Kalifornien, hier kam einst der Wunsch nach einem offenen Zweisitzer auf Basis des legendären Mercedes ‚Flügeltürer’ auf. Eilig wurden dem 300 SL in Stuttgart die Schwingen gestutzt und statt des Blechdachs eine leichte Stoffhaube angelegt. Die Geburt des 300 SL Roadster. Dank der sonnenverwöhnten Amerikaner und ihrem Traum von Freiheit sitzen wir über ein halbes Jahrhundert später in der frisch überarbeiteten fünften Modellreihe des sportlich-komfortablen Sunshine-Roadsters, der im April 2008 weitere drei Generationsjahre antritt. Auf den Spuren der Legende durchquerten wir die Straßen zwischen Los Angeles und Palm Springs. „Back to the roots!“
Um die SL-Klasse, dessen Modellgenerationen bekanntlich lange Amtszeiten einlegen, nach sieben Jahren weiterhin attraktiv am Markt zu platzieren, waren innovative Eingriffe gefragt. Zumal die Stuttgarter Designabteilung längst eine neue Linie zeichnet. Das aktuelle Mercedes-Gesicht ist markanter, die ehemals weichen Linien und Schwünge wurden geschärft und gestrafft. Statt weiblicher Rundungen – klare Flächen und prägnante Konturen. Entsprechend haben die Karosserieschneider eine komplett neue Front gestaltet, die dem Neuen ein individuelles Gesicht verleiht. Neben den einteiligen Scheinwerfern trägt die neue SL-Klasse eine Motorhaube mit Powerdome-Prägung. Die Haube und der Frontstoßfänger zeigen pfeilförmig die Fahrtrichtung an. Dadurch wirkt der SL schon im Stand extrem dynamisch. Es scheint, als hätten die Designer die nasse Tonvorlage in den Windkanal gestellt und erst dann trocknen lassen.
Wenig innovativ wirkt dagegen die Heckpartie. Hier wurde nur das Nötigste erledigt, um Harmonie zwischen Front und Rückseite zu schaffen. Dazu zählen die neugestalteten Rückleuchten, deren Winkel scharfkantiger sind. Motorspezifisch werden die SL-Klassen mit individuell gestalteten Abgasendrohren, Stoßfängern mit Diffusor, seitlichen Kiemen sowie Leichtmetallrädern ausgestattet. Die AMG-Pendants treten dabei deutlich selbstbewusster auf; auch als ihre Vorgänger. Mit zerklüftetem Frontstoßfänger, geschlossen von schwarzen Maschengrilleinsätzen, tief sitzenden Schwellern und schwarz konturiertem Diffusor verdeutlichen die Affalterbacher die Leistungsbereitschaft. Noch in diesem Jahr soll der SL 63 AMG mit Race-Set-Up das aktuelle Safety-Car der Formel 1, den C 63 AMG, ablösen.
Der Innenraum der SL-Klasse bleibt weitestgehend vertraut. Noch verschonen die Stuttgarter ihre Roadster-Klientel mit dem Multifunktionsregler, stattdessen wurden das Command-System überarbeitet und Features wie der Hals wärmende Air Scarf vom SLK adaptiert. Im Sichtfeld des Fahrers erscheint ein überarbeitetes Kombiinstrument und ein neu designtes Dreispeichenlenkrad. In den AMG-Modellen legt sich ein ergonomisches Sportlenkrad mit abgeflachtem Lenkradkranz in die Fahrerhände. Auf Knopfdruck ist nach 16 Sekunden das Blech-Dach im Kofferraum verschwunden. Ein tägliches Ritual im ewig sonnigen Kalifornien.
