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Louis Vuitton Reisegepäck: Wo sind all die Koffer hin?

In Paris zeigt eine Ausstellung historische Gepäckstücke aus der Manufaktur Louis Vuitton. Eine Gelegenheit für ein paar unbeschwerte Gedanken über das Reisen an sich.

Gerade wurde in New York City eine Großrazzia gegen das sogenannte organisierte Verbrechen durchgeführt. Die vom FBI koordinierte Aktion fand interessanterweise bei Tageslicht (und nicht etwa wie aus einschlägigen Filmen vertraut: bei Nacht und Nebel) statt, dennoch gingen den Beamten 127 ins Netz, die einem der Straffälligkeit verdächtigen Tagwerk nachzugehen schienen. Dass es so etwas überhaupt noch gibt! Organisiertes Verbrechen, mafiöse Familien sogenannter Gangster mit dicken Bäuchen und fetten Wummen, die auf kuriose Namen hören wie just von der New Yorker Polizei aktenkundig gemacht: "Fat Dennis", "Jack The Whack" oder schlicht "Kasey Crown".

Louis Vuitton Reisegepäck: Wo sind all die Koffer hin? Louis Vuitton Reisegepäck: Wo sind all die Koffer hin?

Im besten Museum der Stadt Paris wiederum - es handelt sich natürlich zugleich um das unbekannteste, das in zwei benachbarten Stadthäusern untergebrachte Musée Carnavalet in der Rue de Sévigné No 23 - gibt es noch bis zum 27. Februar eine Ausstellung historischer Koffer von Louis Vuitton zu sehen. Das stellt man sich aus der Ferne, in einer Zelle in Brooklyn, in einem Penthouse in Düsseldorf, auf Anhieb zu Recht etwas dröge vor - ein Haufen alter Koffer eben - doch halt: Nimmt man die Reise nach Paris erst auf sich, kann man im Musée Carnavalet einen beinahe schon kriminell amüsanten Nachmittag verbringen.

Ein Geigenkoffer wird übrigens nicht ausgestellt. Und somit ist das Hintertreppige des organisierten Verbrechens unwiderruflich bewiesen - selbst wenn es immer wieder Filme zum Thema gab, die jenes Milieu als ein glamouröses erträumten. Doch ein Gangster mit Stil, er hätte zu jeder Zeit einen Geigenkoffer für seine Maschinenpistole bei Louis Vuitton bestellt.

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Dabei sind es nicht nur die wunderlichen und teilweise auch abstrusen Sonderanfertigungen, die das Vergnügen an dieser Ausstellung bereiten. Klar fragt man sich, wer einen mannshohen Koffer bestellt, in dem eine funktionstüchtige Dusche eingebaut ist - es handelt sich um eine Designstudie von Jimmy Minodier aus dem Jahr 2004; Solarzellen und ausfahrbarer Duschvorhang inklusive. Oder wer einen Koffer braucht, der nichts enthalten soll außer einen großformatigen Sony-Walkman, zwei Tonbandkassetten plus Metronom und Notenständer? Der Dirigent Pierre Boulez leistete sich das Modell in schwarzem Krokodilsleder mit rotem Innenfutter im Alter von 73 Jahren. Der Schriftsteller Ernest Hemingway bestellte einen quaderförmigen Koffer, der seine Schreibmaschine und eine Handbibliothek enthielt. Karl Lagerfelds iPod-Koffer samt Stereoanlage wurde nach Fertigstellung in derart vielen sogenannten Lifestylemagazinen abgebildet, dass er hier eigentlich keiner weiteren Erwähnung mehr bedarf.

