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Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards

Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards

Jahrhundertsportwagen, Designikone: Seit 60 Jahren ist der Mercedes-Benz SL eine bundesdeutsche Institution – und aus dem Roadster-Segment nicht mehr wegzudenken. Auch die sechste Generation des Gentleman-Sportlers setzt auf großen Komfort und gediegene Sportlichkeit. Classic Driver hat den neuen Mercedes 500 SL in Marbella getestet.

Er ist der Mercedes unter den offenen Sportwagen – und hat die Automobilgeschichte der Nachkriegszeit so kontinuierlich geprägt wie kein anderer. Vom legendären Flügeltürer von 1952 erstreckt sich die Evolutionslinie bis zum jüngsten Modell der Baureihe R231, das im Januar 2012 in Detroit enthüllt wurde und nun unter südspanischer Frühlingssonne sein Straßendebüt gibt. Vor dem Marbella Club Hotel, in dem einst Prinz Alfonso von Hohenlohe mit Gunter Sachs und Brigitte Bardot das europäische Jetset etablierte, steht er also – der neue SL. Leichter, schneller, sparsamer, komfortabler soll er geworden sein. Man hätte nicht weniger erwartet. Denn, so bestätigt Programmleiter Dr. Uwe Ernstberger, handelt es sich beim SL neben der S-Klasse um den Markenbotschafter schlechthin. Die Generationswechsel jedoch sind selten – der letzte SL debütierte vor mehr als 10 Jahren. Und entsprechend hoch hängt die Messlatte.

Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards
Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards


Mercedes-Chefdesigner Gorden Wagener stand bei der SL-Entwicklung vor der Herausforderung, die historisch etablierte Modellform im neuen Markenlook zu interpretieren und gleichzeitig den visuellen Abstand zum Mercedes SLS AMG Roadster zu wahren, der sich ebenfalls auf den 300 SL Roadster bezieht. Die Proportionen des neuen SL sind wieder einmal klassisch und roadster-like, mit deutlichen Überhängen, langer Motorhaube und weit zurück versetztem Cockpit. Dass der Wagen in Länge und Breite leicht angewachsen ist, fällt visuell kaum ins Gewicht. Dafür entspricht das Styling der aktuellen, progressiven Daimler-Designstrategie: Der aufgestellte Kühlergrill, die aufgerissenen Scheinwerfer-Augen und die skulpturale Ausgestaltung der Front mit reichlich Bögen, Schwüngen und scharfkantigen Falten setzen vorn ein dramatisches Statement, dem die sanft abfallende Heckpartie allerdings kaum etwas entgegen setzen kann. Und statt der dekorativen, aber funktionslosen Seitenfinnen im Stil des 300 SL hätte man sich eher an der schlichten, aber glasklaren Linienführung der Vorgänger-Generationen orientieren dürfen.

Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards
Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards


Dafür punktet der neue SL mit Aerodynamik-Bestwerten – und einer Rohbau-Struktur, die zum ersten Mal fast vollständig auf Aluminium setzt. Bis zu 140 Kilogramm haben die Ingenieure dem großen Roadster durch intelligenten Leichtbau abgerungen, was sich bei Dynamik und Verbrauch positiv bemerkbar macht. Gleichzeitig ist die neue Struktur noch einmal steifer und sicherer geworden. Das Herzstück eines Mercedes SL ist natürlich der Motor – als effitzienter Einstieg in die Modellpalette steht der 306-PS-V6 des SL 350 bereit, erste Wahl ist jedoch weiterhin der V8 im SL 500: Mit 4,7 statt 5,5 Litern Hubraum fällt der Triebwerksklassiker zwar deutlich kleiner und gut 22 Prozent sparsamer aus als im Vorgänger, das Drehmoment ist jedoch von 530 auf 700 Nm angehoben worden und die Leistung liegt mit 435 PS ebenfalls deutlich höher. Zwei Turbolader und eine Direkteinspritzung machen hier den Unterschied. In 4,6 Sekunden kann man sich so von 0 auf Tempo 100 katapultieren lassen – oder eben, das unterscheidet den SL von anderen Kraftprotzen, ganz sanft und mühelos nach vorne treiben lassen. Das unmerklich schaltende Siebengang-Automatikgetriebe tut hier ebenfalls seinen Teil.

