Mit 220 km/h an der dicht besiedelten Côte d‘Azur entlang pflügen? Im Flügeltürer SLS AMG wird das schwierig. Mit dem AMG-Speedoot von Cigarette dagegen ist es kein Problem. Auf rasanter Kreuzfahrt mit 2.700 PS.
Wie ein Haifisch beim Angriff schnellt das silberfarbene Speedboat durchs Wasser. Die Wellen vor der Côte d‘Azur teilen sich vor dem Fiberglas-Bug, als habe Moses gerade das Rote Meer angebrüllt. Erst als das AMG-Boot des amerikanischen Kult-Herstellers Cigarette den kleinen Hafen von Cassis ein paar Kilometer hinter sich gelassen hat, kann man den Motor voll aufdrehen. Andernfalls würden die Fischerboote wahrscheinlich auf den Schockwellen Walzer tanzen. Die rechte Hand liegt auf dem Schubhebel, die linke umklammert das griffige Lederlenkrad. Nur langsam folgt der ellenlange Bug des AMG-Renners den Lenkbefehlen, entgegenkommendem Verkehr muss man rechtzeitig ausweichen.
„Man muss das Wasser lesen können wie ein Rallye-Fahrer die Straße“, ruft Cigarette-Pilot Bud Lorow, als er für die Hochgeschwindigkeitsfahrt das Steuer übernimmt. Wetter und Seegang wechseln ständig, und wenn man nicht aufpasst, kann das Tempo im Wortsinn halsbrecherisch sein. Die obligatorischen Schwimmwesten beruhigen die Passagiere nicht halb soviel wie die seelenruhige Miene von Bud, der als ehemaliger Speedboat-Rennfahrer die Tücken der See kennt wie seine Westentasche.
Als Bud den Schubhebel ganz nach vorn drückt, scheint sich der Rumpf gen Himmel zu strecken, das Grollen der V8-Motoren wird zu einem infernalischen Gebrüll. Jeder Schlag aufs Wasser wirkt trotz der bequemen Ledersitze wie ein Peitschenhieb, das Boot zieht eine gewaltige Gischtfontäne hinter sich her. Das GPS-System zeigt den Top Speed an: 136 Meilen pro Stunde, fast 220 Km/h. Die kann der 317 Km/h schnelle SLS zwar leicht überflügeln, doch eine Vollgasfahrt im Flügeltürer ist nur halb so imposant wie der Parforce-Ritt in einer Cigarette.
Das AMG-Boot hat zwei V8-Maschinen im Heck, jede leistet stramme 1.350 PS. Zusammen sind das 2.700 PS und 18 Liter Hubraum. Die Monster-Motoren kommen vom berühmten Hersteller Mercury, kosten 400.000 US-Dollar pro Stück und sind abgesehen von einigen Rennmotoren die stärksten Aggregate, die dort jemals konstruiert wurden. Wie ein Wal, der Unmengen Krill verschlingt, will die Cigarette-Rakete mit Unmengen Sprit gefüttert werden. „Eine Meile pro Gallone“, bemerkt Bud Lorow trocken – umgerechnet sind das rund 235 Liter pro 100 Kilometer.
Das Speedboat trägt den gleichen silbernen „Alubeam“-Lack wie der SLS, auch einige Instrumente und die sportlich-bequemen Ledersitze sind vom Flügeltürer inspiriert. Die Lautsprecherboxen des Soundsystems sehen wie Felgen aus. „Cigarette und AMG haben ähnliche Firmenphilosophien“, erklärt Cigarette-Chef Skip Braver die Partnerschaft der beiden Hochleistungsschmieden, „gut ist uns nicht gut genug und bei der Performance ragen wir heraus“, meint Skip. Viele seiner Kunden führen mit ihren eigenen AMG-Boliden zum Hafen. Da sei es naheliegend gewesen, Rennboot-Gene mit Knowhow aus Affalterbach zu verbinden.
Die maritimen Hubraum-Fanatiker hatten sogar überlegt, gleich einen AMG-Motor zu verwenden. Doch für ihre Ansprüche war selbst das 571 PS-Aggregat des SLS nicht stark genug. „Eine Anpassung der Maschine an unser Boot wäre auch nicht kosteneffizient gewesen, denn wir fertigen nur geringe Stückzahlen“, sagt Skip Braver. Sein Unternehmen lebt von der Exklusivität – und auch von einem legendär-berüchtigten Ruf, der auf Firmengründer Donald Aronow zurückgeht. Dessen pfeilschnelle Meeres-Zigarren waren nicht nur bei Kunden wie der amerikanischen Küstenwache oder US-Präsident Bush Senior heiß begehrt, sondern auch bei Kokainschmugglern und Mafia-Gangstern. Aronow wurde 1987 in seinem Auto erschossen, die Umstände wurden nie aufgeklärt.
So bekam Cigarette Boats sein Bad Boy-Image, und das pflegen die Amerikaner bis heute. „Wir sind das auf dem Wasser, was Harley-Davidson auf der Straße ist“, sagt Skip Braver – ein Mann wie ein Baum mit wettergegerbten Gesichtszügen, dem man ungern widersprechen möchte. Viele der 74 Cigarette-Mitarbeiter, die in Florida pro Jahr rund 60 Boote fertigen, sind schon in der zweiten Generation an Bord. Die schlanken Boliden entstehen in Handarbeit, 14 bis 20 Wochen dauert die Fertigstellung. Das Top-Modell Marauder kostet mit voller Ausstattung rund eine Millionen Dollar. Die Sitze werden mit Leder nach Wunsch bezogen, die Armaturenbretter lassen sich nach Belieben gestalten und vom Nachtsichtgerät bis zur Unterwasserkamera sind zahllose Hightech-Extras erhältlich. „Manche Kunden geben 100.000 Dollar nur für die Soundanlage aus“, berichtet Skip.
Natürlich ist es genau wie beim SLS AMG auch die geballte Power, die die Faszination des Hochleistungsbootes ausmacht. Zielloses Rasen gehört sich für den betuchten Gentleman am Steuer aber weder zu Lande noch im Wasser. „In einem Supersportwagen müssen Sie ja keine 200 fahren“, sagt Skip, „schon wenn sie vor dem Café parken, erregen Sie Aufmerksamkeit. Und auch in einer Cigarette ist man nicht nur cool, wenn man mit 200 Sachen durch die Wellen pflügt. Es reicht schon, das Boot am Kai zu vertäuen.“
Das AMG-Boot ist bislang ein Einzelstück und eine Serienfertigung nicht geplant. Skip will es verkaufen, den Preis verrät er nicht. Aber es gebe schon viele Interessenten. Und wen? Der Speedboat-König lächelt: „Diskretion gehörte bei uns schon immer zum Geschäft.“
Weitere Informationen erhalten Sie unter www.cigaretteracing.com.
Text: Sebastian Viehmann
Photo: AMG