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Doch es waren nicht nur die mehr oder weniger exzentrischen Wunschvorstellungen mehr oder weniger prominenter Auftraggeber, die man bei Louis Vuitton seit Firmengründung im Jahr 1854 zu erfüllen gewohnt war: In Paris sind mehrheitlich Koffer zu betrachten, deren rätselhafte Form vom Einfluss anderer Faktoren zeugen. So wurde in einem L-Förmigen Koffer nicht etwa ein L-Förmiger Keks transportiert - etwa vom Zuckerbäcker irgendeiner Majestät -, auch wurde der lederne Buchstabe zum Herumtragen nicht vom Dadaisten Tristan Tzara bestellt. Die seltsame Form ist Ergebnis eines seltsam geformten Nischenplatzes im Kofferraum eines altertümlichen Automobils, für den dieser Koffer angefertigt werden musste. Vielleicht stieß dort an jener Stelle ein Radkasten hervor und machte die Aussparung an der klassischen Form des Koffers nötig. Die Assoziation mit einem Buchstaben entsteht im Gehirn des Betrachters. Koffer kennen kein Alphabet. Wobei besonders die Beschriftungen mit den Initialen der Besitzer um die Jahrhundertwende von einer nur poppig zu nennenden Schönheit sind, dass man beim Gang durch die Vitrinen noch und noch beschließt, sich sämtliche zu Hause aufbewahrten Gepäckstücke in diesem plakativen Stile monogrammieren zu lassen. Und spätestens bei dieser Gelegenheit fällt es einem dann auf: So rasend viele Koffer besitzt man ja eigentlich gar nicht mehr.

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Das Reisen an sich ist unvorstellbar komfortabel geworden. Unvorstellbar für einen Reisenden des 19. Jahrhunderts, der sich angesichts unserer aufgeplusterten Beschwerden über ein paar verspätete ICE-Züge an den Tropenhelm klopfen müsste; gerade froh darum, den nächsten Dampfer nach Ecuador erwischt zu haben, nach dem das Schiff zuvor gesunken, er wiederum gezwungenermaßen acht geschlagene Wochen in den Arrakstuben von Galle, Ceylon hatte zubringen müssen. Ein sogenannter Reisetag war damals eine potenziell lebensgefährliche Angelegenheit. Die Ausrüstung, somit auch die Behälter der Ausrüstung zeugen davon: Der verführerisch in blankem Silberton und warmem Kupfer spiegelnde Koffer zum Beispiel ist keineswegs eine Spezialanfertigung für Jeff Koons, sondern stammt aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert und war für Expeditionen in feuchtwarme Urwälder gemacht. Das Innenleben besteht aus Zedernholz, um Insekten vom Hineinkrabbeln abzuschrecken. Eine umlaufende Lippe aus Kautschuk verhinderte das Eindringen von schimmelbringender Feuchtigkeit während des Transportes an sich.

Dass sich der Dresscode gelockert hat - von den in New York verhafteten Gangstern trug auch kein einziger mehr eine Melone oder gar einen Nadelstreifenanzug, sondern Sportswear von Abercrombie & Fitch -, hat immens zum Kofferverlust beigetragen: Der Schuhkoffer der Koloratursopranistin Lily Pons, gerühmt für ihre Darbietung der Lucia di Lammermoor, war ein Standmodell. Von den Ausmaßen einer nur wenig geschrumpften Telefonzelle (die es ja ebenfalls nicht mehr gibt). Das Getüm war zu jener Zeit in den 30er-Jahren aber nicht etwa ein bizarres Sondermodell, sondern ein regelmäßig angefertigter Koffer. Lily Pons' Füße allerdings schienen derart zart von Wuchs, dass es den Handwerkern bei Vuitton leicht möglich war, 36 Schubladen einzubauen; das Standardmodell fasste nur 30 Paar Schuhe. Man sieht auf den Flughäfen nur selten noch Schrankkoffer; überhaupt checken im Grunde nur noch Ferienflieger Gepäckstücke ein, und das sind dann Plastikungetüme mit Rädern unten dran, die von fliegenden Versieglern mit reichlich Frischhaltefolie umwickelt wurden. Das sieht scheiße aus, ist den Fliegenden aber egal, denn irgendwie ist auch das Fliegen egal geworden, das Reisen den meisten auch, und ob es ihnen dort, wo sie hinreisen, denn wenigstens noch Vergnügen bereitet - man weiß es nicht recht.

