Bentley Avantgarde
Text & Fotos: Mathias Paulokat
„Grace, Space and Pace“: Bentley Continental Zweitürer gelten seit dem legendären R-Type als Referenz für großzügige und sportliche Fahrzeuge. Mondän sind auch die offenen Varianten dieser elitären Gleiter. Nahezu pikant wird es, wenn ein „Koren Continental“ mit Park Ward Karosserie vorfährt. Denn dieser seltene offene Zweitürer zählt zu den Pretiosen des automobilen Kabinetts der Marke aus Crewe.
Willkommen in der Zeitmaschine! Wir starten einen kurzen Streifzug durch die fünfziger und sechziger Jahre der Bentley-Markengeschichte - im Continental-Fach: Der legendäre Bentley R-Type Continental ist der überaus begehrte und hoch bewertete Begründer der Continental-Ahnengalerie. Wer diesen sehr mondänen Bentley einmal selbst gefahren ist, weiß warum dies heutige „Bentley-Boys“ so sehen und auch mit entsprechenden Kaufsummen honorieren.
„Grace, Space and Pace“ in Reinkultur: Der frühe Conti wirkt optisch bipolar. Einerseits geradezu barock, andererseits doch faszinierend kraftvoll und sportlich. Tatsächlich ist der R-Type im Vergleich zu Fahrzeugen der Epoche erstaunlich agil und bemerkenswert schnell. Kurzum: ein Synonym für den britischen „Gentleman Driver“, der sich für höchste Kreise empfiehlt. Tatsache ist auch: Von diesem Mythos profitieren Bentley Conti Cruiser bis heute. Folgerichtig satteln die aktuellen GT- und GTC-Modelle auf dieser historischen Steilvorlage auf.
Auf den R-Type folgte bei Bentley der S1 oder auch S-Type genannte Wagen mit deutlich gestrafftem Blechkleid und makellosen Linien. Unter der langen Motorhaube kam zunächst der 4.887 ccm messende Motor mit sechs Zylindern aus der „D“ und „E“ Serie des R-Types zum Einsatz; allerdings mit einem neuen Zylinderkopf. Dennoch: erst die Macht von mindestens acht Zylindern machte einen Bentley vollkommen – der S2 erfüllte dieses Gebot.
Kleinserie im Koren Design
Kein Bentley ist gewöhnlich. Der hier vorgestellte Bentley S2 Continental aus dem Jahr 1960 aber ist wirklich außergewöhnlich. Es handelt sich nämlich um eines von nur 125 gebauten Fahrzeugen mit originaler Karosserie von Park Ward nach dem Design des norwegischen Gestalters Vilhelm Koren, der Bentley-Chefdesigner John Blatchley im Crewe-Office zuarbeitete. Zur Erinnerung: Die übrigen Continental Cabriolets und Coupés wurden meist von H.J. Mulliner & Co. in London karossiert. Hier entstanden auch die Flying Spur Limousinen des S2. James Young steuerte einige weitere klassische Limousinen-Aufbauten bei. Der Koren Bentley indes ist ein für damalige Verhältnisse spektakulär sachlicher Wagen, der aus der Reihe fuhr. „Zeitlos“ ist das Schlagwort, welches einem beim Anblick dieser S2-Variante durch den Sinn geht. Sein Alter von 48 Jahren sieht man diesem Bentley nicht an.
Das Koren Continental Cabriolet basiert auf der zweiten Generation des S-Type. Diese Baureihe wurde 1959 der Öffentlichkeit vorgestellt. Zum Einsatz kam ein vollkommen neuer V8-Motor aus Aluminium mit einem Hubraum von 6.230 ccm. Dieses Aggregat wurde parallel zur S1-Produktion von Bentley-Ingenieuren zur Serienreife entwickelt. Das Getriebe des S2 kann als Derivat der S1 und noch früheren Continental R-Types betrachtet werden. Insgesamt entpuppte sich diese Motor-Getriebe-Kombination als außerordentlich leistungsstark und souverän.
Der S2 wurde sowohl als Limousine, wie auch als Coupé gebaut. Die leistungsstarken Continental-Versionen hatten eine leichtere Karosserie aus Aluminium gegenüber ihren Geschwistern, den sogenannten „Standard Steel Saloons“. Wer hinter dem Steuer eines solchen Conti-Bentleys platzt nimmt, den entrückt es der Alltäglichkeit. Bei guter Pflege und Wartung bewegen sich diese Bentleys immer noch souverän, bei Bedarf auch sportlich, dabei immer flüsterleise.
