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Mercedes-Benz CL & S 63 AMG



„Ganz oben ist die Luft am dünnsten“, schrieb schon Jon Krakauer in seinem Mount-Everest-Epos Into Thin Air. Doch nicht nur im Himalaja muss man über große Willenskraft und eine eiserne Kondition verfügen, um an der Vertikalspitze zu überleben - auch die Gipfel der automobilen Welt sind heiß umkämpft. Kein Zufall also, dass uns Mercedes-AMG die neuen V8-Performance-Modelle, den CL 63 AMG und den S 63 AMG, auf den alpinen Serpentinen um Kitzbühel für eine erste Bergtestfahrt serviert.

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Am Münchener Flughafen wirkt alles noch ganz harmlos. Ich nehme die Schlüssel einer dunklen CL-Klasse entgegen, bringe den ledernen Fahrersessel in Position, programmiere das Navigationssystem auf mein österreichisches Tagesziel. Bis auf die Lufteinlässe und Chromapplikationen unterscheidet sich mein leistungsstarker Testwagen kaum von der neuesten Generation des großen Reisecoupés, das Mercedes-Benz vor einigen Wochen enthüllte. Mit einer Drehung des Zündschlüssels wird mir jedoch klar, warum mir zum „Einfahren“ rund 90 Kilometer Autobahn als Schonzeit verordnet wurden, bevor die Straßen kurvig und die Schluchten daneben tief und dunkel werden. Hinter den glänzenden Gittern des Kühlergrills erwacht das V8-Triebwerk mit dunklem Grollen zum Leben: 6,2 Liter, 525 Pferdestärken, 630 Newtonmeter, 4,6 Sekunden auf 100 – der Berg ruft!

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Der hochdrehende Achtzylinder, mit dem AMG nicht nur die S- und CL-Klassen, sondern künftig auch die ganze Modellpalette bestücken möchte, ist die erste komplette Eigenproduktion der Mercedes-Tochter aus Affalterbach. Der Motor soll für noch mehr Eigenständigkeit und vor allem für sportliche Differenzierung zum Serienprogramm stehen. Trotzdem setzt AMG-Chef Volker Mornhinweg für die Zukunft der Marke nicht nur auf potente Motoren – bei AMG soll jedes Modell vielmehr als Gesamtkunstwerk unter dem Stichwort „Performance“ entstehen: Zu jedem Antrieb wird ein individuelles Fahrwerk, eine individuelle Technik, ein individuelles Design entwickelt und an die gehobenen Anforderungen angepasst. Auf der Autobahnstrecke zeigt der CL 63 AMG dann, was man von ihm erwarten darf: First-Class-Komfort mit Lendenmassage und Surround-Konzert, sanfte Schaltvorgänge, souveränes Gleiten durch Raum und Zeit - gleichzeitig aber die Möglichkeit einer sofortigen, turbinenartigen, wenn gewünscht auch brutalen Beschleunigung. Bis 250 km/h drängt das Top-Modell nach vorne, dann meldet sich die elektronische Selbstbeschränkung. Wer die 300+ erleben möchte, kann den Riegel optional entfernen lassen.

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Auf der Landstraße durch die Chiemgauer Alpen wird es dann spannend: Per Lenkradpaddel schalte ich mich durch die Siebengang-Speedshift-Automatik, trete im Akkord auf Gas und Bremse, um den Zweitonner in den engen Kurven aus der Ruhe zu bringen, doch er bleibt stoisch, folgt aufs Wort. Wie auf einer gewaltigen Carrerabahn zieht mich der CL 63 AMG über taunasse Hügel und durch neblige Waldstücke, ohne auch nur für einen Moment die Ideallinie zu verlassen. Ich lasse die Automatik wieder ans Ruder – bleibe allerdings im Sportprogramm mit seiner härteren Gaspedal-Kennlinie und der strafferen Feder-Dämpfer-Einstellung für das ABC-Sportfahrwerk. Bei geöffnetem Fenster, lausche ich dem Widerhall der acht Zylinder aus den Tiefen der Tannenwälder – und bin überrascht, wie kernig und sportlich der Sound tatsächlich herüberkommt. Für einen kurzen Moment ist die CL-Klasse von AMG ein echter Sportwagen. Und was gäbe es für einen schöneren Grund, sich für einen V8 zu entscheiden, als den Klang? Als die Dunkelheit über die Voralpenlandschaft hereinbricht, habe ich bereits die Infrarot-Scheinwerfer und den Night Vision Assistenten aktiviert – wo eben noch das Tachometer-Display war, schlängelt sich nun das hell ausgeleuchtete Nachtsicht-Abbild der Serpentinenstraße in meinem Blickfeld. Manchmal ist die Zukunft eben nur eine Autolänge entfernt. An der Ortseinfahrt Kitzbühel greifen die Hochleistungsbremsen – Zeit für einen Autowechsel.

