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Früher fuhr er selbst gegen die Rennsport-Elite – heute transportiert Gary Ayles ihre Autos

Für den vom Rennfahrer zum Geschäftsmann gewandelten Gary Ayles ist Gewinnen immer alles. Egal ob er sich in einem McLaren F1 GTR startbereit machte oder sich heute um einen millionenschweren Logistik-Auftrag bewirbt – der Appetit, der Beste zu sein, ist größer denn je. Hier ist Garys Geschichte...

Es gibt Menschen, von denen man schon im vorhinein weiß, dass sie ein wunderbarer Interviewpartner oder Interviewpartnerin sein werden. Mit Hintergrundgeschichten über die Elite des Motorsports und Geschäfte, die ihnen mehr Türen öffneten, als sie sich jemals hätten träumen lassen. Als ich bei Lanzante in Petersfield vorfuhr, um Gary Ayles (59) zu treffen, einen Mann, der in seiner Karriere mit Tourenwagengrößen und Le-Mans-Legenden gleichermaßen auf Tuchfühlung gegangen ist und jetzt Miteigentümer von Bespoke Handlingist, wusste ich, dass dies kein Arbeitstag wie jeder andere sein würde.

Für die Fotoaufnahmen hatten wir zwei ganz besondere Autos aus Garys Vergangenheit organisiert. Beide waren fast identisch mit denen, die er damals fuhr, und sollten schöne Erinnerungen an harte Kämpfe und Siege wecken. Gary begann seine Karriere Ende der 1980er-Jahre in der britischen Formel-3-Meisterschaft, stieg aber nach einem schweren Unfall in Rennwagen mit Dach überm Kopf um. In den 90ern feierte er seine größten Erfolge, errungen auf Top-Niveau in einer für den Tourenwagen- und GT-Sport sehr innovativen und populären Ära. Gary fuhr Toyota Carina und Nissan Primera in der Britischen Tourenwagen-Meisterschaft, einen Peugeot 405 in der Italienischen Superturismo-Serie, bändigte 1995 einen Ferrari F40 LM in Le Mans und teilte sich 1997 an gleicher Stelle einen McLaren F1 des Teams Lark mit dem japanischen Driftkönig Keiichi Tsuchiya. Eine beachtliche Karriere, aber bevor wir uns an dem dramatischen Langheck-McLaren F1 GTR und dem mutigen Peugeot ergötzen, wollte ich wissen, wie Garys Liebe zu Autos begann.

„Ich habe die Schule nie besonders geliebt und oft Wege gefunden, mir Mutters Auto für eine kleine Spritztour ans Meer nach Brighton auszuleihen. Als mein Vater einen Anruf von einem ziemlich verwirrten Polizisten erhielt, der ein Kind am Steuer seines Autos vorgefunden hatte, war es mit solchen Eskapaden schnell vorbei! Stattdessen wurde ich in der Akademie für junge Fahrer in Brands Hatch angemeldet. Nach bestandener Prüfung konnte ich mich von da an voll und ganz auf den Rennsport konzentrieren.“ Und es ging gut los: In seiner ersten vollen Saison in der Formel-Ford-1600-Junior-Serie belegte Gary Ayles 1985 Platz 2, was ihm die Auszeichnung „Star of tomorrow“ einbrachte. 

Nach der Formel Ford kam die Formel 3, und Gary hatte sich einen Test bei Dick Bennets West Surrey Racing gesichert – das Team, das zu jener Zeit einen fliegenden Finnen namens Mika Häkkinen einsetzte und ihm 1990 zum Gewinn der britischen Serie verhalf. Aber ein Unfall, bei dem sich Gary beide Beine brach, ließ den Test platzen und führte ihn schließlich in die Welt der Tourenwagen. In der Saison 1991 startete Gary als Teamkollege der britischen Tourenwagen-Legende Andy Rouse in einem der beiden vom ICS Team Toyota eingesetzten und Toyota Carina in den Farben von Kaliber.

 „Für 1992 erhielt ich dann ein Angebot, mit Peugeot in der italienischen Superturismo-Serie zu fahren. Die Organisatoren wollten neben den ganzen einheimischen Stars auch internationale Namen im Starterfeld haben. Es war fantastisch, gegen Fahrer wie Emanuele Pirro, Johnny Cecotto, Roberto Ravaglia und meinen damaligen Teamkollegen Fabrizio Giovanardi anzutreten.“  

Während wir um den Peugeot 405Mi herumgehen, das Auto, das Garys Rivale und Teamkollege Giovanardi in der Saison 1993 fuhr und das uns freundlicherweise Lowe Classics auslieh, strahlt Gary über das ganze Gesicht. „Wir hatten viel Spaß in diesen Dingern. Wir hatten zwar nie die Kraft des BMW oder die Dynamik des Alfa Romeo, aber wenn man mit dem Peugeot in die Gänge kam, war es ein brillanter Rennwagen. Ich hatte aber immer Lust, im BMW zu fahren!“ Von 1992 bis 1994 fuhr Gary in Italien – mit dem besten Resultat gleich im ersten Jahr: Vize hinter Teamkollege Giovanardi. 

