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Der Porsche 911 wird 60 und wir feierten drei Tage durch

Wie der Gruyère-Käse und die Pünktlichkeit sind auch die Schweizer Straßen ein Teil der Identität des Landes. Als Porsche Schweiz uns die Gelegenheit bot, mit zwei speziellen 911ern auf einer landschaftlich reizvollen Route zum Porsche Festival in Mollis zu fahren, konnten wir nicht widerstehen.

Dieses Jahr ist eines voller Jubiläen. 2023 wird Classic Driver 25 Jahre alt, zugleich wurde vor 75 Jahren Porsche in Stuttgart gegründet. Und Porsches ikonischstes Modell, der 911, trat 15 Jahre später, anfangs noch als 901, die Nachfolge des 356 an. Was ihn nach menschlichen Maßstäben reif machen würde für den Ruhestand im Süden Frankreichs. Doch auch in nunmehr elfter Generation bleibt er die Blaupause für den aufregenden Sportwagen schlechthin, auch wenn sein Motor an der „falschen Stelle“ sitzt.

Als einziges Mitglied des Classic Driver-Teams, das derzeit einen Porsche 911 (einen 996 Carrera 2) als Daily Driver nutzt, war ich begeistert, die verschiedenen Versionen dieses kultigen Modells wiederzuentdecken. Tatsächlich bin ich seit 2018, als der millionste Elfer vom Band lief, nicht mehr die gesamte Modellpalette gefahren. Zufälligerweise teilte ich den Roadtrip mit Neel Jani, Gesamtsieger der 24 Stunden von Le Mans von 2016, von dem ich hoffte, einige Fahrtipps zu erhalten und meine Fähigkeiten zu verbessern.

Wir starteten vom Grand Resort Bad Ragaz aus in einem stilvollen Konvoi aus alten und neuen Autos, die mit Geburtstagsaufklebern geschmückt und mit Papierkonfetti gefüllt waren. Unsere erste Etappe genossen wir im 911 Sport Classic, einem Auto, das Elemente aus der Vergangenheit und der Gegenwart vereint. Der Sport Classic ist im Wesentlichen ein 911 Turbo mit Schaltgetriebe und strahlt innen wie außen einen vom 911-Modelljahrgang 1965 inspirierten Stil aus. 

Er kann leise und komfortabel sein wie ein Turbo, aber auch berauschend schnell und mit seinen 543 PS und 600 Nm Drehmoment Autobahnen und Bergpässe gleichermaßen verschlingen. Von dieser limitierten Auflage wurden nur 1.250 Exemplare gebaut, und sie bieten mit Holzverkleidung, hellbraunem Leder und Stoffbezügen mit Pepita-Muster ein nostalgisch angehauchtes Fahrerlebnis.

Nach einem kurzen Stopp wechselten wir in ein weiteres limitiertes Schmuckstück: einen 997 Speedster „Pure Blue“, eines von 356 produzierten Exemplaren. Mit seinem „double-bubble“ Dach und den zweifarbigen Fuchs-Felgen ist er ein optisches Highlight. Allerdings ein anderes Tier als der 992 Sport Classic. Der 3,8-Liter-Saugmotor mit 408 PS eignet sich eher fürs Cruisen als Kurvenräubern. Nach einigen beherzten Versuchen mussten wir feststellen, dass sich der 997 Speedster mit PDK und einem Gewicht von 1615 kg vergleichsweise schwer anfühlt und es ihm an Torsionssteifigkeit fehlt. Als Sammlerstück ist er zweifellos ein spannendes Auto, aber nicht ganz so messerscharf, wie ich erwartet hatte.

Der Tag endete im Hotel Guarda Val in der Nähe von Lenzerheide, einem genialen Boutique-Hotel, das sich in ein ehemaliges kleines Dorf „eingebaut" hat. Die Zimmer, Restaurants und die Bar sind in verschiedenen Gebäuden untergebracht, darunter Bauernhäuser und Scheunen. Das Aufwachen zum Klang von Kuhglocken und dem Muhen ihrer Träger war der perfekte Schweizer Wecker.

