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Bentley S2 Continental Flying Spur

Bentley Déjà-vu

Text & Fotos: Mathias Paulokat

„The missing Link!“ Das fehlende Bindeglied ist das, wonach Forscher mit größtem Ehrgeiz suchen, wenn sie zwei Beweisstränge miteinander verknüpfen wollen. Bei Markenmachern in der Automobilbranche ist das nicht anders: Fahrzeugtypen, die Modellgenerationen miteinander verbinden, sind für Ahnenreihe und Marketing Gold wert. Insofern kommt dem Bentley S2 Continental Flying Spur von H. J. Mulliner eine besondere Bedeutung zu. Denn diese elegante Erscheinung verknüpft Ende der 1950er Jahre Bentley Continental-Coupé und Limousine miteinander. Und liefert über 50 Jahre später die Vorlage für einen erfolgreichen Bentley der Gegenwart.

Ein Bentley zieht immer. Image, Qualitätsanmutung und Markenaura der Fahrzeuge aus Cricklewood, Derby und Crewe sind legendär. Und wer sich heute beispielsweise für einen aktuellen Bentley Flying Spur entscheidet, wird dies in der Regel nicht ohne ein bestimmtes Interesse an der Historie der Marke im Allgemeinen und dem Modell im Besonderen unternehmen. Er tut recht daran. Denn während sich andere Hersteller oftmals abenteuerlich um zusammengereimte Markenmythen bemühen, um ihr modernes „wurzelloses“ Fahrzeug historisch aufzuladen und zu verorten, schöpft Bentley aus dem Vollen und einem Fundus ureigener Authentizität. Nicht nur beim aktuellen Mulsanne, der in der Ahnenreihe des 8-Litre Bentley steht und jetzt den Arnage beerbt, sondern auch beim Flying Spur. Tatsächlich: Die Geschichte des „fliegenden Sporns“ ist nicht nur authentisch, sie ist auch erzählenswert.

Reisen wir zum Einstieg in Gedanken ein halbes Jahrhundert zurück: Ein Bentley Flying Spur ist keine gänzlich neue Erfindung und schon gar nicht eine modische Erscheinung. Bereits Ende der fünfziger Jahre gab es den fliegenden Sporn in Gestalt einer mächtigen und doch grazil wirkenden viertürigen Sportlimousine. Und schon damals war das Auto kraftvoll, elegant und seiner Zeit voraus, mithin eine der schnellsten Limousinen der Welt. Doch warum „Flying Spur“? Der fliegende Sporn kam auf Umwegen zum großen Wagen: Ursprünglich gehörte er ins schottische Familienwappen derer von Johnstone. Diese wiederum hatten die Geschäftsführung des renommierten Karosseriebauers H. J. Mulliner inne. Die feine Manufaktur wiederum wurde im Jahr 1959 komplett von Rolls-Royce übernommen. „Zu dem Zeitpunkt hatten Gentlemen bereits die luxuriöse Qual der Wahl“, meint Reinhard H. Sachse von Steenbuck-Automobiles in Gödenstorf-Lübberstedt. „Nicht nur zwischen den Marken Rolls-Royce und Bentley, sondern auch bei Bentley zwischen dem Bentley Continental Coupé und der S2 Limousine.“

H. J. Mulliner: Garant für Eleganz

Das äußerst elitäre Continental Coupé aus der S-Baureihe von 1957 fußt auf dem legendären R-Type Continental von 1952; ein Ausnahme-Fahrzeug für Selbstfahrer. Der Bentley S2 hingegen war vor allen Dingen als sogenannter „Standard Steel Saloon“ bekannt – ein Fahrzeug mit eher barockem Erscheinungsbild. Klassikerhändler Sachse: „Im Jahr 1955 kam die neue Karosserie als Bentley S1 mit dem 6-Zylinder Motor in seiner letzten Ausbaustufe mit 4,9 Liter Hubraum auf den Markt. John Blatchley zeichnete das Design unter dem Thema Sports Saloon. Ein sehr erfolgreicher Wagen, vom Kaufpublikum begrüßt.“ Man empfand zunächst keinen Leistungsmangel. Aber Servolenkung, Klima, Automatik kosteten doch erhebliche PS. Ein neuer Motor stand bereit: Ein V8 aus Aluminium mit 6,3 Liter Hubraum und bis zu 200 PS Leistung. „Dieser Motor wurde im S2 ab September 1959 verbaut. Insgesamt entstanden so 1.865 Fahrzeuge.“, erklärt Sachse. Kennzeichen sind auch hier ein konservatives Erscheinungsbild: Klassische Form mit ausgeprägter „Waistline“ und langem Vorderwagen, kleinen Fenstern, senkrecht stehendem Grill und einer breiten C-Säule - als Chauffeurswagen durchaus geeignet.

Die Bentley S2 Continental Flying Spur Limousine, karossiert von H. J. Mulliner, ist das fehlende Bindeglied. Sie verknüpft die Technik der Standard Steel Limousine mit dem eleganten Look des Continental Coupés – in unserem Fall in dezentem Dunkelgrau und Zweifarblackierung. „Die frühen Limousinen sind zwei ungleiche Brüder, mit ähnlicher Technik, aber komplett unterschiedlichen Erlebniswelten“, resümiert Sachse die Charaktere der beiden Bentleys S2 Standard Steel Saloon und S2 Continental Flying Spur. Nur 388 mal wurde die frühe Continental Limousine gebaut – heute fraglos ein bei echten Connaisseurs begehrtes Sammlerstück, welches dennoch im Schatten der übermächtigen Continental Coupés steht. Unter Preisgesichtspunkten rangieren ordentliche Exemplare des historischen Flying Spur Modells deutlich unterhalb der Conti Coupé-Liga, aber immer noch auf dem Niveau der aktuellen Limousine: Rund 180.000 Euro werden für einen gut erhaltenen Wagen aufgerufen. Fahrerisch ist die S2 Continental Limousine dem Standard Steel Saloon eindeutig überlegen. „Längere Achsübersetzung, verstärkte Bremsen, optimiertes Fahrwerk und eine höhere Motorverdichtung, die ein Plus von rund 20 PS Leistung bringt, machen den viertürigen Conti zum mondänen Owner Driver und zu den schnellsten Wagen seiner Zeit“, weiß Reinhard Sachse.

