Direkt zum Inhalt

Magazin

Jaguar Mk II 3.8 vs. S-Type 3.0

Parallelgesellschaft

Text & Fotos: Mathias Paulokat

Kontrastprogramm: Automobilklassiker einmal anders. Classic Driver lädt zum britischen Familientreffen und vergleicht den noch aktuellen Jaguar S-Type mit seinem legendären Ahnen, dem Jaguar Mk II 3.8. Parallelen und Gegensätze auf acht Rädern. Black and White. Night and Day.

Mittlerweile ist auch er schon bald ein junger Klassiker, der Jaguar S-Type. Seit 1999 gehört der auf den ersten Blick eher schlichte Jaguar-Viertürer, der unterhalb der großen XJ-Limousinen angesiedelt ist, zum vertrauten Straßenbild – nicht nur in Großbritannien. Optisch leicht retuschiert, gibt es den S-Type derzeit sowohl als 4,2 Liter V8 R mit 395 PS und auch als 2,7 Liter V6 Twin-Turbo-Diesel mit 207 PS, um die jeweiligen Enden des Leistungsspektrums des S-Modells zu nennen. Tatsächlich erlebte die Dieselei im Hause Jaguar im S-Type ihr Debüt.

Uns steht hier aber nicht nach Selbstzündern der Sinn. Wir wollen vielmehr den direkten Vergleich. Auge um Auge. Kopf an Kopf. Neu gegen Alt. Damit die Bedingungen einigermaßen fair bleiben, testen wir mit dem 3,0 Liter V6 in der gediegenen Executive Ausstattung die motorisierte Mitte und gleichzeitig wohl am häufigsten gewählte Variante des S-Type. Als Kontrast wählen wir einen Mk II von 1965 mit der legendären 3,8-Liter-Reihensechszylinder Maschine.

Zunächst aber ein Sprung in das Jahr 1998. Im Oktober wurde der S-Type als „kleiner Jaguar“ zeitgleich auf der Autoshow in Birmingham und auf der AAA in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert. Nicht wirklich klein geraten, sollte er im Revier der gehobenen Mittelklasse wildern, welches sich bislang vor allem Mercedes E-Klasse, 5er BMW und Audi A6 teilten.

Bereits bei Markteinführung mußte sich der S-Type bei vielen Freunden besonderer britischer Automobile jedoch nicht nur mit seinen neuen Rivalen messen lassen, sondern durfte auch einen Vergleich mit seinen eigenen Ahnen nicht scheuen. Den Grundstein hierfür hatte Jaguar mit der Typologie des Fahrzeugs selbst gewählt. Es gab schon einmal einen S-Type: Von 1963 bis 1968 lief eine um elf Zentimeter längere Luxusversion des bekannteren Mk II vom Band, auf den später der XJ6 folgen sollte. Die automobilen Gegner auf dem Kontinent trugen schon damals Sterne zur Schau und waren hier beispielsweise die eher behäbig wirkenden Heckflossen der frühen Mercedes-Benz S-Klasse vom Schlage eines 220 SEb, 230 S oder 300 SE.

Der besagte S-Type, motorisiert mit einer 3,4 oder der beliebten 3,8 Liter Maschine, unterschied sich vom MK II neben der größeren Fahrzeuglänge und gestreckteren Proportionen im wesentlichen nur durch eine leicht modifizierte Front mit anderen Blinkleuchten, sogenannten Lidern über den Hauptscheinwerfern und fehlenden Positionsleuchten auf den Kotflügeln. Kenner allerdings schätzen bis heute die kompaktere Mk II Limousine als den stilistisch gelungensten Wurf der mittelgroßen Baureihen. Und genau deswegen baten wir den Mk II in Altenglischweiß zur Gegenüberstellung mit unserem aktuellen S-Type in Ebony.

Visuelle Verwandtschaft

Schwarz und Weiß – Kontrastprogramm nicht nur bei den Farben? Ein klares Nein. Denn bei den Jaguar Limousinen, die immerhin fast 50 Jahre auseinander liegen, verblüffen im direkten Vergleich sehr viele optische Parallelen: Angefangen bei dem Plakettenkühlergrill, der runden Front mit vier Hauptscheinwerfern und den geschwungenen Kotflügeln.

