Sein wir ehrlich: Entweder, Sie wissen bereits, dass Ferrari in Genf die Saugmotor-Tradition zu Grabe trägt, Porsche mit brettharten Kleinserienmodellen seine Sportwagenehre rettet und Mercedes eine derart lange Limousine enthüllt, dass diese gleich zwei legendäre Markennamen beansprucht. Oder aber es ist ihnen herzlich egal! Darum bemühen wir uns in diesem Messereport erst gar nicht um Vollständigkeit, sondern lassen uns einmal ganz unjournalistisch von unseren persönlichen Vorlieben leiten. Die folgenden neuen (und nicht mehr ganz so frischen) Showcars haben es uns besonders angetan.
Carrozzeria Touring
Dass die Carrozzeria Touring sich hier in Genf neben den Giganten der Automobilindustrie behauptet, ist an sich schon ein kleines Wunder. Wie zu den Hochzeiten ihrer Erfolges in den Nachkriegs-Jahrzehnten setzt die Karosserieschmiede weiterhin auf Handwerkskunst – und fertigt seine atemberaubend schönen Kleinserienmodelle in aufwändigster Manufakturqualität aus handgeformten Aluminiumblechen. Auch in der neuen Berlinetta Lusso, von einem Ferrari-Sammler in Auftrag gegeben und auf nur fünf Stück limitiert, stecken mehr als 5.000 Arbeitsstunden. Details wie die messerscharfe Feature Line, die an Touring-Ikonen wie den Ferrari 166 oder den Alfa Romeo Villa d’Este erinnert, wären bei maschineller Produktion kaum realisierbar. Am überzeugendsten aber: Die offensichtliche Leidenschaft von Markenchef Piero Mancardi, Designer Louis de Fabribeckers und dem gesamten Team für ihre Arbeit.
Rolls-Royce Phantom Serenity
Auch beim neuesten Showcar von Rolls-Royce liegt der Wert nicht im Markenimage begründet, sondern in der unglaublichen Entstehungsgeschichte. Beauftragt von einem asiatischen „Royal“, entstand in der Bespoke-Abteilung von Rolls-Royce in Goodwood ein atemberaubendes Einzelstück, wie man es seit Zeiten der Maharajas kaum mehr gesehen hat. Inspiriert von japanischen Ziergärten und fernöstlicher Schneiderkunst, ließ das Designteam um Giles Taylor auf dem seidenen Dachhimmel des Phantom einen ganzen, handgemalten und bestickten Kirschbaum erblühen. Auch die Sitze sind mit einem in China fabrizierten Seidenstoff von kaiserlicher Qualität bezogen, während sich das Hanami-Motiv als Perlmutt-Intarsien in den Kirschbaumholz-Beschlägen der Türen wiederfindet. Ein Jahr lang haben die Kreativen praktisch Tag und Nacht an ihrem Gesamtkunstwerk gearbeitet – bei einer gestalterischen Freiheit, die heute wohl nur noch Rolls-Royce bieten kann.
Aston Martin DBX und Vulcan
Im Vergleich zu den Vorjahren sind die Designstudien in Genf dieses Mal etwas spärlich gesäht. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet Aston Martin – in der vergangenen Dekade nicht gerade mit Innovationsgeist gesegnet – gleich zwei stilistische Überraschungen in die Schweiz gebracht hat; die eine sogar mit Lizenz zum Rasen. Der limitierte und für den Rennsport gebaute Aston Martin Vulcan ist ein dramatischer Wurf, mit klar geschnittenen Kanten, wie man sie bei Lamborghini derzeit vermisst, und einem Science-Fiction-Heck, aus dem – wie einst bei der wahnwitzigen Bertone-Studie Pandion – gefrorene Lichtstrahlen herauszuragen scheinen. Das Showcar DBX ist derweil nicht nur eine proportional überraschend ausgewogene Annäherung an das etwas leidige SUV-Thema, es erinnert uns in seiner hochbeinigen Statur auch an David Browns aufgebockten DB2. Spannend auch das herrlich nach Leder duftende Interieur im Steampunk-Star-Wars-Look. Well done, Aston!
