Plastic Fantastic?
Text: Sven Jürisch
Fotos: Jan Richter
Zum 75. Jubiläum der Marke Alfa Romeo spendierten die Alfa Bosse den Kunden ein besonderes Präsent. Als Nachfolger der legendären Giulietta stand 1985 der Alfa 75 bei den Händlern. Ob der letzte Alfa mit Heckantrieb auch heute noch ein Grund zum Jubeln ist, klärt unsere Kaufberatung.
Geschenke sind meist verpackt und tragen als krönenden Abschluss ein hübsches Geschenkband. Beim Alfa Romeo 75 ist das anders. Seine keilförmige Stufenheckkarosse wird verziert von einem grauen Plastikband um seine Hüften. Das ist zwar weder besonders hübsch noch praktisch, entsprach aber dem Zeitgeist des Plastic Age-Zeitalters und verschaffte dem 75 in der Automobilwelt bis heute eine einzigartige Stellung. Kein Designer kam je wieder auf diese – zugegeben etwas sonderbare – Idee. Doch darüber hinaus hatte der Italiener noch einiges mehr zu bieten: Potente Motoren, deren Leistungsspektrum von 107 bis 280 PS reichte, eine aufwändige Achskonstruktion mit einer De-Dion-Hinterachse und vor allem eine von den Fans besonders geschätzte Trans-Axle-Konstruktion, die vorerst letztmalig einen Alfa Romeo an den Hinterrädern antrieb. Denn nach dem Auslaufen der 75er-Serie war es vorbei mit dem Schub vom Heck, und die Alfa-Mittelklasse verkam zu einem wenig exquisiten Fronttriebler.
Doch bevor es soweit kommt, machen wir es uns im Innenraum der Limousine bequem. Classic Driver hat dafür natürlich nicht irgendeinen 75er ausgewählt, sondern das auf 500 Stück limitierte Sondermodell „Evoluzione“. Diese im Frühjahr 1987 produzierten Fahrzeuge wurden als Topmodell auf der Basis des 75 Turbo entwickelt. Neben einem Spoilerbausatz, der die Aerodynamik verbessern sollte, und speziellen Aluminiumfelgen der Dimension 6 x 15 Zoll sorgte vor allem der im Hinblick auf Leistung und Standfestigkeit optimierte Motor für das gewisse Etwas. Vier Zylinder mit 1.762 ccm Hubraum und ein üppiger Turbolader reichten dem 75 Evo, um auf immerhin 280 PS zu kommen. Damit erreichte der selbstbewusst verspoilerte Italiener immerhin 260 km/h und sprintete binnen 6,6 Sekunden von Null auf 100 km/h.
Das Auto
Dass der Alfa Romeo 75 ein Kind der 80er ist, wird spätestens mit dem Anblick der Schalttafel klar. Billig-Kunststoff, wohin das Auge schaut. Garniert mit einer Uhrensammlung, die eher an einen Elektroherd erinnert, als an die von den Alfisti geliebten Rundinstrumente. Das tragische Topping erfährt diese Landschaft durch ein aus kaugummiartigem Kunststoff gefertigtes Volant. Auch Altstar Joseph Mattula, der nur zu gern den kantigen Vorgänger durch die Frankfurter Büroschluchten pilotierte, ergriff angesichts dieses Anblicks die Flucht und jagte die Bösewichter fortan lieber in einem Audi 90.
Doch genug des Jammerns, irgendwie findet man trotz des steil stehenden Volants eine leidlich entspannte Haltung. Nach dem Lösen der Bügelhandbremse (Vorsicht, das Ding beißt!) und dem Einfädeln des ersten Ganges in das vor der Hinterachse liegenden Getriebe geht es los. Und tatsächlich: Egal, welcher der Vier- oder Sechszylinder im Bug montiert ist, das typische Alfa-Flair samt brillantem Soundteppich ist ab dem ersten Meter da. Der Vierer röhrt, wahlweise mit Turbo oder mit Doppelzündung, das es sich anbietet, die Fenster zu öffnen, wenn man nur die Schalter finden würde. Kleiner Tipp. Schauen Sie doch mal auf den Dachhimmel. Doch derlei Petitessen sind die Diskussion nicht wert, denn um die wahren Schwächen des 75 aufzudecken, muss man ihm schon unter das Blech schauen.
