Traumwagen als Technologieträger
Text: Benjamin Bessinger / Classic Driver
Fotos: SP-X
Er ist ein Traumwagen der Siebzigerjahre, der nie in Serie ging: der Mercedes-Benz C111. Trotz zahlreicher Blanko-Schecks, die damals in Stuttgart eingeflogen sein sollen, blieb den Sportwagen-Enthusiasten eine Serienversion des Technologieträgers verwehrt. Passend zur aktuellen Neuinterpretation des rasanten Versuchswagens aus Stuttgart, fasst Classic Driver die Geschichte des C111 noch einmal zusammen.
Sie sind nicht nur luxuriös und leidenschaftlich: Das gilt für den 300 SL mit seiner Leichtbau-Karosserie und dem Benzindirekteinspritzer ebenso wie für den neuen SLS AMG, der schon bald als erster Stromer mit Stern den Reiz des elektrischen Rasens unterstreichen soll. Und das gilt erst recht für den C111, der es als von der Ölkrise verhinderte Reinkarnation des Flügeltürers gar nicht erst über das Stadium als Technologieträger hinaus gebracht hat. Dabei hätte der Traumwagen schon vor mehr als 30 Jahren das Zeug zum absoluten Star unter den Sternen gehabt – nicht umsonst war er viele Jahre lang der König im Autoquartett.
Doch die Ölscheichs und nach ihnen die Techniker bei Mercedes erteilen der frühen Wiedergeburt des Flügeltürers eine Absage. Ganz am Anfang sieht es für den C111 gar nicht so schlecht aus: Zum ersten Mal gezeigt auf der Frankfurter IAA von 1969 ist das leuchtend orange lackierte Coupé aus der Feder von Bruno Sacco zwar tatsächlich nur als Erprobungsträger für den Wankel-Motor gedacht. Je ein halbes Dutzend Exemplare mit einem 280 PS starken Dreischeiben-Motor und mit einem Vierscheiben-Wankel mit 350 PS werden gebaut und schaffen auf den Teststrecken weit über 300 km/h. Sind die passionierten Schnellfahrer beiderseits des Atlantiks schon von der Form elektrisiert, öffnen diese Geschwindigkeiten vollends die Herzen und die Brieftaschen der Vollgas-Fraktion, und in Stuttgart – so berichten es zumindest Insider – denkt man plötzlich doch über eine Kleinserie nach.
Opfer der Ölkrise?
Doch dann kommt den Ingenieuren die Politik in die Quere. Anfang der Siebziger steuert die Welt auf die erste Ölkrise zu, und ein neuer Supersportwagen ist in etwa so passend wie das amerikanische Raketenabwehrsystem zu Zeiten der Abrüstung. Also ziehen die Schwaben die Konsequenzen und stampfen die Idee vom neuen Flügeltürer wieder ein, bevor sie überhaupt konkrete Formen angenommen hat. Aber zumindest für einen der Wankel-Prototypen haben die Ingenieure noch Verwendung. Weil plötzlich alle Welt nach sparsamen Motoren schreit und Mercedes dem Image des im Strich-Achter zwar bewährten aber nicht eben dynamischen Diesel – nicht umsonst nennt man den Großvater der E-Klasse damals Wanderdüne – einen sportlichen Anstrich geben will, darf er mit neuem Antrieb noch mal auf die Rennstrecke.
1976 fliegen deshalb die Kreiskolben raus, und hinter den Sitzen montieren die Ingenieure den drei Liter großen Fünfzylinder aus dem 240D 3.0. Allerdings nicht als Saugdiesel mit bescheidenen 80 PS. Mit Hilfe eines Turbos steigt die Leistung vielmehr mal eben auf 190 PS, und der Donnerkeil wird zum rasenden Ölbrenner. Die Mühe lohnt: Bei Rekordfahrten in Nardo stellen die Entwickler gleich mehr als ein Dutzend Bestzeiten auf und schaffen bei ihrer 60stündigen Raserei ein Durchschnittstempo von 252 km/h. Damit sind alle Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Diesels widerlegt und der Selbstzünder schafft es bis hinauf in die S-Klasse. Der Rekordwagen selbst, dem im Jahr darauf noch ein silberner Stromlinienrenner mit dann sogar 230 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von mehr als 300 km/h folgt, fährt allerdings von Nardo aus nahezu direkt ins Museum und pendelt dort zwischen Ausstellung und Aservaten-Kammer. Über 30 Jahre lang wird der C111 nur noch von fremder Kraft bewegt und ist irgendwann so eingerostet, dass die Classic-Experten lieber gar keinen Startversuch mehr unternehmen.
