Leichter, stärker, schneller, sparsamer! Die nunmehr siebte Generation des Porsche 911 Turbo überrascht mit neuen Maßstäben in allen Disziplinen. Mit 500 PS ist er annähernd doppelt so stark wie der erste Turbo aus dem Jahr 1974 mit 3,0 Liter und 260 PS. In 3,4 Sekunden spurtet der 2010er Jahrgang mit PDK-Getriebe und Sport Chrono Paket Turbo auf 100 km/h. Die Nordschleife umrundet er zehn Sekunden schneller als sein unmittelbarer Vorgänger. Dennoch begnügt sich Porsches neues Meisterstück mit nur 11,4 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer nach EU5-Norm. Also, hat Porsche alles richtig gemacht? Classic Driver geht der Sache auf den Grund. Fahrbericht: Akte 911.
In diesem Punkt hat Porsche bereits Recht: „Man muss nicht erst das Zeitliche segnen, um zur Legende zu werden.“ Der Porsche 911 Turbo ist fraglos längst eine automobile Legende. Rund 80.000 Fahrzeuge dieser exklusiven Modelle hat Porsche seit der Markteinführung 1974 verkauft. Das neuartige Prinzip musste damals erst verstanden werden. Dem ersten 911 Turbo genügten nämlich 3,0 Liter Hubraum und nur sechs Zylinder in Boxeranordnung, um die Sportwagenwelt auf den Kopf zu stellen. 35 Jahre später und einem standesgemäßen Debüt auf der Frankfurter IAA 2009 geht die siebte Generation des Porsche 911 Turbo an den Start. Mit einem 3,8-Liter-Sechszylinder-Biturbo-Boxermotor, 500 PS Output und Fahrleistungen, die dem Niveau des Supersportwagen Porsche Carrera GT entsprechen sollen.
Ortswechsel. Lissabon. Während in Deutschland der Herbst schon mit dem Winter anbandelt, herrscht in Portugal noch der Sommer: 30 Grad. Eine leichte Brise vom Atlantik. Sonnenschein. Bestes Porsche-Wetter, welches mich an meinen letzten Targa-Ausflug nach Cabo de Sao Vicente erinnert. Heute aber spielt ein anderes Programm. Turbo statt Targa. Die Flotte steht bereit. Ich entscheide mich für die besonders sportliche Variante des neuen Turbo: mit Porsche Doppelkupplungs-Getriebe (PDK), geschmiedeten 19-Zoll Leichtmetallrädern im RS Spyder-Design mit Zentralverschluss und Keramikbremsen. Dazu das Aerokit mit großem Heckflügel und die Individualfarbe „Babyblau“. Innen Sportschalensitze und Carbon Paket. Das sitzt, expressiver kann man den neuen Turbo kaum stylen.
Mit vernehmlichen Druck im Rücken, erstaunlich gleichmäßigem Turboschub und schnellen wie sanften PDK-Schaltvergängen geht es in Richtung Cascais und von dort über den westlichsten Punkt des europäischen Festlands, dem Cabo da Roca, mitten hinein ins Kurvengewirr der Serra de Sintra. Spätestens hier wird deutlich, dass der neue Turbo tatsächlich in vielen Disziplinen noch eine kleine Spur besser ist als sein Vorgänger aus dem Jahr 2006. Das soll etwas heißen, galt dieses Fahrzeug in Kennerkreisen doch häufig als Benchmark und Referenz, der sich neue Aspiranten für den Sportwagenolymp zu stellen hatten. Doch das Fahrgefühl im neuen Turbo nach den ersten 100 Kilometern lügt nicht: Er liegt noch griffiger in der Hand und satter auf der Straße, beschleunigt vehementer und steuert direkter als je zuvor. Die folgerichtige Frage ist banal und doch allzu berechtigt: „Woran liegt das?“
Auf der Rennstrecke von Estoril, welche langjährige Classic Driver Leser noch vom BMW Z4 M Coupé erinnern, erfahren wir mit Rallye-Ass Walter Röhrl die Details. Zunächst einmal ist es der neue Motor mit 3,8 statt 3,6 Liter Hubraum. Das erstmals in der 35-jährigen 911-Turbo-Typengeschichte von Grund auf neu konstruierte Triebwerk verfügt nun über Benzindirekteinspritzung, eine effizienzsteigernde Expansionssauganlage für kühlere Luftzufuhr und Turbolader mit variabler Turbinengeometrie. Damit steigt im Vergleich zum Vorgänger nicht nur die Leistung um 20 PS auf 500 PS, entsprechend 368 kW, sondern auch das maximale Drehmoment um 30 Newtonmeter auf nunmehr 650 Newtonmeter.