Damals wie heute: Rund fünf Jahrzehnte später pflegen Continental GT Coupé und die Conti Flying Spur Limousine immer noch ein symbiotisches Verhältnis. 1998 übernahm Volkswagen die Marke Bentley. 1999 starteten die Wolfsburger mit der Entwicklung des Bentley Continental Coupés, welches sie Ende 2002 der Öffentlichkeit präsentierten. Volkswagen Phaeton, Touareg und Audi A8 standen von Anfang an als wichtige Technologieträger Pate. 2005 folgte dann die Flying Spur Limousine mit der Präsentation auf dem Genfer Salon. Die technischen Leistungsdaten verblüfften abermals: der 6,0-Liter Zwölfzylindermotor in W-Anordnung leistet in der Limousine wie im Coupé 560 PS. Der Top-Speed der ersten Spur-Serie liegt bei 312 km/h, die Beschleunigung aus dem Stand auf 100 km/h gelingt in nur 5,2 Sekunden – absolute Sportwagenwerte und das bei einem 5,3 Meter langen Viertürer.

Ansichtssache: Zweimal Flying Spur

Vergleichen wir den Flying Spur alt und neu. Zunächst der Klassiker: auf Anhieb fällt die aerodynamische Ausprägung des Blechkleides auf. Die Flanken sind grazil konturiert, die Fensterflächen größer und gut proportioniert. Die Radgröße harmoniert perfekt zum Rest des Wagens. Von vorne wirkt der frühe Conti dabei geradezu schmal. Grund dafür sind die vertikalen Linien. Das Heck wirkt absolut schlüssig und bietet reichlich Gepäckkapazität. Im Innenraum herrscht die typische Bentley-Club-Atmosphäre mit poliertem Holz, Chromelementen und großzügig verarbeiteten Lederhäuten auf bequemen Sesseln. Der Wagen hängt famos am Gas. Zügiges Fahren ist seine Domäne. Sanft gefedert und akustisch gedämpft gleiten Continental-Reisende dahin. Gleichwohl gibt sich der Senior dank servounterstützter Lenkung recht sportlich. Die Masse schiebt in Kurven zwar spürbar, doch der große Wagen verhält sich dabei gutmütig und allzeit beherrschbar.

Und der Neue? Auch er zeigt die große, die elegante Linie. Der Vorderwagen ist nahezu baugleich mit dem Continental GT Coupé, das auch von Dirk van Braeckel gezeichnet wurde. Der W12-Motor ermöglicht dank kompakter Bauweise eine kurze Front. Was beim GT absolut stimmig wirkt, erscheint beim Flying Spur allerdings aufgrund der beachtlichen Gesamtlänge und des langen Radstandes von knapp über drei Meter etwas unterproportioniert. Denn was nach „Long Wheel Base“ aussieht, ist hier ganz normaler Standard. Innen: üppiger Raum auf allen Plätzen. Das Ambiente bietet höchsten Standard. Materialien, Verarbeitung, Haptik – alles von erster Güte. Ausgesuchtes Leder beglückt mit samtweichem Griff und feinem Duft. Klassische Bentley-Stilelemente wie die Lüftungsrosetten im Bullaugenformat und gerändelte „Orgelpfeifen-Regler“ erfreuen den Traditionalisten und Liebhaber effektiver Mechanik. Was nach Metall aussieht, ist auch Metall. Der senkrecht aufragende Gangwahlhebel in der Mittelkonsole könnte glatt als Automobilia-Skulptur durchgehen.

Kontrastprogramm: Was hier aus dem Vollen gearbeitet scheint, wirkt beim Ahnen nahezu filigran. Gegenüber dem aktuellen Flying Spur gewinnt der Klassiker somit nochmals an Leichtigkeit. Zumindest optisch, denn fahrerisch stehen sich die Eindrücke wiederum diametral gegenüber. Schließlich trennen rund fünf Jahrzehnte Fahrzeugentwicklung und mehr als das Doppelte an Motorleistung diese beiden Ausnahme-Fahrzeuge. Das erfreut, denn damit ergänzen sich die beiden Limousinen auf wunderbare Weise. Ganz so, wie es die Lehre vom „Missing Link“ fordert.

Die Fakten

Bentley S2 Continental Flying Spur, H. J. Mulliner, Jahrgang 1961

Hubraum: 6.230 ccm
Zylinder: V8 im 90 Grad Winkel angeordnet
Leistung: ca. 200 PS
Beschleunigung: in den fünfziger Jahren für einen Bentley nicht relevant; wir sind höflich und belassen es dabei.
V-max: ca. 195 km/h

Bentley Continental Flying Spur, Jahrgang 2009

Hubraum: 5.998 ccm
Zylinder: 12 in W-Anordnung
Leistung: 560 PS
Beschleunigung: in 5,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h
V-max: 312 km/h

Best of Bentley: Lesen Sie auch das Klassikerporträt über eine weitere Bentley-S2 Pretiose: den Bentley S2 Continental Cabriolet Park Ward by Vilhelm Koren

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