Am 25. Juli 1971 überquerte der feuerrote Mercedes 300 SEL 6.8 AMG beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps als Zweiter die Ziellinie – und begründete damit den Ruhm von AMG. Jetzt hat Mercedes die viertürige Rennikone, genannt "Rote Sau" mit der Startnummer 35 erneut auf die belgische Rennstrecke gebeten: Zum Generationenvergleich mit dem kommenden S 63 AMG im historischen Partnerlook.
Vor ihrer Aufstellung für das 24-Stunden-Rennen von 1971 war die große Luxuslimousine aus der schwäbischen Provinz alles andere als ein Favorit. Als Rennwagen mit Erfolgschancen galten Ford Capri RS, BMW 2800 CS, Chevrolet Camaro, Opel Commodore und Alfa Romeo GTA. Doch schon im Training zeigte der rote Viertürer mit dem langen Radstand sein Potenzial und sicherte sich Platz 5 bei der Startaufstellung. Im Rennen pilotierten die Fahrer Hans Heyer und Clemens Schickentanz den großen Mercedes schließlich so souverän und ohne technische Ausfälle, dass sie – trotz trubulentem Rennverlauf und mitternächtlichem Unwetter – nach 308 Runden direkt hinter dem Werks-Capri von Glemser/Soler-Roig als Zweite die Ziellinie überquerten. Sogar die Tagesschau berichtete über den Überraschungserfolg.
„Wir wussten, dass wir gewinnen konnten, nur die anderen wussten es nicht“, erinnert sich der heute 67-jährige Hans Heyer. Es muss für die Fahrer ein vergleichsweise komfortables Rennen gewesen sein, verfügte die "Sau" doch über alle typischen Ausstattungsdetails wie Servolenkung, Luftfederung, Teppiche, Türverkleidungen und ein Armaturenbrett mit Edelholz-Zierteilen. Zwar waren die Bremsen mit dem Gesamtgewicht von 1.635 Kilo leicht überfordert, „aber auf dem alten Kurs von Spa hatten die Scheiben ja viel Zeit sich abzukühlen“, relativiert Heyer, „und auf den langen Geraden, da kriegte uns keiner.“ Als technische Basis für den AMG-Rennwagen aus Affalterbach diente der Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 – seinerzeit mit 250 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h das schnellste deutsche Serienautomobil. Der AMG-Mitbegründer Erhard Melcher frisierte den Achtzylinder mithilfe klassischer Maßnahmen und verordnete eine Hubraumerhöhung von 6,3 auf 6,8 Liter, die nicht nur die Leistung auf 428 PS ansteigen ließ, sondern auch das Drehmoment von 500 auf 608 Newtonmeter erhöhte.
Um Platz für die vom Versuchswagen C 111 bekannten Magnesiumfelgen zu schaffen, wurden die Kotflügel verbreitert. Türen aus Aluminium halfen derweil, das Gewicht von ursprünglich 1.830 Kilogramm abzusenken. Größere Querlenker, eine robustere Hinterachse und härtere Luftfederbälge sorgten für das renntaugliche Handling. Nach dem Sieg in Spa ging der Renntourenwagen noch beim 2x6 Stunden Rennen in Paul Ricard, 1972 dann bei den 24-Stunden auf dem Nürburgring und den 200 Meilen von Nürnberg an den Start. Nach einer Reglement-Änderung der FIA, die nur noch Wagen bis fünf Liter Hubraum zum Rennen zuließ, verkaufte AMG die Limousine an den französischen Konzern Matra, der ihn für Hochgeschwindigkeitstests von Flugzeugreifen einsetzte. Danach verliert sich seine Spur. Im Frühjahr 2006 hat AMG nach Originalunterlagen ein Replikat des 300 SEL 6.8 AMG aufgebaut, das nun von einem exklusiven Showcar im Partnerlook ergänzt wird.
Der Mercedes-Benz S 63 AMG „Thirty-Five“ gibt einen Ausblick auf die Serienversion des neuen S 63 AMG, der im September 2010 auf den Markt kommen soll. Die Werbe-Limousine, die nun bei einem ersten Rendez-Vous mit ihrem stilistischen Vorbild auf der Rennstrecke von Spa-Francorchamps gesichtet wurde, übernimmt neben der Startnummer 35 auch alle Sponsoring-Aufkleber des 300 SEL 6.8 AMG. Anstelle des feuerroten Unilacks trägt die Revival-Limousine den SLS-Farbton „AMG Le Mans rot metallic“. Für die imposante Bereifung im Format 275/35 R 20 bzw. 325/30 R 20 wurden die Kotflügel zudem um 4,5 Zentimeter verbreitert. Im Innenraum der Limousine wurden ein Überrollkäfig, zwei Sportschalensitze und ein Sportlenkrad installiert. Für den Antrieb des Showcars sorgt ein 5,5 Liter V8-Biturbomotor mit Direkteinspritzung, 544 PS und 800 Newtonmetern, der im Sinne der neuen Markenausrichtung um 25 Prozent effizienter ausfallen soll als der bisher verfügbare 6,3 Liter V8-Saugmotor. Mit einem zusätzlichen Performance-Paket soll die Leistung sogar auf 571 PS und 900 Newtonmeter ansteigen und der Sprint von 0 auf 100 km/h in nur 4,4 Sekunden möglich sein. Die Kraft wird über ein Speedshift MCT Siebengang-Sportgetriebe auf die Räder übertragen.
Text: Jan Baedeker
Fotos: Daimler
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