Mit einem Prototypen des Mercedes 300 SLS Roadster fuhr der legendäre Fotojournalist David Douglas Duncan 1956 durch Europa, um eine Bildstrecke für das Collier’s Magazine zu produzieren. Mehr als ein halbes Jahrhundert später hat Autor Scott Grundfor die spannenden Aufnahmen wiederentdeckt.
In den Prototypen spiegelt sich die Designentwicklung eines einzelnen Automobils wohl am besten wider. Doch oft ist den „Testeseln“ ein trauriges Schicksal beschieden – nach tausenden von Kilometern auf Erprobungsfahrt werden sie in abgelegenen Fabrikhallen eingelagert oder sogar verschrottet. Bis aus alten Wracks begehrte Artefakte werden, ist es meist schon zu spät. Umso erfreulicher ist es natürlich, wenn man zu den ganz besonderen Prototypen, die am Anfang einer außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte standen, erneut Zugang erhält – und sei es nur in zweidimensionaler Form, durch eine Serie fast vergessener, historischer Fotografien.
Es war 1956, als David Douglas Duncan den Auftrag erhielt, für das amerikanische Collier’s Magazine eine Ausfahrt in einem neuen Sportwagen-Prototyp von Mercedes zu unternehmen und diese mit seiner Kamera zu dokumentieren. Duncan gilt heute als einer der Wegbereiter des modernen Fotojournalismus, vor allem seine Kriegsfotografien, die er im Zweiten Weltkrieg sowie in Korea und Vietnam für das Life Magazine produzierte, begründen seinen Ruf als einer der wichtigsten amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Mit Leica entwickelte er zudem die Prototypen der modernen Reportagekameras, mit denen Fotografen aus aller Welt bis heute arbeiten. Bekannt wurde Duncan aber auch durch seine Künstlerporträts von Pablo Picasso, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband.
Um den Erfolg des 300 SL Flügeltürers auf dem amerikanischen Markt weiter auszubauen, hatte der US-Generalimporteur Max Hoffmann wiederholt eine Roadster-Variante gefordert – und schließlich hatte man in Stuttgart auf den Mann in Amerika gehört. Der 300SL Roadster debütierte im März 1957 auf dem Genfer Salon, doch schon im Juni 1956 ludt Karl Wilfert, Leiter der Designabteilung bei Mercedes, den renommierten Fotografen Duncan ins Entwicklungszentrum von Daimler-Benz nach Zuffenhausen. Die eindrucksvollsten Fotografien entstanden jedoch bei einer Testfahrt mit dem Roadster-Prototyp und einigen Flügeltürern durch die Schweizer Alpen. Im Oktober 1956 erschien die Geschichte unter dem Titel „The Secret SLS“ im Collier’s Magazine – und die amerikanische Hautevolee zählte die Stunden bis zur Markteinführung des neuen Traumsportwagens.
„Auch wenn viele Details noch vor unseren Blicken geschützt werden, haben uns die Werksmitarbeiter durchaus wissen lassen, worum es sich bei diesem windschnittigen Sportwagen tatsächlich handelt“, schrieb Duncan im Begleittext zu seinen Fotos. „Es ist die Kombination eines gewaltigen, zweisitzigen Roadsters mit dem revolutionären Mercedes 300 SL Flügeltürer und jenem stromlinienförmigen Rennwagen, mit dem Juan Manuel Fangio seine großen Grand-Prix-Erfolge feierte. Der 300 SLS (was für „Super Leicht Spezial“ steht) wurde von Rennsport-Experten für Sportsmänner entwickelt und dürfte das Chronjuwel einer jeden Garage werden.“ Mit dem Titel seiner Reportage prägte Duncan übrigens auch die Bezeichnungen der späteren beiden Rennversionen des 300 SL Roadsters.
Scott Grundfor entdeckte die Fotostrecke 1988 im Rahmen seiner Forschung an der UCLA und kontaktierte David Douglas Duncan, der ihm die Originalabzüge von damals freundlich zur Verfügung stellte. Weitere Informationen zu Duncan und dem SLS-Prototyp finden Sie hier:
www.scottgrundfor.com
The Car That Led Three Lives by Dennis Adler
Duncan Image Gallery
Text: Scott Grundfor
Fotos: David Douglas Duncan