Die Wiederbelebung
„Doch so ein Auto kann man nicht einfach hin- und herschieben“, sagt Gert Straub aus dem hauseigenen Classic-Center in Fellbach: „Der muss aus eigener Kraft fahren, und zwar möglichst schnell.“ Deshalb haben die Schwaben streng gewirtschaftet, hier und dort ein paar Euro eingespart und als sie 2007 im Etat noch einen kleinen Posten frei hatten, die orange Flunder aus dem Lager auf die Hebebühne geholt. Binnen zwei Jahren wurde fast alles an dem Wagen restauriert und repariert, so dass er jetzt wieder um die Bestzeit fahren könnte.
Dass er trotzdem ziemlich zusammen gebastelt aussieht, liegt an seiner einzigartigen Entstehungsgeschichte. Die Karosserie ist zwar nach den damaligen Idealen von Ästhetik und Aerodynamik durchgestylt. Doch weil der C111 nie eine Designstudie, sondern immer ein Technologieträger war, haben sich die Entwickler innen mit allem beholfen, was sie im Teileregal finden konnten. Schalter aus den Vorläufern von E- und S-Klasse, ein Holzlenkrad wie in einem alten SL, Instrumente aus der Versuchsabteilung und Schalensitze aus dem Rennsport. Dazu ein paar Laubsägearbeiten und alles mit schwarzer Folie verklebt – fertig war das wahrscheinlich schnellste Versuchslabor der Siebzigerjahre.
Ein Fahrerlebnis
Von diesem Reiz hat der Renner bis heute nichts verloren. Seit letztem Winter läuft der Diesel wieder, durfte bislang aber nur bei Oldtimer-Veranstaltungen promenieren. Jetzt allerdings waren wir damit noch einmal auf jenem Terrain unterwegs, für das der C111 gebaut wurde – auf den Steilkurven einer Teststrecke. Während rings herum die Autos von Morgen im Gewand der Erlkönige um den rüstigen Rentner schwirren wie die Bienen um ihre Königin, zieht der Donnerkeil ungerührt seine Bahnen und legt mit jeder Runde ein paar Jahre ab. Zwar klebt nach den ersten Kilometern das Hemd schon am schweißnassen Rücken, so heiß wird es in der überraschend geräumigen Zelle aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Doch der Diesel im Heck läuft immer ruhiger und kräftiger, und Pate Gert Straub lässt zusehends die Zügel schleifen. Einen Tacho gibt es nicht im riesigen Armaturenbrett. Aber wenn es stimmt, was die Entwickler vor mehr 30 Jahren ausgerechnet und neben das Lenkrad geschrieben haben, dann reichen 4.700 Touren im fünften Gang für 275 km/h – da muss sich selbst der neue CL 63 AMG, der hier ebenfalls seine Runden dreht, gewaltig anstrengen, wenn er an der Flunder aus dem Museum dran bleiben will.
Zwar ist der C111 auch 30 Jahre nach seinem Debüt noch ein faszinierendes Auto. Und irgendwo in Stuttgart liegen sicher noch immer die Blanko-Schecks, die den Schwaben nach dem Messedebüt in Frankfurt und Genf auf den Tisch geflattert sind. Doch alles Bitten und Betteln der wohlhabenden Sportwagen-Enthusiasten war damals vergebens, erinnert sich Straub: „An eine Serienfertigung hat Mercedes zumindest offiziell nie gedacht.“ Deshalb ist der C111 nicht nur einer der schärfsten, sondern auch einer der seltensten Flügeltürer aus Stuttgart – denn viel mehr als ein Dutzend Autos wurden nicht gebaut. Und fahren können davon nur noch die wenigsten.
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