Die Giotto-Bizzarini-Story
Text & Fotos: Jan Baedeker
Produktion: J. Philip Rathgen
American Showbizz: Für Ferrari, Lamborghini und Iso hatte Giotto Bizzarini als Ingenieur wahre Wunder vollbracht, doch 1965 kam der Befreiungsschlag in Form des brachialen Bizzarrini 5300 GT. Classic Driver war mit dem italienischen Achtzylinder-Rennwagen im amerikanischen Le Mans-Outfit unterwegs – und hat dabei die Geister einer rasanten Epoche erweckt.
Im Rückblick erscheint die italienische Automobilszene der frühen Sechzigerjahre wie eine große, nicht immer einhellige Familie, die sich rund um den übermächtigen Patriarchen Enzo Ferrari formierte. Auch die Erfolgsgeschichte von Giotto Bizzarrini beginnt im Bannkreis des „Commendatore“, der den jungen Alfa-Ingenieur im Jahr 1957 nach Maranello holte. Bizzarrini, der ursprünglich aus Livorno stammte, war ein Mann mit vielen Begabungen: Als Entwicklungsleiter, Designer, Testfahrer und Chefingenieur beeinflusste er nicht nur die Entstehung des Ferrari 250 Testa Rossa und des Ferrari 250 GT SWB, er konzipierte auch den berühmten Ferrari 250 GTO, der ab seinem Rennstart im Jahr 1962 die GT-Klasse dominierte.
Doch Giotto Bizzarrini war nicht nur ein genialer Techniker, er war auch ein Freigeist, der sich schwer mit Obrigkeiten tat – und sich deshalb schon 1961, kurz vor der Enthüllung des GTO, von Enzo Ferrari abwendete. Im Zuge der sogenannten „Palastrevolte“ meuterte Bizzarrini zusammen mit vier anderen Ingenieuren gegen den Führungsstil des kontrollsüchtigen Firmenchefs und verließ das Unternehmen. Zunächst gründete Bizzarrini zusammen mit den ehemaligen Ferrari-Kollegen Carlo Chiti und Gerolamo Gardini die Marke ATS, die sowohl im F1-Sport als auch auf der Straße mit Ferrari konkurrieren wollte. Doch auch hier waren die technischen Vorstellungen zu unterschiedlich und Bizzarrini verabschiedete sich 1962, um für den jungen und wohlhabenden ATS-Financier, den Grafen Giovanni Volpi, eine noch aerodynamischere Rennvariante des Ferrari 250 GTO zu konstruieren, die als „Breadvan“ in die Geschichte eingehen sollte.
Als freier Ingenieur arbeitete Bizzarrini auch für den Traktorenfabrikanten Ferruccio Lamborghini, mit dem er seine Ressentiments gegenüber Enzo Ferrari teilte. Als Lamborghini auf dem Turiner Salon 1963 seinen ersten Sportwagen-Prototypen, den Lamborghini 350 GTV, enthüllte, hatte Bizzarrini entscheidenden Einfluss an dessen 3,5 Liter V12-Triebwerk gehabt, das drei Jahre später mit Modifikationen auch im revolutionären Mittelmotor-Sportwagen Miura zum Einsatz kam. Doch der Ur-Lamborghini war nicht der einzige Sportwagen auf dem Turiner Salon von 1963, der Bizzarrinis Handschrift trug: Für den Mailänder Industriellen Renzo Rivolta hatte er den Iso Grifo A3/C entwickelt, einen GT-Rennwagen mit amerikanischem V8-Motor und leichter Aluminium-Karosserie, der die Fachpresse in Aufregung versetzte und sich vom Messestand weg direkt verkaufte. Der A3/C sollte später als Basis für Bizzarrinis eigenen Supersportwagen dienen – doch immer der Reihe nach.
