Die Karriere des Graeme Hunt begann bei dem berühmten Londoner Bentley- und Rolls-Royce-Spezialisten Jack Barclay, ehe er sich 2001 als Klassiker-Händler selbständig machte. Ein kluger Schritt, denn sein Unternehmen, das in einem der für London typischen Mews Houses (einer ehemaligen Stallung) beheimatetet ist, war von Anfang an erfolgreich. Zu den Automobilen, die er anbietet, zählen unterschiedlichste Modelle - von Citroën Méhari bis Bentley R-Type Continental. Im persönlichen Gespräch erweist sich Graeme als einer der feinsten, liebenswürdigsten und sicherlich am besten angezogenen Vertreter der Klassiker-Zunft. Und gerne ist er bereit, einen Nachmittag lang begeistert von seiner Leidenschaft zu erzählen, die er nunmehr seit drei Dekaden pflegt.
Frühe Erinnerungen
Was ist Ihre früheste automobile Erinnerung?
Ich muss etwa vier Jahre alte gewesen sein und saß vorne auf der Armlehne eines Ford Zephyr Six. Mein Vater war am Steuer und für mich war es die einzige Möglichkeit, über das Armaturenbrett blicken zu können. Ich hatte ein eigenes weißes Plastiklenkrad mit einem an der Tafel befestigten Ganghebel - man könnte also sagen, ich fahre Auto, seit ich vier Jahre alt bin.
Meine nächste Frage wäre gewesen, wann Sie sich für einen Beruf, der mit Autos zu tun hat, entschieden haben. Aber mit vier Jahren macht man sich vermutlich wenig Gedanken um die zukünftige Karriere?
Sehr wahr! Ich mochte Autos sehr, aber ich könnte nicht sagen, dass ich sie zu meinem Beruf machen wollte. Nach der Schule arbeitete ich zunächst für ein Unternehmen, das meteorologische Instrumente herstellte, dann machte ich eine Ausbildung zum Buchhalter. Nach einem kurzen Gastspiel bei dem Luftfahrtunternehmen Dallah Avco erwähnte ein Schulfreund von mir, der in Genf lebte, dass Linkslenker in Großbritannien günstiger sind. Er wollte einen Mercedes 350 SL kaufen. Ich fand auch einen, in Grünmetallic mit beigem Leder, und zwar beim französischen Konsulat in London. Anschließend überführte ich das Auto nach Genf. Nach der Anmeldung war es immer noch um ein Drittel günstiger, als alle vergleichbaren Automobile dort. Also entschied mein Freund: „Wir verkaufen es und kaufen gleich wieder ein neues.” So bin ich buchstäblich im Automobilgeschäft gelandet, ohne Karriereplan und ohne Strategie.
Diese ewige Anziehungskraft
Was fasziniert Sie nach allen diesen Jahren noch immer an Autos?
Ich habe klassische Automobile im Blut, obwohl ich täglich mit ihnen zu tun habe. Ich bekomme immer noch einen Kick, wenn ich ein Auto erwerbe - egal, ob es 15.000 oder 500.000 Euro kostet. Interessanterweise wurden die Modelle, für die heute eine halbe Million aufgerufen wird, seinerzeit, als ich vor 30 Jahren mit dem Handeln anfing, lange nicht so hoch eingestuft.
In der Familie
Ihr Unternehmen ist familiengeführt, nicht war?
Das stimmt. Meine Frau Bettina arbeitet hauptberuflich mit und meine Söhne übernehmen ebenfalls zahlreiche Aufgaben. Wenn sie nicht gerade mit ihrem Studium beschäftigt sind, schleppen wir sie zu Events wie der London Classic Car Show, falls wir einen Stand auf der Messe haben. Sie überführen die Autos, helfen am Stand aus oder vertreten uns hier im Showroom. So führen sie nicht nur ein munteres Studentenleben, sondern lernen auch etwas über den Beruf!
Wer sich in Ihrem Showroom umsieht, bemerkt, dass sich nicht alles nur um Autos dreht. Womit beschäftigen Sie sich noch?
Meine Frau Bettina kümmert sich um die Uhren. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit der Schweizer Uhrenindustrie und hat derzeit zwei Franchises für die Uhrenmarken Mühle Glashütte und Junghans. Gleichzeitig bietet sie auch individuelle Uhrenarmbänder in allen Farben, Größen und Materialien an, darunter Python, Alligator, Eidechse und Haifischhaut. Wir haben außerdem sehr schöne Originalkunst, die wir im Showroom ausstellen. Dazu zählen Bronzeplastiken rund um das Thema Automobilkultur, historische Plakate oder Kunst von Größen wie Walter Gotschke, Paul Bouvot oder Kevin Shepherd.
Ein gewisser Hang zu Bentleys?
Tendierten Sie zu Bentley und Rolls-Royce, weil Sie einst bei Jack Barclay gearbeitet haben, oder haben diese Marken Sie schon viel früher fasziniert?