Am nächsten Morgen machten wir uns erneut auf den Weg, diesmal mit dem „Auto der Stunde“: dem kürzlich vorgestellten 992 GT3 RS. Neel fühlte sich sofort wie zuhause, und als die Straße sich öffnete, ließ er den 525-PS-Motor, der sein maximales Drehmoment bei 9000 U/min erreicht, von der Leine. Die Beschleunigung (von 0 auf 100 km/h in 3,2 Sekunden), der Grip der Michelin Pilot Sport Cup 2 (selbst bei Nieselregen) und die Verzögerung waren phänomenal. In den Händen von Neel wurde er zur ultimativen Waffe für die Rennstrecke.

Doch als ich an der Reihe war, das Steuer zu übernehmen, wurde mir klar, dass ich überfordert war. Der GT3 RS verfügt über eine aktive Aerodynamik, aktive Dämpfer, eine aktive Hinterradlenkung, aktive Motoraufhängungen und andere technische Wunderwerke, die die Rundenzeiten um Millisekunden verkürzen sollen. Für einen Amateurfahrer wie mich war das überwältigend. Das Auto war zu schnell und zu leistungsstark, um es auf öffentlichen Straßen wirklich genießen zu können. Würde man es bis an seine Grenzen ausreizen, wäre man vor dem nächsten Bremspunkt zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Viele glauben zwar, dass mehr Leistung, mehr Abtrieb und mehr Steifigkeit ein Auto immer besser machen, aber in Wirklichkeit sind solche extremen Merkmale in 99,9 % der Fälle unnötig. Wenn Sie beim Fahren Spaß haben wollen, ohne um Ihr Leben oder Ihren Führerschein fürchten zu müssen, brauchen Sie ein solches Overengineering nicht.

Die nächsten beiden Autos, die wir fuhren, machten dagegen wieder wirklich Spaß. Der 911 Dakar wurde genau dafür konzipiert. Ein geländegängiger 911 mag unwirklich erscheinen, aber er meisterte die Herausforderung mühelos. Die Geländereifen quietschten, als Neel den Wagen durch enge Haarnadelkurven manövrierte, aber er blieb trittsicher und stabil, wie jeder andere Porsche auch. Der markante und angenehme Bariton des Dakar-Motors trug zum Nervenkitzel bei. Ein Auto zu fahren, das sich so neigt und eintaucht, schafft eine rallyeähnliche Erfahrung, die ausreichend vorwarnt, bevor etwas wirklich Gefährliches passiert.

Der 911 T, eine etwas puristischere Version des 992 Carrera, zeichnete sich auch durch seinen Spaßfaktor aus. Leichter und fokussierter als das Standard-Modell, ist er ein Elfer, den jeder in der realen Welt genießen kann. Die großartige Autoblip-Funktion stimmte die Drehzahl beim Herunterschalten mit dem Schaltgetriebe automatisch an, sodass ich mich wie Neel oder Jörg Bergmeister fühlte, der uns ebenfalls auf der Reise begleitete.

Vor unserer Rückkehr nach Bad Ragaz trennten sich die Wege von Neel und mir, so dass ich den Rest des Tages allein verbringen konnte, angefangen mit einem 993 Targa mit Tiptronic-Getriebe. Mit einer Zeit von 5,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h war er wahrscheinlich das „langsamste“ Auto im Konvoi. Ich stellte jedoch fest, dass er sich in den Kurven gut schlug. Das Getriebe schaltete recht schnell hoch und runter, aber die Übersetzung war nicht ideal. Doch ich fand einen Trick heraus: den zweiten Gang einlegen und den luftgekühlten 3,6-Liter-Sechszylinder bis an seine Grenzen drehen. Dann beginnt der 993, sich wie eine Gazelle zu bewegen.

