Herr Callum, vor 50 Jahren startete der Jaguar E-Type in Genf seinen Siegeszug. Heute präsentieren Sie den neuen XKR-S. Gibt es Gemeinsamkeiten?
Abgesehen von offensichtlichen Referenzen an den E-Type – etwa die Form des Grills, die Fenstergrafiken oder die Heckklappe – hat sich bis heute vor allem an der grundlegenden Design-Philosophie nichts geändert. Damals ging es darum, den Sechszylinder-Motor und die Technik in eine möglichst knappe Karosserie zu kleiden. Tatsächlich ist der E-Type ja ein kompaktes Auto, in das gerade einmal zwei Personen passen. Als wir den neuen XK entwickelten, hatten wir dasselbe Ziel vor Augen. Ich weiß, der XK ist gegenüber dem E-Type deutlich gewachsen, doch wir mussten auch viel mehr unterbringen: Der Motor ist größer und benötigt eine breitere Spur, die Passagiere verlangen heute deutlich mehr Platz – und natürlich müssen auch ganz andere Crash-Standards berücksichtigt werden. Die Gründe für dieses allgemeine Wachstum liegen leider außerhalb unseres Einflussbereichs. Ich persönlich würde mir die Automobile wieder etwas kleiner wünschen.
Der E-Type Lightweight gilt als Höhepunkt der Baureihe. Entspräche ein solch puristisches Modell heute nicht wieder dem Geist der Zeit?
Absolut. Beispielsweise könnte man den XKR-S nehmen und das Gewicht umfassend reduzieren. Mit Karosserieelementen aus Carbon beispielsweise – momentan verwenden wir ja bereits Aluminium. Der E-Type baute noch auf Stahl. Wenn wir einen Lightweight-Sportwagen für die Rennstrecke bauen wollten, wäre das wohl kein Problem. Grundsätzlich entspricht es auch der aktuellen Philosophie von Jaguar, die Leistung durch die Reduktion der Masse zu verbessern.
Mit den aktuellen Baureihen XF und XJ haben Sie sich radikal von der bewährten Designsprache losgesagt. Warum war dieser Bruch notwendig?
Zum einen hatte der Retro-Style, den Jaguar über viele Jahre verfolgt hatte, seine Anziehungskraft zu gewissen Teilen verloren. Aus der Distanz schätzten die Menschen diesen typisch britischen Look zwar weiterhin – nur kaufen wollten sie ihn eben nicht mehr. Ich denke, man kann nur für eine gewisse Zeit zurückblicken. Irgendwann muss man zurückkehren in die Welt von heute. Viel wichtiger ist jedoch, dass Jaguar auch früher immer in die Zukunft geblickt hat. Schauen Sie sich nur den E-Type an: Als er 1961 herauskam, war er höchst modern und seiner Zeit weit voraus. Auch der XJ6 und der Mark II waren zukunftsweisende Modelle und deshalb so erfolgreich. Zu dieser vergessenen Pionierposition wollte ich Jaguar zurückführen. Ich weiß, dass sich einige Menschen mit der neuen Linie schwertun, weil sie nur die letzten 30 Jahre im Kopf haben. Aber was sie vergessen, ist die Zeit davor. Für mich ist diese Periode aber essentiell.
Bertone zeigt in Genf die inoffizielle Jaguar-Studie B99, die wiederum an den Retro-Look der Neunzigerjahre anknüpft. Ist dieses Konzept dennoch interessant für Sie?
Ich denke der Wagen sieht sehr gut aus, auch wenn das Styling überraschend klassisch ausfällt und sich stark am Jaguar XJ40 orientiert. Was mich tatsächlich etwas irritiert, ist das Packaging. Die Formgebung entspricht nicht den Konventionen, das Showcar ist sehr flach und breit – und das ist für eine Konzeptstudie sicherlich wichtig. Aber solche Abmessungen auch nur annähernd faszinierend in die Serie zu übersetzen, wäre unmöglich. Die Studie würde ihr gesamtes Charisma verlieren, da sie vor allem von ihren dramatischen Proportionen lebt. Natürlich müssen auch unsere Serienmodelle durch ihre Größenverhältnisse überzeugen, doch in diesem Maße wäre es nicht machbar.
Wenn man auf dem Genfer Salon all die charakteristischen Kühler, Scheinwerfer und Markenembleme abkleben würde – woran könnte man einen modernen Jaguar dennoch erkennen?
Für mich stehen nicht die kleinen Details und Erkennungsmerkmale im Fokus, sondern das große Ganze. Sehen Sie sich etwa einen Jaguar Mark II von 1960 an: Ein wunderbares Auto, sicherlich. Aber auf dem britischen Markt gab es viele sehr ähnliche Modelle wie etwa den Riley Pathfinder oder den MG Magnet, die sich in ihrer Grundform kaum unterschieden. Der Jaguar war nicht so viel anders – nur eben so viel schöner. Bei uns geht es auch heute in erster Linie um das Profil und die Proportionen. Ein Jaguar soll sporty aussehen und dabei Selbstbewusstsein zeigen. Ein Jaguar XF muss beispielsweise dynamischer wirken als eine Mercedes E-Klasse. Anschließend kann man sich um die Details kümmern – das typische Layout der Scheinwerfer etwa, das sich bis heute als moderne Variation wiederfindet, oder die Form des Kühlergrills. Grundsätzlich unterscheiden sich unsere Automobile vielleicht nicht allzu dramatisch von den Proportionen der anderen Hersteller – viele Formen liegen ja auf der Hand – aber mir geht es wie gesagt um den Gesamteindruck.
Interview: Jan Baedeker