Während Sir Richard Branson bei einer Soirée mit 800 seiner engsten Freunde auf die Zukunft der privaten Raumfahrt anstieß, nutzte Aston Martin die Gelegenheit, auf der gerade eröffneten Startbahn des Weltraumbahnhofs eine neue Stufe automobiler Rocket Science zu zünden.
Sir Richard Branson hätte keinen abgelegeneren Ort für seinen neuen Spaceport America wählen können: Die in einer Wüste im Süden New Mexicos gelegene Anlage mit Hauptquartier, Hangar und Terminal soll in Zukunft als Startpunkt der ersten kommerziellen Passagierflüge in den Weltraum dienen. Fast 500 zivile Astronauten haben sich bereits für den rund 200.000 US-Dollar teuren Zwei-Stunden-Flug in den Orbit angemeldet – 110 Kilometer von der Erdoberfläche entfernt werden sie für sieben Minuten die Schwerelosigkeit erleben. Der Start der Raumfähre erfolgt allerdings nicht – wie einst in Cape Canaveral – über eine Startrampe, vielmehr steht im Spaceport America eine 3.000 Meter lange und 60 Meter breite Startbahn zur Verfügung, über die das Trägerflugzeug „White Knight Two“ mit dem angedockten Raumschiff „SpaceShipTwo“ abheben kann. In rund 16 Kilometern Höhe wird die Fähre ausgeklinkt und gezündet, um die restliche Reise ins All aus eigener Kraft zurückzulegen.
Während Classic Driver beim Jungfernflug in etwa einem Jahr wohl nicht dabei sein wird – die Ehre wird Richard Branson und seinen Kindern zuteil –, hatte ich kurz nach der Eröffnung des Weltraumbahnhofs jedoch die Gelegenheit, als einer der ersten Passagiere in der neuen, 750 PS starken und 355 km/h schnellen Straßenrakete von Aston Martin über das Rollfeld zu jagen. Alles in allem keine üble Alternative: Schließlich ist der Aston Martin One-77 nicht nur fünfmal so teuer wie ein Weltraum-Ticket, er ist auch deutlich exklusiver: Nur 77 Exemplare des Supersportwagens soll es geben, mehr als 55 Stück wurden bisher gebaut.
Auch technisch liegen Welten zwischen dem millionenschweren Ausnahmesportwagen und den Serien-GTs aus Gaydon: Das Monocoque-Chassis besteht vollständig aus Carbon, die Karosserieelemente sind aus Aluminium geformt und als Herzstück wurde unter der Fronthaube ein 7,3 Liter großer V12-Motor eingesetzt, der dank Trockensumpfschmierung ganze 100 Millimeter tiefer sitzt als alle bisherigen Straßen-Zwölfzylinder von Aston Martin – und so einen besonders tiefen Schwerpunkt ermöglicht. Auch die Front-Mittelmotor-Position wurde weiter ausgebaut; das Triebwerk sitzt nun 257 Millimeter hinter der Mittelachse der Vorderräder. Zusammen mit dem Motorenspezialisten Cosworth wurde der 6,0 Liter V12-Basismotor um 25 Prozent verkleinert und gleichzeitig die Leistung deutlich gesteigert. Die Kraft wird über ein modifiziertes sequentielles Sechsgang-Getriebe auf die Hinterräder gepresst, die mit Pirelli P Zero Corsa Reifen der Größe 335/30 ZR20 bezogen sind. Für die entsprechende Verzögerung sorgen besonders leichte Karbon-Keramik-Bremsen, deren Lüftung grundlegend überarbeitet wurde.
Das Steuer des One-77, den Aston Martin hier in New Mexico auf den Asphalt gestellt hat, übernimmt Chefingenieur Chris Porritt, wir nehmen derweil auf dem Beifahrersitz Platz. Der Prototyp war eines der ersten Exemplare, die in Gaydon in den Testbetrieb genommen und potenziellen Kunden präsentiert wurde. Seit dem Debüt der Studie im Oktober 2007 hat Porritt sehr viel Zeit und Arbeit in das anspruchsvolle Projekt gesteckt. Jener Moment, als der Wagen in Nardo erstmals eine Geschwindigkeit von 354 km/h erreichte – so verrät uns Porritt später im Interview – war einer der persönlichen Höhepunkte seiner Karriere.
So geduckt und aggressiv, wie er nur wenige Millimeter über dem Boden schwebt, ist der Aston Martin One-77 in der Tat ein eindrucksvolles Gerät. Eine der Ziele, die Porritt im Laufe der Entwicklung verfolgte, war es, dem Motor den markerschütternden Formel-1-Sound der Neunzigerjahre zu entlocken. Und schon auf dem Weg zur Startbahn erfüllt die Klangkulisse alle Erwartungen – mit welchem Soundtrack die Abgasanlage jeden Gangwechsel untermalt, ist schlicht einzigartig.
Im Innenraum bleibt es dann jedoch recht komfortabel. Das Fahrwerk ist überraschend weich und obwohl der Prototyp bereits mehr als 22.000 beinharter Kilometer im Langstrecken-Testbetrieb heruntergefahren hat, fehlt es nicht an Komfort. Ich berausche mich also an den edlen Ledern und hochglänzenden Carbon-Oberflächen, während mein Fahrer sich durch die Gänge arbeitet – bis knapp über 310 km/h beschleunigt Porritt sein „Baby“ an diesem Tag, die Wetterlage verbietet einen Vorstoß in den Grenzbereich. Wir können es kaum noch erwarten, das Steuer des Aston Martin One-77 selbst in die Hand zu nehmen.
Text: Patrick Paternie
Fotos: Aston Martin