Den S-Type ziert eine spannungsvolle Seitenlinie, die wie ein federnder Bogen vom Vorderwagen bis zum Heck des Wagens exakt in der Flucht der beiden Türgriffe verläuft. Genau dieses Bild zeigte der Ahne auch, wenn auch insgesamt ein wenig höher liegend. Die Flucht verläuft hier knapp unterhalb der seitlichen Fensterfront.

Jaguar Mk II 3.8 vs. S-Type 3.0 Jaguar Mk II 3.8 vs. S-Type 3.0

Die Fahrgastzellen beider Fahrzeuge sind zurückgesetzt, was jeweils die Vorderwagen betont und noch kraftvoller erscheinen läßt. Ähnliche Runden, ähnlicher Ausdruck. Die Verwandschaft ist aus dieser Perspektive ganz offensichtlich. Auch die hoch angesetzte Fensterfront des S-Type ist eine zeitgemäße Interpretation derer des Mk II.

Natürlich liegt die Frontscheibe beim S-Type flacher, aber achten Sie einmal auf die Formen der Fenster in den Hecktüren. Die Rundungen haben auch hier augenscheinlich familiären Ursprung. Und wie ein Déjá-vu erscheinen plötzlich die geschwungenen C-Säulen beim S-Type, wenn man zuvor den Mk II genauer betrachtet hat.

A new breed of Jaguar

Doch damit nicht genug der Verwandtschaft. Auch die Heckpartien vom S-Type und Mk II ähneln einander. Bei beiden Fahrzeugen beugen sich die Gepäckdeckel gravitätisch elegant den Stoßfängern entgegen. Genau dieses Element setzt den gelungenen Kontrapunkt am Ende des Spannungsbogen, der in den vorderen Kotflügeln seinen Anfang nahm – beim Mk II und auch beim S-Type.

Moment mal, sollte der S letzten Endes etwa eine Raubkopie des eigenen Stalles sein? Nein, vielmehr eine gekonnte und subtile Interpretation des legendären Klassikers Mk II. In der Sprache der Jaguare: „It´s a new breed of Jaguar.“ Eine neuer Wurf der Raubkatzen.

Bei einem Jaguar sind es zudem oft Details, die den Eigentümer freuen. Auch wenn den neuen S-Type ab Werk nicht mehr der „leaping Jag“, der springende Jaguar, auf der Motorhaube ziert, finden sich doch eine Reihe schöner Merkmale beim aktuellen S-Type. Beispielsweise die geschmackvolle Mixtur aus Farben und Materialien im Interieur: Feines Leder harmoniert mit Holz und Chrom und insgesamt wertig erscheinenden Flächen aus verschiedenen Kunststoffen. Auch die Schaltkulisse des Automatikwählhebels in Form eines großen J, das sogenannte J-Gate, gefällt. Oder die elektronische Parkbremse, die über einen massiven Wipphebel aus Chrom zu betätigen ist. Bentley läßt grüßen. Und schließlich sind auch die applizierten Jaguar Embleme ein Hingucker. Sei es nun im Pralltopf des Lenkrads oder – zeitgemäß – im Display des Touch-Screens. Dies alles schmeichelt den Sinnen und bestätigt Jaguar-Eigentümer in der Entscheidung, S-Type zu fahren.

Glücklicherweise ist auch die Verarbeitung aktueller S-Modelle gegenüber früherer Serienfahrzeugen deutlich besser geworden. Die Materialien knartschen und quietschen nicht mehr, wie es bei einzelnen Fahrzeugen erster Serie durchaus der Fall gewesen ist. Allerdings erleiden wir immer noch kleine Enttäuschungen: Die Drucktaster des Cockpits aus sprödem Plastik sind eines Jaguar schlicht unwürdig, genauso wie die einfachen Kombischalter, die nur zweckmäßigen Öffnungen der Lüftung, das verzinkte Zündschloß oder der grobe Schlüsselbart. Die Zierringe der schlichten Tachouhren sind in mattem Neusilber gehalten. Weshalb? Ansonsten glänzt der Jag mit hübschem Chrom. Warum nicht auch hier – im ständigen Blickfeld des Fahrers? Alles nur Details zwar, aber: genau daran muß sich ein Jaguar eben auch messen lassen. Damals wie heute.

