Letzter Aufruf für den alten Audi A6. Denn die Business-Limousine ist in die Jahre gekommen und steht kurz vor der Ablösung. In guter Tradition servieren die Ingolstädter das Beste zum Schluss – die 580 PS starke Sonderedition RS 6 Plus. Einziger Schönheitsfehler: Die auf 500 Stück limitierte Serie ist bereits ausverkauft.
Testwagenparkplatz 17a in der Redaktionstiefgarage von Classic Driver. Im Halbdunkeln sieht der nimbusgraue Audi A6 aus wie das Fahrzeug eines Büromöbelvertreters. Erst beim näheren Hinsehen erkennt man die muskulösen Schultern des Sportlers. Mit breiten Pausbacken à la Audi Urquattro und einem mattschwarzen Kühlluftschlund haben die Spezialisten der quattro GmbH in Neckarsulm die unauffällige Limousine für ihren letzten großen Auftritt herausgeputzt. Vorbei die Zeit, in der Audi die Spitzenmodelle der C-Reihe auf pures Understatement drillte. Die Strahlkraft der Marke macht's möglich.
Der neue Anzug steht dem Biedermann von einst perfekt. Geduckt kauert das Greenhouse auf dem exklusiv nur für dieses Modell gestalteten Body. Die üppigen Breitreifen auf graphitfarbenen 20-Zoll-5-Segment-Speichenfelgen runden das imposante Erscheinungsbild ab. Keine Frage, wenn dieser Audi im Rückspiegel auftaucht, ist selbst für gestandene Sportwagen Schluss mit lustig. Was man im fahlen Licht der Neonröhren nur erahnen kann: Der Audi hat es auch technisch faustdick unter dem Blech.
Mit einem skulptural aufbereiteten V10-Zylinder-Biturbo aus dem Sportstudio R8, einer Sechsgang-Automatik samt permanentem Allradantrieb und dem aufwändigen, elektronisch gesteuerten Fahrwerk hat der RS 6 Plus mit dem Basis A6 nur noch die LED-Rückleuchten gemein. 580 PS und ein Drehmoment von 650 Nm erwachen mit dumpfen Bariton beim Betätigen des Aluminiumstartknopfes. Nur Spielverderber denken da noch an die sonst im Bug werkelnden, politisch korrekten Vierzylinder-Common-Rail-Aggregate.
Bereits ein leichter Druck auf das Gaspedal genügt, um die gefühlten ersten 300 Nm auf die Räder loszulassen. Der RS 6 Plus rollt nicht einfach an, nein, er springt förmlich in den Verkehr. Was im ersten Moment noch vielversprechend dynamisch rüberkommt, entpuppt sich nach wenigen Metern im dichten Großstadtgewühl als störend pubertäres Gehabe. Der stetige direkte Eingriff des steif ausgelegten Wandlers und das bereits in Normalstellung unnachgiebig abgestimmte Fahrwerk rauben der Limousine die Würde. Der RS 6 Plus hüpft und ruckelt über die frostgeschädigten Straßen deutscher Großstädte. Komfort: Fehlanzeige.
Besser wird es erst, wenn der Audi laufen darf. Dann spielt er die Stärken seiner dynamischen Antriebseinheit aus. Binnen 4,5 Sekunden sind 100 km/h erreicht, zehn Sekunden später liegen bereits 200 km/h auf dem chromumfassten Tachometer an. Ob am Ende die möglichen 303 km/h je erreicht werden, hängt dabei weniger von der Leistungsfähigkeit des V10, als vielmehr von der Verkehrsdichte ab. Damit bis dahin nichts schiefgeht, haben die Audi-Ingenieure dem RS 6 Plus alles an Assistenten mit auf dem Weg gegeben, was der Elektronik-Markt derzeit hergibt. Der Spurhalteassistent "lane assist" ist ebenso an Bord, wie ein der Spurwechselassistent "side assist" und der abstandsgeregelte Tempomat. Und sollte es doch mal eng werden, steht die üppig dimensionierte Bremsanlage in den Startlöchern, Bestwerte in Sachen Negativbeschleunigung aufzustellen. Für häufige Besuche auf der Rennstrecke empfiehlt Audi allerdings die optionale Keramikbremse und eine ausreichend gedeckte Tankkarte. Denn bei sportlicher Gangart kommt der V10, trotz Direkteinspritzertechnik, nur selten unter einen Verbrauch von 16 Litern auf 100 Kilometer.
Im Innenraum des RS 6 Plus setzt Audi mit den beiden Ausstattungspaketen Sport und Exclusive dem ohnehin schon gediegenen Ambiente die Krone auf. Denn auch wenn das Layout der Schalttafel ein wenig in die Jahre gekommen scheint, so lässt eine elegante Lederhülle mit farbigen Kädern das hügelige Gebirge vor der Windschutzscheibe in neuem Glanz erstrahlen. Um die Angelegenheit rund zu machen, beledert Audi auch gleich noch Mittelkonsole und Armauflagen. Das schafft in Verbindung mit der nach wie vor Maßstäbe setzenden Verarbeitungsqualität die gediegene Atmosphäre eines Supersportwagens. Dass trotz dieser Exklusivität die Alltagstauglichkeit nicht auf der Strecke bleibt, ist einer der großen Pluspunkte des RS 6 Plus. Denn sowohl die Limousine, als auch das Kombimodell Avant, bieten in variablen Kofferräumen genug Platz für das Urlaubsgepäck.
Doch zu spät – denn trotz eines Grundpreises von mindestens 116.000 Euro für die Limousine des RS6 Plus Exclusive fanden sich 500 handverlesene Kunden, die ihr höheres Recht auf Fahrspaß und Fahrvergnügen gegen die geltenden Normen und Political Correctness bereits durchgesetzt haben. Es dürfte angesichts der Qualitäten des Abschieds-Audi schwer werden, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
Text: Sven Jürisch
Fotos: Jan Baedeker