Ein Auto für Millionen war der Jaguar XJ220 nicht. Eher ein Auto für eine Million, wenn auch zu guten alten D-Mark-Zeiten. Das allein wäre Grund genug, auf die Geschichte der britischen Superflunder zurückzuschauen. Doch es gibt noch einen Weiteren: Der XJ220 feiert dieses Jahr seinen 20. Geburtstag.
Wäre der Jaguar XJ220 ein menschliches Wesen, man könnte allein mit seiner Abstammung und Entstehung ganze Seiten der einschlägigen Boulevardpresse füllen. Wer kann schon von sich behaupten, ein eigenes Autowerk in Beschlag genommen zu haben und von einer echten Prinzessin getauft worden zu sein. Gleiches wiederfuhr dem Jaguar XJ220. Die Prinzessin der Herzen, Lady Diana, gab sich am 1. Oktober 1991 persönlich die Ehre, die Fertigungsstätte des wohl raumumgreifendsten Jaguar seiner Zeit zu eröffnen. Ab 1992 rollten binnen zwei Jahren immerhin 283 Exemplare des von Hand gefertigten Sportwagens aus den Hallen im englischen Bloxham, in denen später einmal Aston Martin die Modelle DB7 und DB7 Vantage montieren sollte.
V6-Biturbo statt V12
Die Geschichte des XJ220 begann jedoch schon einige Jahre zuvor mit Irrungen und Wirrungen. 1988 stellte Jaguar die Studie des 4,9 Meter langen, zweisitzigen Coupés erstmals auf dem Genfer Autosalon einem größeren Publikum vor. Das Auto hatte zu diesem Zeitpunkt noch einen V12-Motor unter der langgestreckten gläsernen Heckklappe. Ein Aggregat, mit dem Jaguar sportliche Rennerfolge verbuchen konnte – denn die Le-Mans-Siegerwagen von 1988 und 1990 verfügten in Grundzügen über eben diesen Motor. 450 PS waren vom ehemaligen Jaguar-Chefkonstrukteur Jim Randle vorgesehen worden. Doch die Zeit zwischen dem ersten Messeauftritt und dem Stapellauf brachte neben einem Konstrukteurswechsel – verantwortlich gemacht wurde zwischenzeitlich der schillernde Schotte Tom Walkingshaw – auch einen neuen Motor mit sich. Am Ende standen nicht nur rund 100 PS mehr auf den Messuhren der Prüfstände, sondern auch ein komplett neues Antriebsaggregat im Heck. Jaguar setzte nun auf einen mit zwei Garret-Turboladern befeuerten 3,5 Liter V6 mit Vierventil-Zylinderköpfen. Damit schoss der aus Aluminium gefertigte Jaguar XJ220 binnen 4,2 Sekunden auf 100 km/h und erreichte, nicht zuletzt wegen der ausgeklügelten Fahrzeug-Aerodynamik, eine Höchstgeschwindigkeit von 322 km/h. 1992 waren dies Werte, mit denen kaum ein anderer Supersportwagen mithalten konnte.
Fahreigenschaften
Wer je das Glück hatte, eine Runde im XJ220 fahren zu dürfen, bekam von der aufwendigen Rennsporttechnik allerdings wenig mit. Der Jaguar gab sich weitestgehend zivil in seinen Umgangsformen. Die reichliche Verwendung edlen Connolly-Leders, die Armaturen und Bedienelemente aus dem Ford-Baukasten und eine bequeme Sitzposition erinnerten jedenfalls kaum daran, dass hier ein Rennwagen den Weg auf die Straße gefunden hatte. Lediglich der signalrote Startknopf und das Fehlen einer Servolenkung machten klar, dass die tägliche Fahrt zum Bäcker nicht das bevorzugte Einsatzgebiet des Jaguar sein dürfte. Eher waren es lange Reisen über weit geschwungene Autobahnen, auf denen der XJ220 seinen hohen Antriebskomfort ausspielen konnte. Wenn es dann mal zügig sein sollte, war es gut zu wissen, dass der Geradeauslauf bei 320 km/h dank einem Anpressdruck von 270 kg auf der Hinterachse so stabil war, wie einst die D-Mark. Die Abstimmung des mit Doppelquerlenkern an Vorder- und Hinterachse versehenen Fahrwerks sowie der durch die beiden Turbolader gedämpfte Auspuffsound ließen ebenfalls vergessen, dass der XJ220 eigentlich ein zufällig auf die Straße geratener Rennwagen war.
Marktsituation
Heute ist der XJ220 ein fast vergessener Zeuge einer längst vergangenen Zeit. Nur wenige Exemplare des Sportwagens wurden tatsächlich zugelassen, viele verstaubten jahrelang in den Showrooms. Andere dienten ausschließlich als Spekulationsobjekte. Oft mit enttäuschender Rendite, denn die Zahl derer, die sich Anfang der 90er Jahre auf ein so teures Autoabenteuer einließen, war gering, zudem vermissten die Kunden an dem aufgeladenen Sechszylinder in letzter Konsequenz das gewisse Flair. Doch stehen nun die Zeichen günstig, dass die Daumen für einen Wertzuwachs des raren Coupés wieder nach oben zeigen.
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Text: Sven Jürisch
Fotos: Jaguar