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Wo die Ritter und Edelmänner früher den Degen befestigten, steckt heute der Blackberry im Gürtelfutteral, das man auch längst nicht mehr Scheide nennt, sondern: Holster. Mit dem Blackberry selbst kann man sich eigentlich nicht mehr so gut duellieren, beim Zuschlagen mit dem kanadischen Tastenfuchs hinterlässt man nur wenig eindrucksvolle Beulen, der Zinkkoffer aus der Tropenfahrerzeit hatte noch einen anderen Wumms. Aber uneigentlich erinnern die voreinander mit Adressdaten und Weblinks blankziehenden Reisenden unserer Tage noch immer an die Helden mit Degen, allerdings in einer zum Abwinken unspannenden Dubversion. Der durch Zahlenschlösser gesicherte Aktenkoffer, in den 80er-Jahren fester Bestandteil der Schuluniform jedes Nerds, wurde durch das kennwortgesicherte Laptop ersetzt (neulich sah ich von meinem Platz im ICE durch die Sitzlehnen hindurch einen Nadelstreifenträger seinen Login mit "Darth Vader" eintippen); seit es das iPad gibt, braucht man noch nicht einmal mehr eine Laptoptasche - das iPad nimmt unter dem Arm nicht mehr Raum ein als eine Zeitung oder ein Kantinentablett. Die Arbeitskluft, ein paar Hemden, die andere Krawatte, Deostick und Sonstiges unter 100 Millilitern wird in einem vorzugsweise schwarzen (sieht "professionell" aus) Trolley an Bord kutschiert. Die Alternative der unteren Chargen besteht wahlweise in Rucksack oder Sporttasche mit Werbeaufdruck.

Dass insbesondere auf den Gepäckstücken aus dem Hause LV ziemlich viele Aufdrucke (gemeint ist die "Monogramme"-Serie) zu sehen sind, ist, auch das eine Erkenntnis dieses Nachmittages in Paris, keine Erfindung der Designer von Louis Vuitton, sondern man entsprach auch hier den Wünschen der Klientel: Da sich zu Ende des 19. Jahrhunderts der Ruf, in Asnières gäbe es ausgezeichnetes Gepäck zu holen, im Wesentlichen weltweit herumgesprochen hatte, verlangten die Kunden verstärkt nach einer Art von Kennzeichnung, auf dass man bei Anlandung auf der exotischen Pier schon von Weitem erkenne: Diese Dame von Welt, dieser Herr reist mit Koffern von Louis Vuitton.

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Der Kulturpessimismus ist eine Schweinerei und gehört abgeschafft, aber dass die Romantik des Reisens mit dem Verschwinden der Eisenbahn gelitten hat, davon bekommt man im Musée Carnavalet schon einen Dunst. Der Koffer, den Helmut Lang, der wichtigste Modeschöpfer der 90er-Jahre, 1996 für Louis Vuitton entwarf, war für Vinylschallplatten gedacht. Heute müsste dort mindestens ein MacBook hinein, auf dem die Software "Traktor Pro" installiert wurde, sowie zwei damit zu verbindende CD-Decks. Dafür fallen bei den meisten DJs die Schallplatten weg - und auch die Behälter für sehr viele CDs, da zehn mit MP3-Dateien bespielte Scheiben auch für sehr lange Nächte vollkommen ausreichen. Trotzdem ist der Plattenkoffer mit das schönste Exemplar. In der Ausstellung ist er leider nicht zu sehen. Aber ansonsten beinahe alles Vorstellbare, was oben oder an der Seite einen Henkel besitzt.

Übernahme aus der Welt am Sonntag

Text: Joachim Bessing
Foto: Luc Castel für Louis Vuitton / Archiv Louis Vuitton



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