Comeback der klaren Linie
Gerade wegen dieser vornehmen Zurückhaltung beim Fahren, weckte das Design des S2 von Vilhelm Koren großes Aufsehen - nicht immer nur Positives. Die klare Form will verstanden werden. Den überaus klassisch zu nennenden Bogen- und Faltenwurf des Mulliner S2 Continental bügelte der Norweger nämlich komplett glatt. Das gesamte Erscheinungsbild des Koren Fahrzeugs wird von einer zentralen Linie geprägt: diese zieht sich von der Spitze des vorderen Kotflügels oberhalb des Hauptscheinwerfers nahezu waagerecht über die gesamte Fahrzeuglänge bis zum Ende der angedeuteten Heckflosse im Jet-Design, welche ähnlich wie beim Aston-Martin DB4 Blinker, Brems- und Rückfahrlicht aufnimmt.
Dadurch wirkt die komplette Karosserie dieses mächtigen Cabriolets gänzlich spannungsfrei und eher untypisch für einen Bentley. Dennoch erscheint der flächige Look keineswegs langweilig. Im Gegenteil, die kühle Unaufgeregtheit verleiht dem Koren Cabriolet eine aristokratische Note und bis heute Zeitlosigkeit. Erstaunlich fast, wie die durchaus massiven Chromteile an der Wagenfront aus größerer Entfernungen beinahe zierlich erscheinen. „Der klare Ausdruck des Park Ward ist in unserer turbulenten Zeit wieder gefragt“, sagt Reinhard Sachse, Geschäftsführer von Steenbuck-Automobiles in Gödenstorf-Lübberstedt. „Denn die Linie des Koren S2 untersagt der Mode, beweist vielmehr Mut und einen unverstellten Blick auf die großen, die wichtigen Dinge.“ Fahrtugenden zum Beispiel.
Der Koren S2 fährt sich ungefähr genau so, wie es interessierte Betrachter von ihm erwarten werden: einfach souverän. Im direkten Vergleich mit dem aktuellen GTC fällt die stoische Gelassenheit des beinahe 50 Jahre alten Bentleys auf. Er liebt die schnelle Fahrt im hohen Gang, das souveräne Konzertieren der acht Zylinder in der Drehzahlmitte, das entschiedene Fordern von Leistung am lang gezogenen Kurvenausgang. Der S2 ist für die Strecke gemacht – und die darf ruhig lang sein. Damit wird er seiner Bestimmung des kontinentalen und überlegenen Reisewagens vollauf gerecht.
Continental Verschiebung
Somit erfüllt dieser S2 die Kardinaltugenden eines Bentleys: Er animiert nicht zum rasanten Fahren, er vermittelt vielmehr Entspannung bei zügiger Fahrt – und dies offen wie geschlossen. Es ist kein Wunder, dass der aktuelle Continental GTC hier weitaus universeller ist. Dank modernster Motor- und Fahrwerkstechnik kommen bei ihm echte Sportwagentugenden hinzu. Abrufbar per Gaspedaltritt, Zug am Schaltpaddel oder mittels Betätigen der Sporttaste. Was aber auch auffällt: der neue Bentley Conti GTC wirkt gegen den Koren S2 ausgenommen kompakt. Rein nach der Formensprache, sollte man den Ahnen besser wohl einem Bentley Brooklands oder in der offenen Variante dem Bentley Azure gegenüberstellen. Azure und Koren S2 DHC - das wäre wohl das ultimative Traumpaar in einer Bentley Garage, zumal Conti T-Modelle, Brooklands-Fahrzeuge und Azure-Cabriolets ohnehin als legitime Ur-Conti Nachfolger gelten.
Zurück zum Klassiker: Von den 125 – manche Quellen sprechen von nur 124 gebauten Exemplaren – S2 Koren Bentleys sollen nur 64 Autos die Park Ward Manufaktur als Linkslenker verlassen haben, wovon angeblich wiederum nur 20 Exemplare in die USA exportiert wurden. „Unser Bentley ist eines der Fahrzeuge, die in die Staaten exportiert wurden“, berichtet Reinhard Sachse von Steenbuck-Automobiles, „die Erstauslieferung ging nach New York. In den USA hatte das Fahrzeug drei verschiedene Eigentümer. 1999 kam es zurück nach Deutschland und erhielt hier umgehend seine historische Abnahme.“ Das Fahrzeug ist kenntnisreich restauriert, die Mechanik überholt, das Auto mit einem Ordner voller Belege über die ausgeführten Arbeiten ausgestattet.
Die royale Farbkombination aus Tiefdunkelblau mit Leder in Porzellanweiß unterstreicht den ernsten und seriösen Charakter des Fahrzeugs, obwohl es sich um ein viersitziges Cabriolet handelt, welche gemeinhin ein eher illustres Image aufweisen. Mit geschlossenem Verdeck, bezogen in Dunkelblau, wirkt der S2 äußerst elegant und bietet sich als echte Alternative zu den bekannteren Conti-Varianten von Mulliner an. Wer also in punkto Continental Bewegung noch ein zusätzliches Zeichen seines besonderen Geschmacks setzen möchte, der sollte die Koren-Aufbauvariante in Erwägung ziehen. Mehr Bentley-Avantgarde, mit offiziellem Segen aus Crewe, ist schließlich kaum möglich.