Vom Iso Grifo zum Bizzarrini GT
Im Auftrag von Renzo Rivoltas Firma Iso hatte Bizzarrini bereits bei der Entwicklung des Iso Rivolta GT, einem eleganten 2+2-Sitzer mit Chevy-V8-Motor, der im Juni 1962 seinen ersten Testlauf absolvierte und 1963 in Produktion gehen sollte, assistiert. Bizzarrini war begeistert von der potenten US-Maschine, doch sein Herz gehörte noch immer dem Rennsport und er beschloss, auf Basis des 2+2 einen kompromisslosen GT-Rennwagen zu konstruieren, der es mit den übermächtigen Ferrari-Modellen aufnehmen sollte. Nach dem Vorbild des Ferrari 250 GTO wurde der Radstand eines Iso Rivolta-Chassis von 2.700 mm auf 2.450 mm verkürzt und der Corvette V8-Frontmotor so tief und weit wie möglich nach hinten verlagert, um die Straßenlage zu optimieren.
Während Iso in Kooperation mit Bertone eine entsprechende Straßenmaschine konstruierte, die in Turin parallel als Iso Grifo A3/L enthüllt wurde, bereitete Giotto Bizzarrini in Livorno seine Corsa-Version A3/C für den Messeauftritt vor. Doch es blieb keine Zeit mehr für die Lackierung, so dass Bizzarrini kurzerhand entschied, denn Rennwagen in seiner nackten Aluminiumhaut zu präsentieren. Beeindruckender als der puristische Look waren allerdings die blanken Leistungsdaten, mit denen der Iso Grifo A3/C auftrumpfte: 405 PS bei 5.400/min leistete die 5,4 Liter-Maschine, die Höchstgeschwindigkeit lag bei revolutionären 306 km/h (die allerdings erst 1965 in Le Mans gemessen wurden). Nachdem sich in Turin nicht nur der Prototyp sofort verkaufte, sondern auch prompt die Bestellung für eine zweite Corsa-Version einging, gründete Bizzarrini 1964 vom Erfolg beschwingt die „Prototipi Bizzarrini S.r.l.“.
Während parallel auch der zivile Iso Grifo A3/L bei Iso in Produktion ging, kümmerte sich Bizzarrini um die Rennerfolge: In Sebring startete der zweite A3/C zum ersten Mal und erreichte den 39. Platz, vier Wochen später für der Wagen in Le Mans bereits als Zehnter durchs Ziel. Zunächst wurden drei Exemplare der Corsa-Version gebaut, die sich über die gesamte Saison 1964 international behaupteten. Auf Anfrage einiger Kunden entschieden Rivolta und Bizzarrini spontan, zusätzlich eine straßentaugliche und deutlich komfortablere „Stradale“-Version des A3/C zu produzieren, die in der internationalen Presse in höchsten Tönen gelobt wurde.
Doch auch dieses Mal war die Verbindung nicht von Dauer. Nachdem Bizzarrini auf Rivoltas Kosten sieben Iso Grifo A3/C rennfertig produziert, aber mit dem eigenen Bizzarrini-Logo verkauft hatte – und sich zudem noch ohne Absprache die Rechte am Markennamen Grifo sicherte, wurde die Zusammenarbeit im August 1965 von Rivoltas Seite aus beendet. Bizzarrini sicherte sich dennoch zahlreiche Bauteile und die Erlaubnis, den A3/C exklusiv zu fertigen. Unter dem neuen Modellnamen Bizzarrini 5300 GT, aber ohne große Modifikationen, begann ab dem Herbst die Produktion von Bizzarrinis erstem völlig eigenständigen Sportwagen, der sowohl mit Corsa- als auch mit Strada-Spezifikationen gebaut wurde. Im Frühjahr 1966 kam zum Strada-Modell der „GT America“ dazu, der sich durch seine leichte Karosserie aus Fieberglas vom Serienmodell unterschied. Bis zum Ende der Produktion im Jahr 1969 wurden noch 67 Exemplare des Bizzarrini 5300 GT Strada und GT America und nur zwei weitere Exemplare des Corsa-Modells gefertigt. Mit dem Bizzarrini 5300 GT endete vorerst auch die Geschichte der Marke Bizzarrini.