Opulenz wie im Commonwealth

Der alte Jaguar gibt sich hier keine Schlappe. Im Gegensatz zum S-Type sind die Rundinstrumente mit filigranem Zeigerwerk bestückt. Die Schaltwippen sind aus traditionellen Materialien gearbeitet, formschön gestaltet und in glänzende Einfassungen gelegt. Optik und Haptik stimmen. Das Armaturenbrett, ein in Würde gealterter Instrumententräger aus fein gemasertem Wurzelholz.

Die Sitze laden zum Verweilen ein. Und nicht nur zum Fahren. Eine Robusto, ein reifer Single Malt oder auch ein Aufschrieb von Sir Walter Scott können hier wissend und schweigend genossen werden.

Jaguar Mk II 3.8 vs. S-Type 3.0 Jaguar Mk II 3.8 vs. S-Type 3.0

Die Mittelkonsole beim MK II ist genau das, was ihr Name bescheinigt. Eine kantige Konsole, die in der Fahrzeugmitte herrisch über dem Kardantunnel thront. So gehört sich das. Oppulenz wie im Commonwealth. Puristen mag im vorgefahrenen Mk II weniger die Rechtslenkung als vielmehr nur das rote Kunstleder stören. Doch, oh Wunder, auch dieses reift im Jaguar Mk II edel. Die Nase schnuppert Lederduft, wo gar keiner ist. Das ist die Magie der Marke.

Ein Blick voraus. Auf den Vorderwagen, der sich aus der Fahrerperspektive fließend verjüngt und sich der Straße entgegen reckt. Ganz vorne der ovale in Chrom gefaßte Kühlergrill. Keine Frage, daß die Raubkatze hier der Haube entspringen muß. Das ist ihr Revier. Selbst wenn es weiß wie Neuschnee daliegt.

Kommen wir zum Wichtigsten: dem Fahren. Der Mk II mit der 3,8 Liter Maschine und 220 PS war seinerzeit die schnellste Serienlimousine der Welt. Dies ist der aktuelle S-Type in der 3,0 Liter V6 Executive-Version nicht. Dennoch ist er mit seinen 238 PS sehr zügig unterwegs. Allerdings überhaupt nicht sportwagentypisch. Ganz im Gegenteil: Der S-Type ist mit seinem butterweich schaltenden ZF Sechsgang-Automatikgetriebe ein perfekter Gleiter. Dies auch bei hohen Geschwindigkeiten.

Schnelle Antritte hingegen sind nicht seine Sache. Zwar spurtet der 3-Liter-S-Type in knapp acht Sekunden von 0 auf Tempo 100. Jedoch geht dies nicht ohne eine Geräuschkulisse, die viel mehr an Krawall als an kultivierten Klang erinnert. Eindeutig: Akustisch enttäuscht der Leichtmetallmotor bei scharfer und sportlicher Fahrweise. Genau das aber lieben wir doch so sehr an unseren Jags. Da ist es nur ein kleiner Trost, daß die Verbrauchswerte moderat ausfallen und bei besonnener Fahrt durchaus unter zehn Liter auf 100 Kilometer liegen können.

Ganz anders der Mk II. Seine Maschine ist ein Opus. In der Leistung und im Klang. Natürlich regiert hier noch die reine Mechanik. Und die ist manchmal eigenwillig und störrisch. Wie britische Charakterköpfe eben so sind. Um so schöner ist da das Gefühl, wenn der alte Jaguar rund läuft und willig durch die Jagdgründe streunert. Wie heißt es so schön: „Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch!“ It is still right, my dear.

Night and Day – was bleibt? Die Erkenntnis, daß der aktuelle Jaguar S-Type zweifelsohne viel Auto bietet, ansehnliche Eleganz und mehr als nur die Aura einer großen Marke. Er ist zeitgemäß, seiner Zeit aber nicht voraus, so wie es damals der Mk II gewesen ist.

Gewiß, der S-Type ist auf seine Art auch zeitlos, macht aber nicht sprachlos vor Bewunderung, die einem gepflegtem Mk II praktisch immer zuteil wird. Rechnen Sie einmal selbst: Unser S-Type schlägt als Neuwagen mit rund 56.000 Euro zu Buche. Dafür gibt es top gepflegte Jaguar Mk II, die sich mit kleinen Modifikationen auch hervorragend als Alltagsklassiker fahren lassen. Also – für welche Raubkatze würden Sie sich entscheiden?