Als Jugendlicher haben sie mich schon interessiert, aber damals mochte ich viel lieber die lauten und schnellen Lamborghini und Ferrari. Der Geschäftspartner meines Vaters hatte einen T-Series Bentley, außerdem gab es bei uns zuhause in Hadley Wood einen Rolls-Royce- und Bentley-Vertragshändler. Ich bin jeden Tag an den Ausstellungsräumen vorbeigelaufen, einmal habe ich im Fenster einen Camargue bewundert, der gerade erst vorgestellt worden war - das Modell war damals unglaublich teuer. Aber ja, meine Leidenschaft wurde in den Barclay-Jahren entfacht. Heute sagen alle, dass ich ein Spezialist für Rolls-Royce und Bentley bin, aber das bin ich nicht. Sie gefallen mir gut, genauso gut wie andere Autos auch, nur dass es für mich eben diese besonderen Fahrzeuge gibt, die oft genug nicht gewürdigt werden. Ich sehe da Vorzüge, die andere nicht beachten.
Berufung mit Marotten
Viele der Klassiker in Ihrem Bestand haben ungewöhnliche Ausstattungen wie beispielsweise eine hellgrüne Lackierung oder ein in orangefarbenem Verlours ausgekleidetes Interieur. Mal von den Kundenwünschen abgesehen, suchen Sie speziell nach diesen Besonderheiten?
Ich mag Dinge, an denen die meisten kein Interesse haben. Ich mag das schwarze Schaf in der Familie, das Auto, das aus der Reihe tanzt. Als ich noch bei Jack Barclay arbeitete, kamen Kunden zu uns mit Autos, die sie aufgrund der ungewöhnlichen Farbkombinationen nicht verkaufen konnten. Der Händler, von dem sie das Fahrzeug hatten, wollte es auch nicht zurücknehmen. Man sagte ihnen, dass Auto sei „zu bunt”. Aber obwohl diese Modelle ziemlich schräg waren, habe ich sie trotzdem in unserem Showroom ausgestellt - und kaum waren sie dort, hatten sie schon einen Käufer gefunden, weil man wusste, dass man so etwas nur bei uns findet. Typische Lackierungen wie Balmoral Green oder Cobalt Blue konnte man bei jedem Roll-Royce- oder Bentley-Händler finden, aber nicht die verrückten Farben. Da habe ich vermutlich das zu Schätzen gelernt, was für die Mehrheit nie in Frage käme.
Macht das Ihre Arbeit noch anspruchsvoller?
Ja, manchmal habe ich ein exzentrisches Automobil, dessen Verkauf länger dauert. Aber letztlich braucht es nur einen Menschen, der es auch mag. Egal, ob hundert Leute es vorher abgelehnt haben.
Nach den Regeln der alten Schule
“Wir sind nicht modern, wir kümmern uns nicht um Gesundheit und Sicherheit - wir sind altmodisch und pflegen die persönliche Beziehung.”
Was bekommen Kunden von Graeme Hunt, dass sie woanders nicht erwarten dürfen?
Nun ja, ich will nicht sagen, dass man unseren Service nicht auch andernorts bekommt. Das wäre doch ein wenig hochtrabend. Aber ich denke, wir bieten ein persönlich gestaltetes, komplettes Paket. Wir sind nicht modern, wir kümmern uns nicht um Gesundheit und Sicherheit - wir sind altmodisch und pflegen die persönliche Beziehung. Unsere Einstellung zum Service und zur Qualität des Produkts habe ich von Victor Barclay gelernt. Es ist die Kunst, die Erwartungen des Kunden zu erfüllen - ohne dass er sich dessen bewusst wird.
Sie sind in der Branche wegen Ihrer freundlichen, zugänglichen Art sehr geschätzt. Ist das auch das Rezept Ihres Erfolges?
Ach wirklich? Darüber war ich mir nicht bewusst! Ich denke, unser Business wird von zwei ausgeprägten Typen beherrscht: Da gibt es den streitbaren, selbstsüchtigen Kerl, den die Kunden nur ertragen, weil er eben das Auto hat, das sie kaufen wollen. Das andere Exemplar ist enthusiastisch und findet, dass Kunden nicht stören, sondern faszinieren. Ich gehöre der zweiten Kategorie an - ich habe nie die Kollegen verstanden, für die potenzielle Käufer Nervensägen sind.
Nichts zu bereuen
Gibt es ein Auto aus Ihrer Karriere, das Sie lieber behalten hätten?
Da gibt es keins, weil das nächste spannende Auto immer schon um die Ecke auf mich wartet. Es macht mir auch nichts aus, wenn ein Klassiker seit dem Verkauf enorm an Wert gewonnen hat - ich bin Händler und nicht Sammler. Wenn mir Stillstand wichtig wäre, würde ich alle Autos in einem Lager wegsperren, würde ein Jahr in der Sonne herumsitzen und sehen, was dann passiert. Ich habe noch nie ein Auto gekauft, von dem ich nicht restlos begeistert war.
Was fahren Sie am Wochenende?
Ich lasse Bettina aus ihrer Haut fahren! Nein, ernsthaft. Ich habe eigentlich kein eigenes Auto. Jedes Mal, wenn ich mir für ein Auto ein Langzeit-Parkticket besorgt habe, will jemand das Modell kaufen. Jetzt wechsle ich den Bestand durch, so dass jedes Auto regelmäßig bewegt wird und folglich fahrbereit ist. Für die Fahrt nach Hause wähle ich heute eine Bentley Corniche, Baujahr 1971.
Und jetzt eine etwas persönliche Frage: Wie spricht man Ihren Namen auf beiden Seiten des Ärmelkanals richtig aus?
Der letzte Vokal in meinem Vornamen ist stumm - damit sind hoffentlich alle Unklarheiten beseitigt!
Fotos: Amy Shore for Classic Driver © 2015