Dabei wäre das Konzept beinah an Sergio Pininfarinas Widerstand gescheitert.
Im Frühjahr 1968 arbeitete Paolo Martin als Designer für Pininfarina und saß gerade an den Entwürfen für den Innenraum des neuen Rolls-Royce Camargue, als ihn die Muse küsste: Auf der Ecke eines Skizzenblattes zeichnete er die Silhouette eines modularen Keilobjekts, halb Automobil, halb UFO. Schon die ersten Entwürfe waren für ihre Zeit revolutionär und brachen mit allen Konventionen. Firmenchef Sergio Pininfarina allerdings war zunächst wenig begeistert. Zwar waren aufsehenerregende Konzepte gefragt, um sich bei den anstehenden Messen medienwirksam zu präsentieren. Ferrari als einem der besten Kunden mussten natürlich immer wieder neue Entwürfe präsentiert werden – doch die Zeichnungen erschienen Pininfarina einfach zu provokant.
Paolo Martin allerdings stand hinter seiner Idee. In den Sommermonaten, als die anderen Designer ihren Urlaub an den italienischen Küsten verbrachten, kam Martin täglich in kurzen Hosen ins Büro, um aus Styroporplatten ein erstes Modell seiner Idee anzufertigen. Aber auch die dreidimensionale Formvorlage konnte Pininfarina nicht überzeugen und der Styropor-Ferrari verschwand in der Versenkung. Paolo Martin akzeptierte die Entscheidung und konzentrierte sich wieder auf die Umsetzung des Rolls-Royce Camargue – übrigens das erste und bis heute einzige Modell der britischen Luxusmarke, das in Italien gestaltet wurde.
Ende der 1960er Jahre produzierte Ferrari zu Homologationszwecken eine Auflage von 25 Exemplaren des Rennwagens 512 S, der in der Saison 1970 gegen den Porsche 917 antreten sollte. Da Ferrari nicht alle 25 Stück im Rennen einsetzen oder verkaufen konnte, wurden zwei Exemplare des 512 S zu Pininfarina nach Turin transportiert. Mit dem Ferrari 512 S Berlinetta Speciale entwickelte das Designstudio 1969 einen ersten Prototypen auf dieser Basis. Für den anstehenden Genfer Salon im März 1970 wurde schließlich auch das verworfene Modulo-Konzept von Paolo Martin reanimiert. Sein Entwurf sah vor, dem Chassis eine ultraflache und modulare Karosserie in Flunderform aufzusetzen. Statt Türen hatte er ein bewegliches, mit Front- und Seitenscheiben verbundenes Kabinendach vorgesehen, das sich nach vorn schieben ließ und so den Einstieg ins Cockpit freigab. Die Räder der Studie sollten derweil hinter Abdeckungen verborgen bleiben – was jegliche Kurvenfahrt fast unmöglich machte.
Wie nicht anders zu erwarten, wurde der Ferrari Modulo erst im allerletzten Moment fertig gestellt. Kurz vor dem Abtransport setzte Paolo Martin dem Prototypen statt der Sichtglas-Heckscheibe eine 24-fach gelochte schwarze Metallplatte ein, durch die man den V12-Motor bestenfalls erahnen konnte. Auf dem Weg erhielt der gerade einmal 93 Zentimer hohe Konzeptwagen seine Lackierung – zunächst noch schwarz. Entgegen Pininfarinas Befürchtungen war der futuristische Modular-Ferrari ein voller Erfolg. Presse und Publikum in Genf jubelten, Paolo Martins Entwurf ging um die Welt. Der Modulo erhielt zahlreiche Designpreise und wurde von einer Motorshow zur nächsten gereicht. Osaka, Montreal, New York, Los Angeles. Sogar ein gutes Jahrzehnt später, beim Turiner Autosalon 1984, war der ultraflache und mittlerweile weiß lackierte Ferrari als Attraktion auf dem Pininfarina-Stand im Einsatz. Sergio Pininfarina entschuldigte sich später bei Paolo Martin für seine Fehleinschätzung. Und obwohl der Modulo natürlich nicht in Serie ging, prägte sein Design nicht nur die kommenden Ferrari-Modellgenerationen (der 365 GT4/BB übernahm etwa die verglasten Frontscheinwerfer), sondern auch eine ganze Generation von Automobildesignern. Selbst heute hat der Modulo nichts von seiner Radikalität verloren.