Die Technik
Ein Alfa ist kein Golf. Wenn der 75er mit diesem Bewusstsein von seinem Vorbesitzer bewegt wurde, gibt es motorisch nur wenige Probleme. Generell ist bei allen Aggregaten auf Ölundichtigkeiten zu achten, die wie bei jedem anderen Auto auch teure Reparaturen nach sich ziehen. Die bei den Vierzylindern verbaute Steuerkette ist langlebig und muss nur bei hohen Laufleistungen getauscht werden. Der 2,5 Liter große und später auf 3,0 Liter erweiterte V6 verfügt über einen Zahnriemen, der in regelmäßigen Intervallen zu wechseln ist. Dabei ist neben der Laufleistung auch das Alter des Gummiriemens zu beachten. Mehr als acht Jahre gelten als kritisch. Es lohnt sich also die Riemenabdeckung zu demontieren, zumal dann auch etwaige Ölspuren durch einen undichten Riemenspanner entdeckt werden können.
Neben den Vergasern bei den frühen Vierzylindern verbaute Alfa mit Einsatz des geregelten Katalysators zwei verschiedene Einspritzsysteme von Bosch, die nur wenig Kummer bereiten – es sei denn, das Steuergerät muss ersetzt werden. Die Turbomotoren kranken an systembedingten Ausfallerscheinungen. Neben Hitzerissen an Turboladern und Abgaskrümmern kann auch ein kritischer Blick zu den Kraftstoffleitungen und Ummantelungen der Elektrokabel nicht schaden. Die große thermische Belastung hat diese Teile über die Jahre oft weichgekocht.
Der beste Motor nutzt jedoch wenig, wenn die Kraft nicht an die Räder kommt. Und hier liegt eine der größten Schwachstellen des Alfa. Denn zwischen Motor und Getriebe rotiert die Transaxle-Welle mit Motordrehzahl. Schwerstarbeit für die Hardyscheibe, die Verbindung zwischen Welle und Getriebe. Zerbröselt diese, ist es zu spät, denn dann schlägt die Welle unkontrolliert hin und her. Ersatz gibt es nicht mehr bei Alfa sondern nur noch im Zubehör. Ähnlich verhält es sich mit vielen Karosserie und Zierteilen. Gerade für die Sondermodelle wie der hier gezeigte Evoluzione ist praktisch kaum noch ein spezielles Teil erhältlich. Aber auch existentielle Teile der Serienversion, wie etwa den rostgefährdeten Tank, kann Alfa schon lange nicht mehr liefern.
Preise und Fakten
Einen echten Evoluzione zu finden, ist ein seltenes und meist sehr teures Vergnügen. Viele der Fahrzeuge sind zudem durch Hobbyrennfahrer stark in Mitleidenschaft gezogen worden, so dass die schlechte Teileversorgung eine Restauration zu einem unkontrollierbaren Roulettespiel macht. Interessenten kann somit nur geraten werden, den Zustand und die Vollständigkeit des angebotenen Fahrzeugs genauestens zu prüfen. Denn ist der meist fünfstellige Kaufpreis erst einmal geflossen, gibt es angesichts des geringen Interesses an dem Alfa kaum eine Chance das Auto jemals wieder zu verkaufen. Preiswerter gestaltet sich dagegen die Beschaffung der Standardversionen. Hier genügen je nach Ausführung meist wenige tausend Euro, um mit dem letzten echten Alfa noch einmal das Gefühl der Traditionsmarke zu erleben.
Der hier gezeigte Alfa Romeo 75 Turbo Evoluzione steht aktuell beim Classic-Driver-Händler CLASSICON zum Verkauf. Klicken Sie hier zum Angebot.
Besonderheiten:
Der Alfa Romeo 75 Turbo Evoluzione ist ein auf 500 Stück limitiertes Sondermodell des Alfa 75
Hubraum:
1.762 ccm
Max. Leistung:
280 PS, je nach Leistungsstufe variierend
Höchstgeschwindigkeit
260 km/h
Beschleunigung:
6,6 Sekunden
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