Serienmäßig ist der neue 911 Turbo wie bisher mit einem Sechsgang-Schaltgetriebe ausgestattet. Unsere Empfehlung ist jedoch eindeutig das Siebengang-Porsche-Doppelkupplungsgetriebe, welches erstmals im Turbo erhältlich ist. Im Gegensatz zur Tiptronic S des Vorgängers ist diese Getriebelösung auch mit Quersperre erhältlich. Das neue PDK ist eine Weiterentwicklung aus den 911 Carrera-Sportwagen mit verstärkten Komponenten. Mit maximalem Package spurtet der Turbo im Launch Control Modus in nur 3,4 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. So lautet die eher defensive Werksangabe – nicht autorisierte Messungen kolportieren bereits 3,2 Sekunden. Das Cabriolet benötigt laut Werk 3,5 Sekunden. In jedem Fall Werte, die bei erstmaligen Erleben die Bewußtseinsgrenze erweitern.
Raus auf die Strecke. Hier aktiviert die Sport Plus-Taste beim PDK die Schlatstrategie „Rennstrecke“ mit kürzestmöglichen Schaltzeiten und optimalen Schaltpunkten beim Hoch- und Runterschalten. Für eine bessere Fahrdynamik und auch erlebbar höheren Fahr- und Schwingungskomfort trägt das im Sport Chrono Paket Turbo zusätzliche dynamische Motorlager bei. Diese verändern in Abhängigkeit der jeweiligen Fahrsituation ihre Steifigkeit und Dämpfung. Dabei wird die Übertragung von Schwingungen und Vibrationen des gesamten Antriebsaggregats und insbesondere des Motors auf die Karosserie spürbar minimiert. Ein weiterer Grund der besseren Fahrdynamik beruht auf dem neuen, aktiven Allradantrieb in Verbindung mit dem neuen, optional erhältlichen Porsche Torque Vectoring (PTV). Dies Paket beinhaltet ein mechanisches Hinterachssperrdifferenzial und erhöht durch gezielte Bremseingriffe am kurveninneren Hinterrad die Agilität bei gleichzeitig reduzierter Untersteuer-Neigung. Das Resultat: höhere Lenkpräzision, mehr Kurvenstabilität. Vulgo: Es geht noch schneller durch die Kurven.
Neuigkeiten auch beim Design. Allerdings wirken diese nur wie feine Retuschen, so dass sich Fahrer der sechsten Generation kaum zurückgesetzt fühlen dürften. Neu sind in der Serienausstattung titanfarben lackierte Lamellen in den seitlichen Lufteinlässen und LED-Tagfahrleuchten an Stelle der bisherigen Nebelscheinwerfer. Das erstmals optional erhältliche dynamische Kurvenlicht schwenkt bis zu 15 Grad in den Kurvenlauf ein und erhöht so die Ausleuchtung. Neben den optionalen Felgen mit Zentralverschluss sind auch neue 19-Zoll Turbo Räder in Schmiedetechnik mit serienmäßiger Bi-Color-Optik erhältlich. Am Heck fallen die neuen Rückleuchten mit LED-Technik und größere Endrohre der Abgasanlage auf. Innen wartet ein neues Dreispeichen-Rad auf Lenkbefehle. Erstmals sind bei der PDK-Ausrüstung auch Schaltpaddles anstatt der Schiebetasten im Angebot.
Ab 21. November 2009 sind Coupé und Cabriolet in Deutschland erhältlich. Der Preis für den 911 Turbo beträgt in Deutschland 145.871 Euro, das 911 Turbo Cabriolet kostet 157.057 Euro. Alle Preise notieren inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer und länderspezifischer Ausstattung, jedoch ohne Fahrzeug-Optionen wohlgemerkt.
Gut. Auch diese Werte sitzen. Sie benötigen jetzt noch ein richtig rationales Kaufargument? Haben wir! Der Porsche 911 Turbo darf derzeit getrost als sparsamster Supersportwagen mit Verbrennungsmotor bezeichnet werden. Er ist um 2,2 Liter sparsamer als sein Vorgänger. Der Durchschnittsverbrauch liegt jetzt bei nur noch 11,4 Liter pro gefahrene 100 Kilometer. Damit wird er der strengen EU5-Norm allemal gerecht. Und als einziges Fahrzeug in seinem Marktsegment unterschreitet der Porsche 911 Turbo die Verbrauchsgrenzwerte der „Gas Guzzler Tax“ in den USA, die verbrauchsintensive Fahrzeuge mit einer Zusatzsteuer belegt. Na bitte: Der Bauch sagt „ja!“ – der Kopf auch. Das zeichnet den Generationenwechsel aus. Denn wer hätte 1974 gewagt, beim Porsche Turbo an Vernunft zu denken?
Erfahren Sie auf Classic Driver in Kürze mehr über Entstehungsgeschichte und Modellgenerationen des Porsche 911 Turbo: in unserem exklusiven „Turbo-Brevier“. Turbo lesen, Turbo fahren? Im Classic Driver Automarkt finden Sie rund 800 ausgesuchte Sportwagen von Porsche und darunter auch eine große Auswahl an unterschiedlichen Porsche Turbo Modellen.
Text & Fotos: Mathias Paulokat
ClassicInside - Der Classic Driver Newsletter
Jetzt kostenlos abonnieren!