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Abstammung verpflichtet: Porsche Classic Werkstatt

Einen Porsche 356 Speedster, 911 Carrera RS oder 959 lässt man nicht an der nächsten Ecke machen – die großen Zuffenhausener Ikonen bringt man zur Restaurierung in ihre schwäbische Heimat zurück. Classic Driver hat die Porsche Classic Werkstatt in Freiberg am Neckar besucht.

 

Wer bei Porsche Classic einen historischen Prachtbau erwartet, wird überrascht: In dem modernen Mehrzweck-Gebäude im hintersten Winkel des Freiberger Industriegebietes könnten auch Baustoffe oder Rasenmäher lagern – eine Heimat für die großen Klassiker der Automobilgeschichte jedenfalls würde man hier nicht erwarten. Doch das Understatement hat System und passt zum bodenständigen Technikgeist von Porsche. Statt auf Oberflächlichkeiten konzentriert man sich lieber auf das Wesentliche: die Reparatur, Wartung, Pflege und Restaurierung aller Porsche-Modelle, die seit mindestens zehn Jahren nicht mehr produziert werden. Kurz: 356, 914, 959 und 911 – inklusive der Typen 964 und 993 – sowie 924, 928, 944 und 968.

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Werkstattleiter Jochen Bader empfängt uns im ersten Stock, wo gerade bei einem halben Dutzend Porsche an Technik und Motoren gearbeitet wird. Rund 300 Autos werden im Jahr in der Classic Werkstatt betreut, zehn bis 20 davon sind Großprojekte. „Unser Spektrum reicht vom Ölwechsel bis zum full monty“, sagt Bader in jenem unnachahmlichen schwäbischen Selbstverständnis, das selbst den anspruchsvollsten Kunden überzeugen dürfte. Eine Komplettrestaurierung dauert in der Regel zwischen 12 und 15 Monaten. In einem von uns voll restaurierten Porsche stecken damit rund 1.500 Arbeitsstunden. Das ist in erster Linie für die ganz alten Modelle interessant. „Ein G-Modell haben wir nur ganz, ganz selten zur Vollrestaurierung – meistens sind es die frühen Elfer und die 356er, die von Grund auf in Stand gesetzt werden.“ Die einzige Ausnahme ist der 959, der beim Zeitaufwand und den Kosten mit der Restaurierung eines F-Modells gleich zu setzen ist – für den anspruchsvollen Achtzigerjahre-Supersportwagen ist Porsche Classic wahrscheinlich die einzige Spezial-Adresse weltweit.

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Dabei ist die Bearbeitung beim 959 natürlich eine völlig andere. Das Auto wird nicht entlackt – das wäre aufgrund der Bauteile aus Aluminium und der Keflar-Einlagen nicht möglich. Trotzdem kann man auch für einen 959 viel Geld ausgeben – für einen Farbwechsel, eine Motorrevision, die technische Instandsetzung und ein neues Interieur beispielsweise. Qualität hat eben ihren Preis. Wer einen klassischen 356 oder 911 zur Komplettrestaurierung bringt, sollte ebenfalls nicht unter 150.000 Euro einplanen. Dafür wird der Wagen zunächst vollständig demontiert. Erst angesichts der Rohkarosserie lässt sich die Substanz tatsächlich feststellen. Bei Bedarf werden Motor und Getriebe auseinander genommen, gereinigt und mit Originalteilen in ihren Urzustand zurückversetzt – rund 35.000 solcher unscheinbaren Schätze lagern in den Porsche-Regalen. „Wichtig ist natürlich auch“, betont Bader, „dass wir alle technischen Unterlagen und Zeichnungen haben: Wenn es etwas nicht mehr gibt oder Zweifel an der Originalität bestehen, kann man im Archiv recherchieren – und im schlimmsten Fall auch nachproduzieren.“

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Während die technische Instandsetzung durchaus auch von anderen Spezialisten auf dem Markt mit entsprechendem Ergebnis durchgeführt werden kann, ist die Classic Werkstatt bei der Karosserie klar im Vorteil. Entlackung, Vermessung, Rückverformung und Aufbau mit neuen Originalteilen erfolgen auf höchstem Niveau. Anschließend kommt die Rohkarosserie in den Genuss einer kathodischen Tauchlackierung, die hohen Korrosionsschutz bietet – und zu Produktionszeiten der meisten Klassiker noch gar nicht möglich war. Erst dann folgt der Lackaufbau. Wenn man 15 bis 20 Autos im Jahr derart komplett restauriert, sammelt man entsprechende Erfahrungen. Gleichzeitig sondiert das Team auch immer, welche neuen technischen Möglichkeiten existieren. Eis-Strahlen, Soda-Strahlen, Natrium-Chlorid, thermisches Entlacken, Soft-Entlacken – dies alles sind Verfahren, die bei Porsche Classic intensiv auf Vor- und Nachteile geprüft werden.

