Classic Driver wechselt die Perspektive und schlüpft ins Cockpit des neuen Saab 9-3 Cabriolets. Aus der Sicht des interessierten Beobachters in die Rolle des modernen Saab-Fahrers. Was ist dran am neuen schwedischen „Underdog“? Frischt er den Kultstatus des Saab 900 neu auf oder fährt er eigene Wege? Wir haben hinter die schwedischen Gardinen geblickt und liefern ihnen hautnahe Eindrücke aus Fahrersicht.
Der Saab 9-3 hat kein leichtes Erbe zu tragen – seine Generation war einmal Hip, also im Trend. Zwar war seine Käuferschaft – meist Individualisten mit einem Architektur-Diplom in der Tasche – vergleichsweise klein, trotzdem sorgte dieser erlesene Fankreis in den Achtziger- und Neunzigerjahren für erfreuliche Absatzzahlen im Hause Saab. Doch Trends sind vergänglich, gerade in der schnell drehenden Automobilbranche. Was macht man aus so einem Erbgut? Transportiert man den Kult in ein modernes Automobil zum Wohle der alternden Fangemeinde oder geht man neue Wege, riskiert die Sympathie seiner Liebhaber und wirbt um eine weitere Zielgruppe?
Das wahre Kultauto der 900er-Generation war der Saab 900 der ersten Serie. Erstmals im Jahr 1978 präsentiert, galt dieses Fahrzeug als Designobjekt, als eigenwillige Architektur der Automobilbranche. Kontrovers und polarisierend zugleich. Diese kompromisslose Eigenständigkeit flaute nach Einführung des Saab 900 (1993 bis 1998) und des darauf folgenden Saab 9-3 stetig ab. Seit der Übernahme des Automobilmagnaten General Motors sind experimentelle Serienfahrzeuge ohnehin passé. Entsprechend bleibt das aktuelle Saab 9-3 Cabriolet der eleganten, weniger markanten Designlinie treu, setzt jedoch zusätzlich sportliche Akzente. Vor allem in der Version „Aero“ – diesen Beinamen tragen bei Saab traditionell die Sportversionen – wirkt der offene Viersitzer dynamisch. Der Saab 9-3 Aero Cabrio 1.9 TTiD ist geprägt von einem mächtigen, vom Konzeptwagen Aero X abgeleiteten Frontspoiler, Schwellerleisten und einem Heckflügel auf der Kofferraumklappe. Aluminiumblenden in der Frontmaske, ein tiefer gelegtes Fahrwerk und 18-Zoll-Aluminiumräder unterstreichen den sportlichen Eindruck.
Als ich in den Nocturnblaumetallic farbenen Wagen einsteige, fällt mir ein, dass das mein erster Saab ist. Als Kind habe ich mich immer gefragt, warum mein Nachbar in diesem merkwürdigen Auto derart selbstbewusst in die Wohnstraße rollte? Den Kult um den Saab 900 habe ich erst viel später verstanden. So unvoreingenommen gehe ich ans Werk. Der Blick auf die Armaturen weißt auf ein üppiges Ausstattungspaket hin: Navigationssystem mit Touchscreen, Klimaautomatik, elektrisch verstellbare Sitze mit Memoryfunktion. Im Modell „Aero“ wird das Cockpit durch zahlreiche Aluminiumelemente und eine Schalt- und Zündschlosskulisse aus gebürstetem Edelstahl verfeinert. Apropos Zündschloss – dieses befindet sich auch hier traditionell in der Mittelkonsole. Das Lenkrad des Saab 9-3 Aero wurde ebenfalls mit Aluminiumoptik verfeinert und besitzt praktische Multifunktionstasten. Ebenfalls per Tastendruck eröffnet sich der Blick in den leicht bedeckten Himmel über mir. Sollte es plötzlich regnen, schließt die Hydraulik das Dach in nur 20 Sekunden.