Ruf CTC
Wer sagt, dass man auf einer Automesse nur moderne Autos vorstellen darf? Porsche-Verwandlungskünstler Alois Ruf wagt sich mit seinem neuesten Wurf auf die Spuren von Singer und Co., wenn auch mit anderem Fokus: Die Ingenieure haben einen Porsche 911 Carrera der Baureihe 964 im Kundenauftrag in einen 425 PS starken Turbo verwandelt. Der Ruf CTC ist damit nicht nur schneller, sondern auch sparsamer als das Original. In Kombination mit dem Lackton „Fashion Grey“ und dem Sherwoodgrünen Karo-Interieur ist der Ruf-Turbo für uns der vielleicht begehrenswerteste Wiedergänger der Show.
Ford GT
Zugegeben, wir Classic Driver sind ganz „oifach g’strickt“ – stellt man zu einem neuen Sportwagen den passenden Klassiker, ist es meist um uns geschehen. So auch bei Ford, die zum neuen Ford GT das historische Vorbild gesellt haben. Und tatsächlich hat nicht nur der Klassiker, sondern auch die Neuauflage zum 60. Jahrestag des ersten Ford GT40 in Le Mans echtes Charisma: Mit seinen tiefen Lüftungskanälen erinnert das „blaue Wunder“ an vielfach teurere Hypersportwagen wie den LaFerrari, während die Ingenieure ganze 600 PS aus dem 3,5-Liter-Twin-Turbo-V6 gekitzelt haben wollen. Wir sind gespannt auf die Serienversion!
McLaren F1 Longtail
Vergessen Sie den letzten Bugatti Veyron oder den Mercedes-Maybach Pullman – das teuerste Auto des Genfer Salons ist höchstwahrscheinlich der McLaren F1 GT „Longtail“ Street Version, mit dem die Engländer die Enthüllung des Sondermodells 675LH flankieren. 1997 hatten die zugunsten der Aerodynamik um einige Zentimeter verlängerten F1 GTR nicht nur einen Doppelsieg in der der GT1-Klasse geholt, sondern nur knapp den Gesamtsieg verfehlt. Anfang 2014 wurde ein „Longtail“ in Scottsdale für 5,3 Millionen US-Dollar versteigert. Von der in Genf gezeigten Straßenversion wurden nur drei Exemplare gebaut.
Bentley EXP 10 Speed 6
Ein kleiner, zweisitziger Bentley wäre eigentlich ein Grund zur Freude: Doch was ist das? War Dirk van Braekels Continental GT noch ein großer stilistischer Wurf, der die Historie der Marke auf revolutionäre Weise neu interpretierte, wirkt das Speed 6 getaufte Experimental Car eher wie eine Rätselstunde für Patentanwälte – oder kommen die Seitenlinien, Fensterkanten und Rückleuchten nur uns so seltsam bekannt vor? Wir denken, Bentley hat es nicht nötig, von Jaguar und Aston Martin zu kopieren, sondern sollte seinen Designern mehr Eigenständigkeit einräumen. Dann ist das Serienmodell auch wieder auf unserer Favoritenliste dabei.
Land Rover Defender Heritage
Wann immer uns auf einer Messe vor lauter Neuheiten und Weltpremieren der Kopf rauchte, wartete am Stand von Land Rover ein alter, beruhigend unveränderter Bekannter – der Defender. Doch damit ist nun Schluss! Der legendäre Geländekarton wird in diesem Jahr eingestellt, den Abschied vom letzten Dinosaurier der modernen Automobilwelt versüßt uns Land Rover mit einer wunderbar nostalgischen Heritage Edition. Wären in unseren Texten Emoticons erlaubt, wir würden an dieser Stelle nur zu gerne den traurig dreinblickenden Smiley mit dem kleinen Tränchen auf der Backe verwenden.