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Alte Autos und neue Technik – das ist natürlich auch immer ein Spagat. Doch der Fokus von Porsche Classic liegt auf dem Erhalt der Authentizität. Original-Werkzeuge, die ursprünglichen Rahmenlehren sowie die alten Datenblätter und Teile sind dabei ein Vorteil. Was den Grad der Restaurierung angeht, gibt es jedoch sehr unterschiedliche Geschmäcker –auch in Abhängigkeit der jeweiligen Kultur eines Landes. Für Werkstatt-Chef Bader mitunter ein Balanceakt. Grundsätzlich werden Neukunden zunächst einmal darüber informiert, wie sich die Oldtimer-Szene in den letzten Jahren entwickelt hat. Was man noch vor fünf Jahren praktiziert hat, ist heute mitunter gar nicht mehr üblich. Anstelle einer vollständigen Erneuerung erhält man eher die Patina und lässt ein Interieur - sofern praktikabel - unangetastet. Wenn gewünscht, wird ein Klassiker auch mit Neuteilen aufgebaut – allerdings mit dem Verweis, dass es schade ist um den Urzustand. „Auf der einen Seite gibt es eben die Kunden, die bis zur letzten Schraube die 14er-Schlüsselweite erhalten wollen“, erklärt Bader, „und auf der Gegenseite das andere Extrem, also Kunden, die einen kompletten Farbwechsel und ein ausgefallenes Interieur bestellen.“ Im besseren Fall lässt sich der Kunde vom Wert der Originalität überzeugen, dann werden beispielsweise nur die Sitze aufgepolstert, die alten Bezüge aber bleiben erhalten.

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Im Untergeschoss dann die Schatzkammer – intern schlicht als „das Lager“ bezeichnet – bei deren Anblick selbst Porsche-Sammler wie Jerry Seinfeld erblassen würden: Gut zwei Dutzend Patienten warten hier auf die Behandlung – darunter gleich sechs Porsche 959, zwei 911 Carrera 2.7 RS, ein 935 Street, dazu verschiedene Elfer- und 356er-Varianten, jede einzelne einen gesonderten Artikel wert. Hinter einer weiteren Tür dann das derzeitige Kronjuwel, der im vergangenen Sommer in Pebble Beach für rund 1,4 Millionen US-Dollar versteigerte Porsche 911 S aus dem Steve-McQueen-Klassiker „Le Mans“. Der schiefergraue Elfer war in der Eröffnungsszene des Kultfilms zum Einsatz gekommen – jetzt wartet er auf eine behutsame Instandsetzung durch die Classic-Spezialisten.

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Für den Werterhalt ist es natürlich auch gut, wenn ein Wagen bei Porsche Classic gemacht wurde. Die Dokumentation des Restaurierungsprozesses, überreicht in einer in Wagenfarbe lackierten und mit Originalleder überzogenen Box, enthält beispielsweise einen detaillierten Bildband sowie eine Foto-DVD mit ca. 1.000 Bildern. Ein wichtiger Punkt: Wer seinen Porsche in Freiberg warten oder restaurieren lässt, kann damit natürlich auch beim Wiederverkauf punkten – gerade bei den Top-Exemplaren ist eine einwandfreie Service-Historie bares Geld wert. Dafür garantiert Porsche Classic entsprechende Kompetenz. Die Mitarbeiter machen eben von früh bis spät nichts anderes, kennen ihr Spezialgebiet aus dem Effeff und könnten einen 928 oder 959 auch noch blind zusammen bauen. Und es ist ein Unterschied, ob man ein Exemplar im Quartal bearbeitet oder eines pro Woche. Ein 24-jähriger Mitarbeiter ist bereits nach vier Jahren in der Classic Werkstatt in der Lage, einen 959 komplett alleine zu bearbeiten.

In Zeiten, in denen die meisten Lehrlinge in Richtung Mechatronik steuern, ist Porsche Classic natürlich auch mit der Nachwuchsfrage konfrontiert. Den Laptop-Anschluss kann man beim 356er natürlich lange suchen – aber pro Jahr gibt es unter 100 Auszubildenden immer zwei oder drei junge Herrschaften, die statt Hybrid-Motoren lieber Klassiker bearbeiten möchten. Angesichts der vollen Auftragsbücher der Porsche Classic sicher nicht die schlechteste Entscheidung.

Weitere Informationen zu Porsche Classic finden Sie unter www.porsche.com/classic.

Text & Fotos: Jan Baedeker