Nach dem Motorstart – der kurze Aha-Effekt: Es ist ein Diesel. Das hatte ich schon vergessen. Bei geöffnetem Dach im Leerlauf lässt der 180 PS starke 1,9-Liter-Vierzylinder mit zweistufigem Abgasturbolader nicht daran zweifeln. Die holprige Anlaufphase entwickelt sich bei steigender Drehzahl jedoch prompt in einen flüssigen Arbeitstakt. Dank 400 Nm Drehmoment zwischen 1.850 und 2.750/min. beschleunigt das Cabriolet zügig aus dem unteren Drehzahlbereich, keine Spur von Massenträgheit bei einem Leergewicht von knapp 1,7 Tonnen. Von Null auf 100 km/h beschleunigt die Handschaltversion in 9,1 Sekunden (6-Gang-Automatikgetriebe: 9,5 Sekunden). Die Fahrstufen des manuellen Sechsganggetriebes lassen sich weich und präzise durchschalten. Etwas störend ist die Armlehne bei der Rückwärtsbewegung in die geraden Gänge, aber das verzeihe ich meinem luftigen Viersitzer dank seiner relativ kurzen Schaltwege. Ich bin mir nicht sicher, ob es an dem freundlichen, cremefarbenen Interieur, an den komfortablen Sitzen, am sommerlichen Fahrtwind oder am permanenten Kraftstoffverbrauch von unter sieben Litern liegt, aber dieses Auto wirkt beruhigend. Der Saab Aero ist schlicht prädestiniert zum Cruisen.
Gibt man dem Saab Aero die Sporen, reagiert er überraschend gelassen. Kurven bearbeitet der Viersitzer routiniert, als würde er sie bereits kennen. Wann der Saab im Kurvenbetrieb beginnt, über die Vorderachse zu schieben, lässt sich auf Anhieb präzise einschätzen. Vor der Autobahnauffahrt schalte ich in den zweiten Gang, greife fest ins Lenkrad und treibe den Viersitzer im kleinsten Kurvenradius voran. Am Kurvenausgang öffne ich die Lenkung und beschleunige Gang für Gang in Richtung Höchstgeschwindigkeit. Auf der Geraden schafft der Saab 9-3 Aero verlässlich 220 km/h, bergab sind es gar 240 Sachen. Nach derartigen Höchstleistungen habe ich die Schallmauer von acht Litern Treibstoffverbrauch durchbrochen. Genau sind es 8,3 Liter Diesel auf 100 km. Die Reifen dampfen, die Bremsen knacken – ich habe ein schlechtes Gewissen und schalte zurück auf Cruisen.
Gehen wir noch einmal zurück zur Saab-Tradition: Das Thema aktive und passive Sicherheit wurde im schwedischen Konzern stets groß geschrieben. Saab entwickelte etwa den ersten Seitenaufprallschutz, weil viele Unfälle durch einen in oder auf einen PKW springenden Elch verursacht wurden. Das aktuelle Saab 9-3 Cabrio knüpft an diese Tradition an und ist unter anderem mit einem speziellen Überrollschutz, adaptiven Frontairbags, die sich je nach Schwere des Unfalls insassenfreundlicher entfalten, sowie zweistufigen Seitenairbags ausgestattet. Auch das bekannte Nightpanel, das bei Nachtfahrten alle überflüssigen Anzeigen in der Armaturentafel ausschaltet, gehört zur Serienausstattung.
Der moderne Saab zielt nicht nur auf Individualisten ab, sondern positioniert sich auch im automobilen Mainstream. Trotzdem vermittelt er die traditionellen Werte des eleganten, schwedischen Ganzjahrescabriolets. Soweit der passive Eindruck. Emotionaler wird es hinter dem Steuer des Saab 9-3 Cabriolets, zumindest in der hier gefahrenen Version Aero 1.9 TTiD, die ab 42.800 Euro zu haben ist. Aus der Fahrerperspektive punktet das schwedisch-amerikanische Cabriolet mit kraftvollem und sparsamem Antrieb, Fahrdynamik und Komfort. Überzeugte Saab-Fahrer können sich über die guten Fahreigenschaften freuen, interessierte Beobachter oder Kritiker sollten eine Probefahrt buchen, bevor sie sich ein voreiliges Urteil erlauben.
Text: Jan-Christian Richter
Fotos: Nanette Schärf / JCR
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