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Der iridiumsilberne Mercedes-Benz S 63 AMG, in den ich am nächsten Morgen tatenfroh steige, hat mit seinem Coupé-Bruder einiges gemein: Für den optischen Unterschied zur Serie sorgen auch hier die markanten Stoßfänger, die Nebelscheinwerfer, die großen Kühleröffnungen und die ausgestellten Radhäuser. Auch die Datenblätter der beiden Flaggschiffe gleichen sich aufs Haar: 6,2 Liter V8, 525 PS bei 6.800/min, 630 Nm bei 5.200/min, von 0 auf 100 km/h in 4,6 Sekunden, abgeregelte Vmax bei 250 km/h. Nur der Stern auf der Haube ist neu – und natürlich der zweite Satz Türen für den Fond. Nach dem anregenden Vorspiel am Steuer des CL 63 AMG kann es jetzt noch einmal zur Sache gehen. Entlang des Kaisergebirges windet sich die Strecke durch Täler und über Bergkuppen. Ich presse das Gaspedal nach vorne, der Motor beginnt zu singen und mit leichten Griffen steuere ich die S-Klasse durch die Kurven. Und wieder beeindruckt, wie viel Komfort und Sportlichkeit man doch gleichzeitig in einem Automobil unterbringen kann. Applaus verdient hat vor allem das von AMG entwickelte ABC-Sportfahrwerk, dass mir als Fahrer nicht nur die Wahl zwischen komfortablem, straffem oder manuell eingestelltem Fahrwerks-Setup lässt, sondern auch die unangenehmen Aufbaubewegungen beim Anfahren, starkem Lenken oder Bremsen fast vollständig eliminiert. Ein von mir nur selten genutztes Wort kommt mir in den Sinn: Perfektion.

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Ein Wasserfall stürzt lautlos in die Tiefe, Blätter wehen über die Straße, am Steuer des Mercedes-Benz S 63 AMG gleite ich wohltemperiert, komfortabel und in völliger Stille durch die unwirtliche Herbstlandschaft wie durch einen dreidimensionalen Imax-Stummfilm. Wer keine Lust auf einen Sportwagen hat, lässt einfach die Fenster geschlossen und berührt das Gas nur mit der Zehenspitze. Ein guter Zeitpunkt für ein Fazit, wie es scheint: Mit den beiden neuen Achtzylinder-Modellen hat AMG nicht nur die Modelloffensive der vergangenen Monate gekrönt, sondern sich mit herausragender Technik und zurückhaltendem Design auch im Segment der stilvoll-sportlichen Luxusklasse etabliert. Um mit Traditionsmarken wie Bentley und sogar Ferrari in Zukunft noch besser Konkurrieren zu können, setzt AMG am oberen Ende der Palette zudem auf noch mehr Individualisierung für den Innenraum. Neben dem bekannten 6,5 Liter AMG-V12 und dem neuen V8-Triebwerk könnte zudem ein weiterer Achtzylinder mit Turboaufladung und Direkteinspritzung folgen. Der Mercedes CL 65 AMG mit komfortablem Zwölfzylinder-Antrieb steht ebenfalls in den Startlöchern. So sieht alles danach aus, als würde Mercedes-AMG – und nicht Maybach – zum ersten Aushängeschild des angekratzten DaimlerChrysler-Konzerns aufsteigen. Mit dem CL 63 und dem S 63 ist die kürzeste Strecke in Richtung Gipfel bereits gewählt.

Text: Jan Baedeker
Fotos: Dieter Rebmann



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