Das Fahrerlebnis
Von seiner Dramatik hat der Bizzarrini 5300 GT Strada auch heute, rund vierzig Jahre nach dem Ende der Produktion, nichts verloren. Unser signalgelbes Test-Exemplar, dessen dumpf brüllenden Achtzylinder wir im Showroom des Hamburger Klassiker-Händlers E. Thiesen anlassen, wurde 1968 zunächst als Strada ausgeliefert, später jedoch entsprechend der „GT America“-Spezifikationen umgebaut. Im Detail bedeutet das: Kunststoff-Karosserie, 5,4 Liter Chevy-V8 mit 4-Fach Weber-Vergaser und rund 385 PS, Aluminium-Sicherheitstank inklusive Schnellbetankungs-System, Überrollkäfig, mit Cord bezogene Rennschalen, 5-Punkt-Gurte und Feuerlöscher. Zwar könnte man mit diesem Setting auch in Le Mans an den Start gehen, doch wir begnügen uns mit dem Hamburger Freihafen, der auch während des Tages freie Straßen verspricht.
Nachdem man sich ins tiefliegende Cockpit des Rennwagens hinein gewunden und aufwendig festgegurtet hat, beginnt der sportliche Teil der Veranstaltung. Die Kupplung scheint von echten Männern für echte Männer gemacht und fordert bei jedem Gangwechsel entsprechenden Muskeleinsatz, was einem im Stop-and-Go-Modus durch die Innenstadt relativ schnell den Grad der eigenen Verweichlichung vor Augen führt. Gefestigt wird das maskuline Selbstbild jedoch wieder durch das unvergleichliche Achtzylinder-Gebrüll, das bei jedem Gastritt den Wagen erbeben lässt und wohl gegen eine Litanei von Lärmschutzbestimmungen verstößt. Die weit nach hinten verschobene Position des Motors führt derweil dazu, dass man im Cockpit praktisch um das Triebwerk herum sitzt – und bald auch entsprechend aufgeheizt wird. Für klassisches Rennstrecken-Flair sorgt auch der herbe Duft der Abgase, der bei jeder Ampel aus den Sidepipes direkt durch die schmalen Schiebefenster aus Plexiglas ins Cockpit weht und nach einigen Kilometern bereits für ausgelassene Stimmung sorgt.
Natürlich ist die Sicht zur Seite begrenzt, nach hinten nicht vorhanden. Der Bizzarrini 5300 GT America ist zum Geradeausfahren gemacht, und das macht er mit atemberaubendem Vortrieb. Zwar soll auch noch ein GT America mit 7,0 Liter Big-Block-Motor existieren, dessen brachiale Kraft wollen wir uns kaum vorstellen. Beeindruckend ist aber auch, wie präzise und direkt sich der Bizzarrini trotz seiner Größe steuern lässt, wie prompt und zuverlässig die Maschine arbeitet und wie satt er auf der Straße liegt. Und während man mit dem gelben Geschoss über die Hafenbrücken dröhnt, vorbei an den gesichts- und geschichtslosen Einheitsformen der modernen Autoindustrie, und der Duft von Benzin, Leder und Metall die Luft durchströmt, kommt neben der Freude auch eine gewisse Wehmut auf. Den Aufbruchswillen, den Glauben an persönlichen Einsatz und technische Revolution, mit dem Ingenieure wie Giotto Bizzarrini die automobilen Sechzigerjahre geprägt haben, wünscht man sich auch für die heutige Zeit.
Unser Produktionsmodell, der Bizzarrini 5300 GT America mit Chassis-Nummer IA3 0293, steht momentan beim Classic Driver-Händler E. Thiesen zum Verkauf.
Die Fakten
Aufbau: | Stahlplattform, Gitterrohrrahmen, Fiberglas-Karosserie |
Motor: | 5,4 Liter Chevrolet-Corvette-V8, vier Weber-Vergaser |
Max. Leistung: | 420 PS |
Kraftübertragung: | Viergang-Getriebe, Heckantrieb |
Länge: | 4.390 mm |
Breite: | 1.730 mm |
Höhe: | 1.110 mm |
Gewicht: | 1.157 kg |
Beschleunigung: | 0 – 100 km/h in 6,4 sec. (gemessen von Road & Track im Dezember 1966) |
Höchstgeschwindigkeit: | 233 km/h (gemessen von Road & Track im Dezember 1966) |
Produktionszeitraum: | 1966 - 1968 |
Stückzahl: | ungefähr 115 (inklusive Grifo 5300 & GT Strada) |
Fotogalerie