Der eigentliche Höhepunkt der Reise war jedoch die Fahrt mit dem Star der Porsche-Museumsfahrzeuge: dem 996 GT3. Dieser Wagen genießt unter Porsche-Enthusiasten nicht ohne Grund Kultstatus. Er ist klein, schmal, scharf und griffig – eine perfekte Mischung aus Geschwindigkeit und Benutzerfreundlichkeit. Sein „Metzger“-Motor mit 3,6 Litern Hubraum und 360 PS, der bis zu 8000 U/min dreht, gibt Leistung und Drehmoment progressiv ab. 

Er hat weniger Power als der 992, ist aber zugänglicher. Ihn zu fahren, fühlt sich eher an wie ein hitziges Gespräch mit einem guten Diskussionspartner als ein Faustkampf mit einem Gorilla. Das Fahrerlebnis ist pure Magie: Eine leichte Bewegung der Handgelenke führt zu präzisem Einlenken, das Halten der Leistung in Kurven sorgt für außergewöhnlichen Grip, und das Fahren auf gerader Strecke wird mit einem unglaublichen Heulen belohnt, wenn er dem Horizont entgegenschießt.

Schließlich kamen wir auf dem Flugplatz Mollis (Kanton Glarus) an, wo das Porsche-Festival in vollem Gange war. Unsere Autos gesellten sich zum Porsche-Stand, und wir tauchten in das bunte Treiben ein. Mehr als 1200 Porsche 911 hatten sich in dieser kleinen Stadt eingefunden und sorgten für ein unvorstellbares Spektakel aus Menschen und besonderen Autos. Prototypen-Porsche wie der Mission R, der Vision Gran Turismo und der Vision 357 erregten unsere Aufmerksamkeit, ebenso wie Rennwagen direkt aus Le Mans, wie der aktuelle 963 und der bedrohliche 919. Sportec stellte einige GT3-Cup-Autos und rassige 993 RS-Umbauten aus, während ein Porsche-Zelt Tequipment-Accessoires, Porsche Design-Uhren und eine spezielle Festival-Merchandise-Kooperation mit der Zürcher Modedesignerin Sandra Pinto und ihrem Label Lamarel bereithielt.

Im Zentrum der Veranstaltung befanden sich Tribünen und eine Bühne. Ich traf unseren CEO J.P. Rathgen, der die Veranstaltung mitorganisierte und der Jury des Concours d'Elegance vorstand. Der Gewinner des Concours war ein atemberaubender goldfarbener 997 Turbo „China Edition“. Vorbei an der Bühne und einigen wild modifizierten Cayennes -darunter einer mit ausfahrbaren Heckscheiben, die dann eine Bar bildeten, und einem Fondue-Set im Kofferraum – ging es auf die Startbahn. Auf dem Laufsteg standen alle erdenklichen Generationen und Modelle des 911: der 2.7 RS Carrera, der 964 RSR, der 911 SC Safari und mehrere 964 Speedster. Auch andere Modelle wie der 918 Spyder (inzwischen zehn Jahre alt) und zwei Carrera GT waren zu sehen. Der atemberaubendste Anblick waren jedoch die zwei langen Reihen verschiedener GT3, darunter mein persönliches Einhorn, der 4.0 997 GT3 RS.

Als die Sonne über dem Tal und den benachbarten Gipfeln unterging und sich die Menge langsam auflöste, machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof und dachte über die vergangenen zweieinhalb Tage in diesem Schweizer Paradies nach. Es war klar, dass der Verbrennungsmotor und die Leidenschaft für das Fahren um des Fahrens willen noch lange kein Relikt der Vergangenheit sind. Das Engagement von Porsche, diesen Spirit am Leben zu erhalten, von der Entwicklung synthetischer Kraftstoffe bis zur Organisation von Treffen wie diesem, ist in der Tat ein nobles Unterfangen. Als mein Zug nach Zürich abfuhr, dachte ich mir: „Alles Gute, Porsche. Herzlichen Glückwunsch zum 75. und many happy returns!"

Fotos von Andrea Klainguti