Apropos BMW: Es ist schwer, den monströsen McLaren F1 GTR zu ignorieren, der gleich neben dem Peugeot steht. In seinem Langheck sitzt bekanntlich ein Münchener Kraftwerk: der 6,0 Liter große V12 mit interner Bezeichnung S70/2. Der dem F1 neben dem Gesamtsieg in Le Mans 1995 zahlreiche weitere Siege in der ganzen Welt bescherte. Obwohl das freundlicherweise aus der Werkstatt von Lanzante gerollte Modell nicht genau das Auto war, mit dem Gary damals fuhr, konnte ich mir die Frage nicht verkneifen, wie es sich angefühlt hat, diesen mächtigen V12 zum allerersten Mal die Hunaudières-Gerade hinunter zu fahren. Und Garys Antwort war genau das, was ich mir erhofft hatte: „Ich erinnere mich, dass ich lachen musste und dachte, ein Junge aus Pound Hill in Crawley (West Sussex) hat sich hier gut geschlagen! Jeder weiß: Le Mans ist ein zermürbendes Rennen, aber über diese ikonische Gerade in einem damals millionenschweren Auto mit 320 km/h zu brettern – das war wirklich atemberaubend. Ich habe immer noch eine Gänsehaut.“

Ähnlich erging es ihm, als er zum ersten Mal einen Blick auf den Ferrari F40 LM warf. Als sich die berühmten weißen Garagentore der Ferrari-Teststrecke Fiorano öffneten und das Biest enthüllten, das er zum ersten Mal fahren würde. „Mit der Aufregung kommt auch der Druck, und ich bedaure, wie viele Fahrer wahrscheinlich auch, dass ich mir nicht die Zeit genommen habe, diese Momente mehr zu genießen, denn damals zählte nur der Sieg.“ Gary startete viermal in Le Mans, sein bestes Ergebnis – Platz 18 im Gesamt und P9 in der LMGT1, errang er 1995 auf einem F40!

1997 nahm Gary zusammen mit Chris Goodwin auf einem von Parabolica Motorsport genannten McLaren F1 GTR an der FIA-GT-Meisterschaft teil. Allen Widrigkeiten zum Trotz erreichte dieses Privatteam mit seinem auffällig lackierten F1 in Silverstone, am Nürburgring und in Spa jeweils den sechsten Platz. Errungen gegen die Werksteams, zählen diese  Events zu Garys stolzesten Rennmomenten. Und dann kam der große Einschnitt, sprich der Wandel vom Rennfahrer zum Rennstallbesitzer ab dem Jahr 2000. Gary leitete erfolgreiche Tourenwagenteams, bevor er seinen Weg in die Fahrzeuglogistikbranche fand – ein Schritt, von dem ich wissen wollte, ob es da Parallelen zu seinen früheren Tätigkeiten gab. „Natürlich, denn man will gewinnen“, sagt Gary. „Egal, ob ich im Auto sitze, an der Boxenmauer stehe oder ein Fahrzeug ausliefere, der Wunsch, der Erste zu sein, wird nie verschwinden.“ 

„Was die Logistik betrifft, ist Motorsport eine andere Welt – weil man nicht starten kann, wenn das Auto nicht angekommen ist. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich einmal an all den Lastwagen, Reifen, Autos, Ersatzteilen, Hospitality-Zelten und allem, was noch dazwischen lag, entlanglief und dachte: ‚Wo zum Teufel kommt das alles her?‘. Als Rennfahrer habe ich mir nie groß Gedanken darüber gemacht, wie dieses Equipment um die Welt transportiert wird und punktgenau dann auftaucht, wenn es gebraucht wird. Aber jetzt verstehe ich es.“ 

Das 2017 mit seinem Geschäftspartner Fabian Daffern gegründete Unternehmen Bespoke Handling ist seitdem gewachsen und so weit, um einige der teuersten und exklusivsten Autos der Welt zu transportieren. „Was wir tun, ist sexy in der Welt der Logistik. Denn unser Verständnis für diese Autos ergibt sich aus unserem Motorsport-Background und unserem Wissen über den Umgang mit diesen Autos. Für uns macht es keinen Unterschied, ob es sich um ein einzigartiges Hypercar oder einen unbezahlbaren Formel 1 handelt.“

Es gibt eine klare Verbindung zwischen Gary, dem Rennfahrer, und Gary, dem Geschäftsmann. Der Wunsch, seine Konkurrenten zu dominieren, ist offensichtlich. Dazu kommen der unermüdliche Drang, über den Tellerrand hinauszuschauen, gegen Selbstgefälligkeit anzugehen und immer einen Schritt voraus zu sein. So ist dieses relativ kleine Unternehmen zu Partnern von McLaren, Gordon Murray und Lotus geworden, um nur einige zu nennen. „Wenn man den gleichen Job macht wie jemand anderes, wird man immer nur so gut sein wie der andere. Agiert man als Rennfahrer genauso: Wie kann man dann erwarten, jemals zu gewinnen? Neue Dinge auszuprobieren, die Grenzen zu testen und andere Wege zu gehen, sind für mich der Schlüssel zum Erfolg.“

Als sich unsere Zeit dem Ende zuneigt und einer von Garys sachkundigen Fahrern den Peugeot vorsichtig auf einen der gebrandeten Bespoke Handling-Trucks verlädt, will ich unbedingt wissen, wie es mit Gary und dem Unternehmen weitergeht. „Wenn ich ehrlich bin, würde ich gerne ins Rennmanagement zurückkehren und wieder mein eigenes Team besitzen. Es gibt Momente, die sind so besonders, sogar noch besser, als auf der Le-Mans-Geraden in den Begrenzer zu fahren oder über die Randsteine zu brettern, um in der BTTC einen Konkurrenten zu überholen. Und wenn man diese Gefühle einmal erlebt hat, werden sie in einem destilliert.“

Fotos von Elliot Newton

With thanks to Lanzante and Lowe Classics