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So gleiten wir durch Marbella, über den palmengesäumten Bulevar del Principe Alfonso von Hohenlohe – und fühlen uns zurückversetzt in eine Zeit, als hier an der andalusischen Küste hinter jedem Hermès-Tuch und jeder Goldsmith-Sonnenbrille eine Grace Kelly oder Jackie Kennedy stecken konnte. Wer damals mit einem 300 SL Roadster oder später auch einer „Pagode“ in durchdachter Farbkombi auftrat, gehörte fast automatisch zur „Familie“. Die Aura distinguierter Gelassenheit umgibt auch den neuen SL – und nicht nur der leise schnurrende V8-Motor, sondern auch das Fahrwerk passen in’s Bild: Serienmäßig rollt der SL auf einer höchst komfortablen, semiaktiven Verstelldämpfung. Optional ist zudem die aktive Fahrwerksregelung Aktive Body Control (kurz ABC) verfügbar – fluffig wie auf einer frisch gebackenen Soufflé-Wolke schwebt man im Komfortmodus über jede Bodenwelle und durch jede Kurve. Zum mediterranen Boulevard-Cruisen das absolute Nonplusultra. Wer die Performance seines 500ers auch auf Berg- und Kurvenstraßen auskosten möchte, ist unserer Meinung nach mit dem Sport-Paket AMG inklusive strafferem Fahrwerk am besten beraten. Auch die agile Torque Vectoring Brake kommt hier endlich voll zum Einsatz. Einen flotteren Serpentinen-Tango haben wir jedenfalls lange nicht auf’s Parkett gelegt.

Mercedes-Benz SL: Grandseigneur des Boulevards
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Das richtige Maß zwischen Sportlichkeit und Komfort sollten natürlich alle Kunde für sich selbst definieren. Ein Heer von Assistenz-Systemen beispielsweise steht für jeden parat, der sich am Steuer nichts mehr beweisen muss. Die Totwinkel-, Spurhalte- und Bremsassistenten sowie ein umfassendes Sicherheitspaket helfen jedenfalls, sich immer voll auf den Fahrgenuß zu konzentrieren. Ebenso lang ist die Liste der Komfort-Features, deren Lektüre bei Mercedes zu den besonderen Freuden gehört: Die Nacken-Heizung Airscarf etwa ist zwar bereits bekannt, lässt sich aber statt des obligatorischen, pastellgelben Kaschmirpullis wunderbar um den Polokragen legen. Für ein Frischluft-Erlebnis ohne Sturmfrisur sorgt derweil das automatisch ausfahrende Windschott. Und sollte man doch einmal genug Sauerstoff und Sonne getankt haben, ist in nur 20 Sekunden das sogenannte Variodach hochgeklappt, dass man auch mit abdunkelbarer Panoramascheibe ordern lässt. Und auch ein ästhetisches Problem des Roadster-Fahrens hat die Entwicklungsabteilung endlich gelöst: Die neuen Sprüh-Scheibenwischer Magic Vision Control sollten auch die hartnäckigsten Mückeneinschläge beseitigen können.

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Typisch Mercedes ist auch die Verarbeitungsqualität des Interieurs – Holz- und Aluminium sind gekonnt eingesetzt und werden auf Wunsch von einer Ambient-Beleuchtung in Szene gesetzt, die Sportsitze lassen sich auf jede Körperfülle einstellen und der Sound des neuen Frontbass-Systems von Harman/Kardon, das die Basslautsprecher im Fußraum in die Rohkarosserie integriert, kann bei geöffnetem Verdeck ganze Stadtviertel bespielen. Für 93.534 Euro bekommt man den SL 350, der SL 500 ist ab 117.096 Euro zu haben – dürfte angesichts der attraktiven Extras jedoch in den meisten Fällen teurer ausfallen. Eine Lösung für Unentschlossene ist die „Edition 1“, die zum Start der neuen SL-Klasse als opulentes Ausstattungspaket angeboten wird. Und tiefer sollte man zumindest in Marbella nicht stapeln.

Ende März kommt der neue Mercedes SL in die Showrooms. Den Flügeltürer, die Pagode und alle anderen Modelle aus sechs Jahrzehnten Mercedes-Benz SL-Klasse finden Sie schon jetzt im Classic Driver Marktplatz.

Text: Jan Baedeker
Fotos: Daimler