücklicherweise nur irritierte Blicke: Schlummernde Personen auf dem rechten Sitz fahrender Sportwagen mit englischen Nummernschildern verheißen hier normalerweise nichts Gutes. Vielleicht träumen die Beamten aber auch nur von den 1920er Jahren, als das Criminal Investigation Department einen eigenen Bentley Speed Six besaß. Schon damals brachten die „Speed“-Modelle rennsportliche Hochleistung auf die zivile Straße. Ich wünsche mir derweil mein heimatliches Lieblingsschild mit den fünf Streifen auf weißem Grund herbei.
Die Einfahrt nach London gleicht einer „Homecoming“-Zeremonie. Während die Tour bisher ohne Begegnungen mit gleichwertigen Modellen verlief, defilieren auf den Straßen von Belgravia und Knightsbridge alle aktuellen Luxus-Spielzeuge in geradezu grotesker Dichte: Bentley Continental GT, GTC, Flying Spur oder Arnage, Aston Martin V8 N24 und DBS, Rolls-Royce Phantom in kurz und lang, die allerneuesten Ferrari- und Lamborghini-Modelle in Korso-Formation oder Mercedes SLR 772 und Bugatti Veyron mit arabischen Kennzeichen – als Vroomtown muss sich West London höchstens mit Bel Air oder Dubai City messen. Wer auf neidische Blicke aus ist, kommt hier nicht auf seine Kosten. Um 20.28 kommen wir in der West Halkin Street vor der Presbyterianischen Kirche zum Stehen, in der Maître Anton Mosimann seine Gäste empfängt. Johann Philip lässt den Sekundenzeiger gefrieren: Seit genau 13 Stunden und 33 Minuten sind wir unterwegs, inklusive freiwilliger kulinarischer und tanknadelverordneter Zwischenstopps. Mir kommt seltsamerweise nur ein Gedanke: In Le Mans fährt man 24 Stunden im Kreis, eigentlich unglaublich!
Der Feinschmecker empfielt Ihnen folgende Restaurants in London: | |
Pétrus 87 Knightsbridge London, SW1X [email protected] www.gordonramsay.com/petrus |
The Capital 22 Bail Street London SW3 1AT [email protected] www.capitalhotel.co.uk |
The Square 6-10 Bruton St. London, W1J 6PU [email protected] www.squarerestaurant.org |
Tom Aikens 43 Elystan Street, London SW3 3NT [email protected] www.tomaikens.co.uk |
Doch unsere Reise durch Europa ist noch nicht zu Ende: Nach einem ausgezeichneten Essen werden wir im Brown’s Hotel, dem ältesten Hotel der Stadt in Mayfair, dessen gediegene Salons schon Rudyard Kipling inspirierten, auf unsere Daunenkissen sinken. Morgen früh wird nach ein paar Laufrunden durch den St. James Park ein ausgiebiges und äußerst britisches Frühstück auf uns warten, goodbye Leistungsgewicht. Anschließend werden wir die letzten 300 Meter unserer Tour im Schritttempo bis in die Savile Row rollen. Phileas Fogg heiratete sofort nach der Ankunft seine exotische Geliebte. Ich werde mich – etwas weniger dramatisch – bei Norton & Sons den Maßbändern anvertrauen, britische Stoffe befühlen, vielleicht noch ein paar Hemden bestellen.
Weil aber ankommen nie so schön ist wie aufbrechen, werden wir am späten Nachmittag wieder den Startknopf drücken und uns mit sattem Brummen in den Verkehrsstrom in Richtung Süden einfädeln, den letzten Zug durch den Tunnel nehmen und durch eine neonfarbene belgische Nacht in den Sonnenaufgang steuern, bis irgendwann, in weiter Ferne am Horizont, der Berliner Fernsehturm in der Dämmerung erscheinen wird. „Die Speed-Option gibt es jetzt übrigens auch für den Bentley Continental Flying Spur“, wird mich mein Copilot informieren. „Und ‚Kontinentalexpress’ wäre auch ein schöner Titel für eine Serie.“ Wann – werde ich mich fragen – war ich eigentlich das letzte Mal in Wien, Rom, Madrid, Lissabon? Und wie soll ich bloß meinen Dinner Suit in der Savile Row abholen? Bitte liebe Teleportationsforscher und Learjet-Inspekteure, lasst Euch doch noch etwas Zeit...!
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Für die freundliche Unterstützung und Ausstattung der Tour danken wir: Bentley
Motors, Breitling,
Conrad Hasselbach,
Hermès, Norton
& Sons, sowie dem Hotel
de Rome in Berlin und dem Brown's
Hotel in London. Beide Häuser sind Teil der Rocco
Forte Collection.
In unserem Online-Archiv finden Sie übrigens noch weiterführende Informationen
zu unserem Kontinentalexpress, dem Bentley
Continental GT Speed, sowie dem brandneuen Bentley
Continental Flying Spur Speed.
Text & Fotos: Jan Baedeker
Produktion: J. Philip Rathgen
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