Die Balance zwischen Sportlichkeit und Komfort, beides auf höchstem Niveau, sie prägt den Charakter des SL seit jeher. Für souveränen Vortrieb sorgt heute ein Motorenangebot aus sechs verschiedenen Triebwerken: Das neue Einstiegsmodell, der SL 280 mit 231 PS, wurde sozusagen obligatorisch aufgelegt, um die Lücke nach unten zu schließen. Denn der Sechszylinder des SL 350 leistet mittlerweile 316 PS und ist daher für ein Einstiegsmodell schlicht zu kraftvoll. Dann folgen der 388 PS starke 5,5 Liter Achtzylinder SL 500, der SL 600 mit V12-Biurbo und 517 PS (830 Nm) und nicht zuletzt die AMG-Versionen: Der SL 63 AMG mit seinem 5,5 Liter V8-Saugmotor mit 525 PS und neuem AMG MCT Speedshift MCT 7-Kupplungs-Getriebe sowie der Road-Star SL 65 AMG mit 612 Pferdestärken und zermürbenden 1000 Newtonmetern.
Unabhängig von der Motorleistung sollte der neue SL vor allem mehr Dynamik vermitteln. Dafür wurde eine mechanische Direktlenkung verbaut mit variabler, auf den Lenkwinkel abgestimmte Übersetzung der Zahnstange. Ab einem Lenkwinkel von fünf Grad verändert sich die Hebelwirkung, dann lässt sich der SL schon mit geringen Lenkbewegungen durch die Kurven treiben. Die Lenkung ist dadurch spürbar direkter, trotzdem bleibt beim Geradeauslauf ein vertrauter Bewegungsspielraum. Auch haben die Techniker das Fahrwerks-Management Active Body Control weiterentwickelt. Das ABC verschlingt konsequent Wank-, Nick- und Hubbewegungen, selbst die des frontlastigen SL 600. Es gleicht einer Sinnestäuschung, wenn die Karosserie des 2-Tonnen-Roadsters beim Beschleunigen, in 4,5 Sekunden von Null auf 100 km/h, keine Regung zeigt. Apropos Durchzugskraft - sie ist allgegenwärtig. Aus jeder Lebenslage katapultiert der Zwölfzylinder seine Treiblast nach vorn. Dabei brodelt das Treibwerk vornehm-krafvoll, wie ein Achtzylinder, dem Manieren beigebracht wurden. Komfortable Sportlichkeit oder sportlicher Komfort? Beides.
Mit 830 Newtonmetern fehlt es dem SL 600 niemals an Drehmoment. Darum werden die Zwölfzylinder sowohl in Stuttgart als auch in Affalterbach bei AMG mit der 5-Gang-Wandlerautomatik gekoppelt. Mehr Fahrstufen sind nicht nötig, um im gesamten Drehzahlbereich Leistung Gewehr bei Fuß bereit zu stellen. Bleiben wir bei der breiten Spitze des Eisbergs – mit den AMG-Roadstern reiht Mercedes vier Hochleistungssportler von 388 bis 612 PS auf. Welchen nehmen? Wenn der Kaufpreis entscheidet, verliert der SL AMG 65. Der kostet rund 221.000 Euro und stellt damit sogar seinen direkten Konkurrenten, den Bentley Continental GT Speed, in den Schatten. Rund 75.000 Euro weniger kostet der SL 63 AMG, der mit 525 PS und 630 Nm ebenfalls bis an die Zähne gerüstet ist. Vielleicht ist der SL 600 (rund 147.000 Euro) der Souveränste unter ihnen. Sein permanentes Leitungspotenzial, kombiniert mit dem vornehmen Werksdesign, zeugt von Understatement. Ähnlich der SL 500, der mit ausreichend Kraft auch der Basislinie treu bleibt. Das Auftaktmodell SL 280 öffnet für unter 80.000 Euro das Tor zur exklusiven Roadster-Flotte; der SL 350 mit optimiertem Sportmotor versprüht einen Hauch von Achtzylinder-Potenzial.
Die Wahlen sind eröffnet. Einsendungen werden in Stuttgart ab sofort angenommen. Scheuen Sie nicht, Ihre Stimme abzugeben, die überarbeiteten Roadster-Generationen wurden zurecht für weitere drei Amtsjahre nominiert. Wir ziehen uns ganz unparteiisch zurück und sind gespannt auf das Ergebnis.
Text: Jan-Christian Richter
Fotos: JCR / Bernd Hanselmann
ClassicInside - Der Classic Driver Newsletter
Jetzt kostenlos abonnieren!