Wer hoch hinaus will, der ist gut beraten, das richtige Rüstzeug dabei zu haben. Das gilt für Bergsteiger genauso wie für Automobilproduzenten. 4,2 Liter aus acht Zylindern mit 420 PS scheinen da eine klare Ansage zu sein, will man den Olymp der sportlichen Limousinen erklimmen. Ob dies aber bis zum Gipfel reicht? Wir sind eine Runde mitgekraxelt, im neuen Audi RS4.
Der Audi RS4 reiht sich nahtlos in die Riege seiner Vorgänger ein. War die quattro GmbH bis 1996 lediglich für Taschen, Golfbags und Seidenschaals mit dem imageträchtigen Schriftzug zuständig, so schickte sich die edle Tochter der Audi AG bereits mit dem Audi S6 plus an, Serienmodelle so zu verfeinern, dass auch die Kunden Gefallen an der Marke mit den vier Ringen fanden, die normalerweise eher in Zuffenhausen oder Maranello vorstellig wurden. Es folgten mit dem RS4 Avant und dem RS6 zwei Fahrzeuge, die erheblichen Zuspruch fanden und die Ingolstädter zu neuen Taten ermutigten. Nun also erneut ein Audi RS4, diesmal in Gestalt des aktuellen Audi A4. Wahlweise als Limousine, Avant oder Cabriolet. Damit beugt Audi – Verzeihung: die quattro GmbH, die in den Fahrzeugpapieren übrigens als eigenständiger Hersteller auftritt – der Kritik vor, die RS-Modelle seien zu einseitig. Alles ist möglich, die Qual der Wahl liegt beim Kunden.
Das Blechkleid ist bekannt. Die A4 Limousine kommt hier jedoch im Sportlerdress daher. Sicher, dezent ist etwas anderes. Und über Geschmack lässt sich streiten. Dazu alles in rot. Der Gesamteindruck verspricht viel, aber wir wollen Taten sehen. Die wuchtigen 19-Zoll-Felgen mit üppiger 255er Bereifung müssen sein, wohin auch sonst mit der fetten Achtkolben-Festsattelbremsanlage mit den optionalen Keramikbremsscheiben? Demzufolge muss auch die Karosse Muskeln zeigen. Breite Backen vorne und hinten. Davon träumt jeder Standard A4. Die großen Lufteinlässe in der Bugschürze sowie der Heckbürzel sind logische Maßnahmen, um die erforderliche Aerodynamik und den erhöhten Kühlluftbedarf des Triebwerks zu realisieren. Signifikant sind die beiden üppig dimensionierten, ovalen Endrohre und die silbernen Außenspiegel. Gottlob ist es nicht möglich, dieses Outfit am A4 2.0 nachzurüsten. Das Sportpaket bleibt exklusiv.
Tür auf, und dann? Zwei lederne Rennschalen begrüßen die Insassen. Das ist mehr als erwartet. Klar, der RS4 ist schnell, aber Rundstrecke auf Zeit? Zum Glück lassen sich die Sitzseitenwangen großzügig verstellen, sodass für Platzangst kein Raum ist. Das an der Unterseite abgeflachte Lenkrad ist ein weiterer Hinweis auf die sportlichen Gene des RS4. Ebenso der etwas bemüht wirkende Carbonzierrat. Der massive Aluschaltknauf liegt dazu griffbereit und nachdem man den silbrigen Motorstartknopf in der Mittelkonsole bedient hat, kann es losgehen.
Allein das Anlassgeräusch hat schon die ersten Prämienpunkte verdient. Unbeschreiblich, was dann passiert. Die Gänge fliegen wie von selbst durch das perfekt abgestufte und präzise zu schaltende Sechsganggetriebe. Der Drehzahlmesser tanzt Samba, der V8 ist sein Orchester. Das Seitenfenster kann unten bleiben, so betörend ist der Sound, jeder Gasstoß ein Genuss. Bis 8250/min geht das Spiel der Ansaug- und Abgasgeräusche, dabei liegt das maximale Drehmoment von 430 Nm schon bei 5500/min an.
Steigerung gefällig? Am Lenkrad gibt es diese kleine, verlockende „S“-Taste. Im eingeschalteten RS4-„Sportmodus“ straffen sich die Seitenwangen der Rennschalen und spielen Schraubstock, die Auspuffanlage wechselt zu einem gepflegten Bariton und die Drosselklappen sind jetzt scharf wie Chilischoten. Was nun an Leistungsbereitschaft angeboten wird, überzeugt selbst den verwöhntesten Sportwagenenthusiasten. Der RS4 prescht wie von der Tarantel gestochen nach vorne. Reagiert außerordentlich bissig auf die Gaspedalbefehle und will nur eins: Bestzeit Nordschleife. Einflugschneise Schwedenkreuz. Damit die Rundenzeit unter Kontrolle bleibt, spendiert Audi dem RS4 noch eine Stoppuhr.
Dass dabei das Fahrwerk keinerlei Schwächen zeigt, versteht sich von selbst. Dynamic Ride heißt das Zauberwort. Das aus dem Audi RS6 übernommene Prinzip eines Ölstromes zwischen den diagonalen Stoßdämpfern verhindert jede ungewünschte Aufbaubewegung und sichert eine perfekte Straßenlage zu. Der Audi zeigt dabei immer noch einen manierlichen Abrollkomfort. Lediglich kurze Querfugen und Kanaldeckel kommen etwas holperig bei den Passagieren an.
Geht es dann zügiger zur Sache, kann der RS4 mit allem Aufwarten, was von einem solchen Boliden erwartet werden darf. Zackiges, präzises Einlenken in jede Kurve, gutmütiges Fahrverhalten in kritischen Situationen sowie satter Grip dank Allradantrieb mit variabler Kraftverteilung in allen Lebenslagen sind sein Markenzeichen. Die Mischung ist perfekt, nie ist der Antrieb schneller als das Fahrwerk. Man muss schon viel verkehrt machen, will man den RS4 ernsthaft in Verlegenheit bringen. Soll die Fuhre schnell zum Halten gebracht werden, bewirkt der Tritt auf das Bremspedal den nächsten Adrenalinschub. Von 200 km /h auf 0 innerhalb von 5,1 Sekunden. Rekordverdächtig. Auch nach mehrmaligen Versuchen kein Fading, kein Anzeichen von Müdigkeit. Dieser Audi stellt so ziemlich alles andere in den Schatten und macht süchtig. Kritikpunkt: Es fehlt der Halter an der Frontscheibe für die Rennstrecken-Jahreskarte.
Dass der Audi RS4 neben seinem sportlichen Charakter dabei auch ganz bodenständige Tugenden hat, verdankt er seiner Abstammung. Ein trotz der wuchtigen Rennsessel befriedigendes Platzangebot, eine sich einfach erschließende Bedienung sowie ein durchaus akzeptabler Verbrauch von 15,5 Liter auf 100 km, machen deutlich, dass Traumwagen keineswegs kompromisslose Sportwagen für Sonntagnachmittag sein müssen. Und selbst preislich bleibt der RS4 ein fairer Partner. Ein mittlerer Lottogewinn oder rund 70.000 Euro reichen aus. Ach ja, limitiert ist er diesmal auch nicht.
Text: Sven Jürisch
Foto: Jan Baedeker / Lichterwahn
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